Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie
Schwerpunkt #03

Psychosoziale Folgen der Arbeit in Kriegs- und Konfliktregionen

Eine achtsame und gesunde sowie langfristig erfolgreiche Arbeit als Fotojournalist*in Kriegs- und Konfliktregionen erfordert auch die Beschäftigung mit den psychosozialen (Langzeit-)Folgen dieser Arbeit. Dazu gehört auch eine Reflexion der eigenen Rolle als Journalist*in im Umgang mit Opfern von Krieg und Gewalt sowie die Selbstfürsorge. Dieser Servicetext gibt einen Überblick über relevante Publikationen und Handbücher der damit verbundenen Themenfelder und stellt passende Institutionen vor. Wegen der geringen Bedeutung, die dem Thema in Deutschland bisher zugemessen wird, sind die meisten Artikel und Publikationen auf Englisch.
Text – Felix Koltermann

Einen guten Überblick des Diskussionsstands in Deutschland zum Thema bietet die Video-Dokumentation der Fachtagung »Krieg und Krise, Terror und Trauma« die im November 2018 in Hamburg stattfand. Die Sonderausgabe »Trauma in the Aftermath« des amerikanischen Journalismusmagazins Nieman Reports präsentiert ebenfalls die Ergebnisse einer spezialisierten Konferenz zu »Journalisms, Storytelling, and the impact of violence and tragedy«. Ein Buchklassiker für die Beschäftigung mit der psychosozialen Situation von (Foto-)Journalist*innen im Krieg ist »Journalists under fire: The psychological hazards of covering war« des Psychologieprofessor Anthony Feinstein aus Toronto. Darüber hinaus ist das schon fast zwanzig Jahre alte Buch »Sharing the Front Line and the Back Hills« empfehlenswert, da es das Panorama der Akteur*innen im Krieg von den Medien bis hin zu Peacekeeper*innen und Personal der humanitären Hilfe auffaltet. Eine gute Übersicht weiterer Literatur zum Themenfeld Trauma, Krieg und Journalismus bietet der Online-Bookstore der amerikanischen Institution »Dart Center for Journalism and Trauma«.

Über Trauma berichten – mit Traumatisierten Menschen arbeiten

Menschen, die Traumata erlebt haben, gelten als besonders schutzbedürftig. Insofern erfordert der journalistische Umgang mit ihnen großes Fingerspitzengefühl, egal ob es um Kriegsopfer in Libyen oder um Überlebende eines Terroranschlags in Europa geht. Konkret geht es um Themen wie ob überhaupt der Kontakt mit Opfern von Gewalt gesucht wird bzw. wie dies vonstattengeht, welche Fragen in einem Gespräch gestellt werden und ob bzw. wie die Personen ins Bild gesetzt werden und was mit dem Material nachher passiert. Ein Handbuch, welches diesen Fragen aus grundsätzlicher Perspektive nachgeht, ist »Trauma & Journalism« des schon erwähnten »Dart Center for Journalism and Trauma«. Für den Lokaljournalismus in Afrika wurde von den NGOs Search for Common Ground und Radio for Peacebuilding der sehr praxisnahe Trainings-Guide »Covering Trauma« herausgegeben.

Mit traumatischen Erfahrungen als Journalist umgehen

Das schon erwähnte Handbuch »Trauma & Journalism« des Dart Center gibt auch allgemeine Hilfestellungen zum Umgang mit traumatischen Erlebnissen als Journalist*in. Von dieser Institution gibt es auch zwei weitere, speziell auf Fotograf*innen und Bildredakteur*innen zugeschnittene Handreichungen. Während »Working with Traumatic Imagery« Tipps für den Umgang mit Bildern gibt ist »Handling Traumatic Imagery« eine Hilfestellung für die Entwicklung einer Standard-Operating-Procedure im Newsroom. Wenn auch nicht für Journalist*innen, sondern für Mitarbeiter*innen der Entwicklungszusammenarbeit geschrieben, so bietet doch die Broschüre »Wenn die Welt zerbricht« des Evangelischen Entwicklungsdienstes eine gute Anleitung für Hilfe zur Selbsthilfe. Das Thema sekundärer Traumatisierung vor allem für Redakteure und Personal im Newsroom wird von einem Handbuch der Organisation First Draft mit dem Titel »Journalism and Vicarious Trauma« bearbeitet.

Neben der persönlichen Vorbereitung über die hier erwähnten Handbücher bieten sich auch spezialisierte Trainings und Workshops an. Bei vielen Sicherheits- und Erste-Hilfe-Trainings (Siehe den Service-Artikel dazu) ist Trauma und psychosoziale Vor- und Nachsorge zwar oft ein Baustein, ersetzt aber keine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Das einzige spezialisierte Angebot in Deutschland wird von der Medienakademie von ARD und ZDF angeboten, leider aber nicht regelmäßig, sondern nur auf Anfrage und mit hohen Kosten. Relativ neu ist die 2015 von Petra Tabeling, die zwischen 2006 und 2015 den deutschen Ableger des Dart Center leitete, und Kolleg*innen gegründete Initiative »Nicht Schaden«. Deren Ziel ist es, Zeitungen, elektronische Medien, Reporter, Redakteure und Führungskräfte in Konzepten eines achtsamen Journalismus zu schulen. Das konkrete Angebot reicht von Vorträgen über Workshops bis hin zu In-House Trainings.

Sich Hilfe suchen

Grundsätzlich ist es nach traumatisierenden Erfahrungen wichtig, sich dem Thema zu stellen und es nicht unter den Tisch zu kehren. Gespräche mit Kolleg*innen, Vorgesetzten, Familie oder Freunden können hilfreich sein, sollten aber nicht mit einem professionellen Debriefing verwechselt werden. Als niedrigschwellige Option bietet sich beispielsweise ein allgemeines professionelles Debriefing an, wie es von verschiedenen Institutionen, wie etwa dem Berliner Centrum für Reise- und Tropenmedizin angeboten wird. Eine andere Möglichkeit ist, eine psychotherapeutische Sprechstunde bei einer/m Therapeutin/en in Anspruch zu nehmen. Hilfestellung bei der Therapeutensuche bietet der Psychotherapie Informationsdienst. Allgemeine Hinweise, die bei der Suche nach Psychotherapeut*innen helfen, gibt es in einem Fact Sheet des Dart Center. Die deutschen Krankenkassen zahlen drei dieser Sitzungen ohne Therapieantrag. Danach kann entschieden werden, ob eine weitere Behandlung nötig ist. Eine auf Trauma und Journalismus spezialisierte Psychotherapeutin mit viel Erfahrung auf dem Gebiet ist Fee Rojas aus Hannover.

Wenn psychosoziale Belastungen oder Trauma während eines Assignments einer Redaktion oder eines Verlags auftauchen, ist auch der Weg zur Berufsgenossenschaft BG ETEM denkbar. Auf der Webseite gibt es einen eigenen Text zum Thema Trauma und Gewalt. Aus Sicht der BG ETEM ist eine posttraumatische Belastungsstörung, die aus einem klar zuordnenbaren Ereignis während der Arbeit resultiert, ein Arbeitsunfall. Gibt es nach sechs probatorischen Sitzungen bei einem Therapeuten der BG ETEM die Diagnose PTBS, übernimmt die BG ETEM die Behandlungskosten. Bei festangestellten Fotojournalist*innen muss die Meldung über den Arbeitgeber erfolgen, da dieser dann Mitglied bei der Berufsgenossenschaft ist, nicht die Angestellten selber. Freie Journalist*innen sind verpflichtet, Mitglied der Berufsgenossenschaft zu werden. Als selbstständige Unternehmer*innen können sie sich direkt an die BG ETEM wenden. Über die Webseite der gesetzlichen Unfallversicherung, welcher die BG ETEM angeschlossen ist, gibt es auch eine Liste mit in der Angelegenheit kooperierender Psychotherapeut*innen.

Wie bereits beim Service-Text zur Sicherheit in Kriegs- und Konfliktregionen, sei an dieser Stelle ein Disclaimer angeschlossen. Dabei geht es vor allem um den Hinweis, das hier nur einige allgemeine Hinweise zusammengestellt wurden, die gleichwohl erfordern, eigenständig aktiv zu werden und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, inklusive der besten Umgangsstrategie mit den Arbeit- und Auftraggeber*innen.


Felix Koltermann ist promovierter Kommunikationswissenschaftler und arbeitet zu den Themen internationaler Fotojournalismus, visuelle Medienkompetenz und zeitgenössisches Fotobuch. Zuletzt hat er das Buch »Fotoreporter im Konflikt – Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina« beim Verlag Transcript publiziert. Er betreibt den Blog »Fotografie und Konflikt« und ist als freier Journalist unter anderem für die Zeitschrift Photonews tätig. Auf Twitter und Instagram ist er unter @fkoltermann zu finden.