Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie
Schwerpunktthema

»Wir sind keine Friedensanwälte«

Ob Friedensjournalismus, konfliktsensitiver Journalismus oder konstruktiver Journalismus: Es gibt eine Reihe von Begriffen, unter denen alternative Konzepte zum klassischen Kriegs- und Konfliktjournalismus diskutiert werden. Ob von Akademiker*innen, Aktivist*innen oder Journalist*innen gepusht, ist fast allen gemeinsam, dass sie es im Mainstream-Journalismus eher schwer haben. Anhand des Beispiels des philippinischen Peace and Conflict Journalism Network PECOJON wird erzählt, wie die Konzepte in der Praxis Anwendung finden können.
Text – Felix Koltermann

Bei der Berichterstattung über den Krieg auf der Insel Mindanao im Jahr 2006 fing der philippinische Fotojournalist Charlie Saceda zum ersten Mal an, seine Arbeit in Frage zu stellen. Anders als es bei Fotograf*innen aus dem globalen Norden oft der Fall ist, brachte ihn dies jedoch nicht zur Kunst, sondern hin zum Conflict Sensitive Journalism (CSJ). Wie so viele seiner Kolleg*innen kam er als Autodidakt über Learning-by-Doing zum Journalismus und war dankbar für die Trainingsangebote des gerade neugegründeten Peace and Conflict Journalism Networks PECOJON. In Charlie Sacedas Heimatstadt Zamboanga war Journalismus zu dieser Zeit aufgrund des Konflikts zwischen dem Zentralstaat und der Moro National Liberation Front (MNLF) auf Mindanao gleichbedeutend mit Konfliktberichterstattung.

Konfliktsensitiver Journalismus

Fast 20 Jahre später arbeitet Charlie hauptberuflich als Journalismustrainer mit dem Schwerpunkt auf CSJ (auf Deutsch am ehesten konfliktsensitiver Journalismus) und zählt heute zum Urgestein von PECOJON. Für seine Trainings bereist er ganz Südostasien und war auf Einladung der Deutschen Welle auch schon in Deutschland. Gefragt, worin für ihn das Konzept des CSJ bestehe, sagt er, dass es darum ginge, alle Aspekte und Akteur*innen eines Konflikts zu berücksichtigen. »Es geht um einen hollistischen Blick auf die Ereignisse«, meint er. Dies bedeutet vor allem, nicht nur nach der direkten Gewalt zu schauen, sondern auch deren strukturelle Aspekte und darunter liegenden Logiken zu verstehen und zu thematisieren. Um dies gewährleisten zu können sind ausführliche Konfliktanalysen zentral.

Historisch gesehen geht das CSJ-Konzept auf die Arbeit des Friedens- und Konfliktforschers Johan Galtung zurück. Der stellte dem von ihm als Standard diagnostizierten Kriegs- bzw. Gewaltjournalismus einen Konflikt- bzw. Friedensjournalismus gegenüber. Vereinfacht sollte der Blick weg von der Frage, wer gegen wen kämpft, auf die Konfliktformation und damit das System Konflikt, mit seinen sichtbaren und unsichtbaren Dimensionen, gelenkt werden. Später war es der britische Journalist Jake Lynch der das Konzept unter dem Label »Peace Journalism« international vermarktete. In Deutschland war es die ZDF Journalistin Nadine Bilke, die das Konzept zurück in die Debatte um Qualität im Journalismus führte. Sie argumentierte für eine stärkere Multiperspektivität in der Darstellung und eine größere Selbstreflexion der Rolle als Konfliktberichterstatter*in.

Bezogen auf die Fotografie ist für den Journalismusforscher Stuart Allan die binäre Logik klassischer Kriegsberichterstattung – also etwa das »Wir« gegen »Sie« – zu durchbrechen nur der erste Schritt. Darüber hinaus geht es ihm um die Entwicklung visueller Alternativen, für die auch Frank Möller in seinem Kommentar eine Lanze gebrochen hat. Im Gespräch mit Charlie Saceda wird klar, dass es ihm weniger um alternative Bildsprachen, als einen anderen Umgang mit dem Berichterstattungsgegenstand Konflikt und der Themensetzung geht. »Wir haben als Fotograf*innen manchmal einen Tunnelblick und schauen nur auf eine Seite«, sagt er. So bleibt beim Blick auf eine Rebellengruppe dann etwa die lokale Bevölkerung außen vor. Bilder von Gewalt auszusparen, ist für ihn keine Option: »Das ist Teil der Geschichte und gehört einfach dazu. Wir sollten uns nur nicht darauf fokussieren.«

Mut zu Alternativen

Jemand, der in Deutschland schon viele Jahre nach Alternativen sucht, ist der Journalist und Moderator Michael Gleich. Mit seinem Projekt Peace Counts brachte er in den 2000er Jahren in Kooperation mit der Agentur Zeitenspiegel produzierte Reportagen in deutsche Zeitungen und Magazine. Heute gibt er mit der Culture Counts Foundation das Magazin MUT heraus. Drei Ausgaben sind davon bereits als Beilage großer Tageszeitungen erschienen. Ging es in den ersten beiden Ausgaben noch um eher klassische Konfliktthemen, wie Friedensmacher*innen (Ausgabe 1) oder das Verhältnis von Religion und Konflikt (Ausgabe 2), hat die dritte Ausgabe den Titel »Afrika anders«. Was das mit Untertitel »Magazin für Lösungen« firmierende Magazin anders macht, zeigt sich an der konkreten Themensetzung. So geht es anstatt der Klassiker Hunger und Konflikt um Boxtrainings und Start-Ups oder Seelenheilung als traditionelle Psychotherapie.

Zu diesem Ansatz passen andere Alternativen, die in Deutschland zurzeit unter dem Stichwort konstruktiver Journalismus diskutiert werden. Das Konzept geht zurück auf den dänischen Journalisten Ulrik Haagerup, der auch das Constructive Institute gegründet hat. Ziel ist einen Gegenpol zum von Sensationalismus und Negativismus geprägten Mainstream-Journalismus zu bilden und Lösungsorientierung sowie Inspiration für Veränderung in den Vordergrund zu stellen. So soll Vertrauen zurückgewonnen werden. Verschiedene Institutionen in Deutschland wie die Hamburger Akademie für Publizistik bieten mittlerweile Trainings dazu an. Und mit dem Projekt Perspective Daily hat der konstruktive Journalismus in Deutschland auch seine eigene Plattform gefunden. Das Motto von PD ist »Konstruktiver Journalismus zeigt, was heute schon möglich ist«.

Dass die Krux dabei wie so oft im Detail steckt, erzählt der Journalismustrainer Sven Recker von der NGO Media in Cooperation and Transition (MiCT) im Gespräch. So war die Reaktion ägyptischer Kolleg*innen auf das Konzept des konstruktiven Journalismus, dass die Regierung genau mit diesen Argumenten ihre Arbeit behindere. »Hättet ihr konstruktiver berichtet, hätten wir euch nicht verhaftet« wurde ihnen entgegengehalten. Deswegen muss nach Ansicht Reckers immer genau geschaut werden, wo welches Konzept passt und wo nicht. So sei CSJ gut geeignet um etwa eskalierte Konflikte durch zugespitzte Berichterstattung nicht noch weiter zu verschärfen, Constructive Journalism hingegen sei eher hilfreich bei Themen, über deren Probleme schon Tausend mal berichtet wurde. »Idealerweise ergänzt eine Herangehensweise die andere«, so sein abschließender Kommentar.

Journalismus statt Aktivismus

Für Charlie und seine Mitstreiter*innen von PECOJON ist das Entwickeln von neuen Formaten momentan keine Option. Und konstruktiver Journalismus steht auf den Philippinen (noch) nicht zur Debatte. Sie wollen die Veränderung in den klassischen Journalismus hineintragen. Mut zu Alternativen braucht es aber auch hier. So ist aufgrund von Finanzierungsproblemen unklar, ob PECOJON weiter existieren kann. Das Geld kommt meist von ausländischen Geldgebern, oft aus der Entwicklungs- oder Medienentwicklungszusammenarbeit. Er kritisiert, dass westliche NGOs das Konzept des CSJ durch das Label »Peace Journalism« in Verknüpfung mit Friedensarbeit oft verwässern. »Als Journalisten sind wir keine Friedensmacher, keine Friedensanwälte«, zeigt er sich überzeugt. Die Erfolgsgeschichte von PECOJON sieht er darin, dass es Journalist*innen sind, die Journalist*innen ausbilden. Dass der Kurs »Photojournalism & Documentary Photography« des Photojournalists’ Center of the Philippines (PCP) heute ganz selbstverständlich ein Modul zu konfliktsensitivem Journalismus hat, zeigt, dass sie mit dieser Haltung Erfolg haben.


Felix Koltermann ist promovierter Kommunikationswissenschaftler und arbeitet zu den Themen internationaler Fotojournalismus, visuelle Medienkompetenz und zeitgenössisches Fotobuch. Zuletzt hat er das Buch »Fotoreporter im Konflikt – Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina« beim Verlag Transcript publiziert. Er betreibt den Blog »Fotografie und Konflikt« und ist als freier Journalist unter anderem für die Zeitschrift Photonews tätig. Auf Twitter und Instagram ist er unter @fkoltermann zu finden.