Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie
Schwerpunktthema

Frei und arm oder Geld machen mit NGOs?

Viele freie Kriegsfotograf*innen können sich finanziell kaum über Wasser halten, denn die Reisekosten in Konfliktgebieten sind enorm, Versicherungen und Sicherheitsausstattungen kosten ein Vermögen. »Embedded« mit einer NGO oder UN-Agentur zu reisen, kann da eine Lösung sein. Doch wie viel Freiheit muss man dafür aufgeben und welches Dilemma tut sich da auf?
Text – Simone Schlindwein

Stellen Sie sich vor, Sie dokumentieren wochenlang unter extremen Risiken und hohen Kosten einen der blutigsten Bürgerkriege der Welt und es finden sich keine Fotoredakteur*innen, die die Bilder kaufen wollen. So geht es mittlerweile vielen freien Kriegsfotograf*innen in Zentralafrika. »Es ist wirklich frustrierend«, fasst Sumy Sadurni ihre derzeitige Lage zusammen: »Aber viele Bildredakteur*innen sind in Hinsicht auf Afrika einfach kriegsmüde«. Die 30-jährige, spanisch-chilenische Kriegsfotografin Sadurni lebt seit drei Jahren in Uganda; sie ist quasi noch ein Frischling.

Die Hauptstadt Kampala zieht schon seit Jahrzehnten freie Fotograf*innen und Journalist*innen an, die in afrikanischen Kriegsgebieten arbeiten, dort aber privat nicht leben wollen. Die friedliche und freundliche Metropole ist somit ein Hub für diejenigen, die regelmäßig in die umliegenden Kriegsgebiete der Demokratischen Republik Kongo, Somalias, Südsudans oder der Zentralafrikanischen Republik jetten. Die Vereinten Nationen (UN) haben ebenfalls in Uganda ihren logistischen Hub, sprich: von hier aus können Fotogaf*innen und Journalist*innen kostenlos mit UN-Flugzeugen in die benachbarten Krisengebiete fliegen, solange sie mit der UN akkreditiert sind.

Doch immer öfter müssen sich freie Fotograf*innen wie Sadurni auf Vereinbarungen mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs), christlichen Hilfswerken oder UN-Agenturen wie dem UN-Kinderhilfswerk (UNICEF), dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) oder dem Welternährungsprogramm (WFP) einlassen. Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex. Zum einen, so Sadurni, haben Zeitungen und Magazine weltweit immer weniger Geld, um Bilderserien einzukaufen oder gar die Reisekosten mit zu tragen. Sie sind aus Kostengründen nicht bereit, Freie zu versichern oder verlangen, wie jetzt im Kongo seit dem Ausbruch von Ebola, ein Seuchen-Training, bevor sie Fotograf*innen in die betroffenen Regionen hineinschicken. Zum anderen ziehen sich zahlreiche Kriege Afrikas schon seit vielen Jahrzehnten hin. »Andere Konflikte wie Syrien sind einfach mehr gefragt«, sagt Sadurni, die vor allem im Südsudan tätig ist. Jüngst muss sie auch feststellen: Nach der Flüchtlingskrise in Europa liegt der Fokus europäischer Medien vor allem auf denjenigen Ländern, aus welchen die Migrant*innen stammen. Südsudanes*innen oder Kongoles*innen fliehen jedoch seit Jahrzehnten nur nach Uganda. »Deren Flucht und Krieg ist in Europa keine Nachricht mehr«, so Sadurni.

Logistischer Support durch NGOs

Rund 60 Prozent ihres monatlichen Einkommens verdient sie sich daher mit Aufträgen verschiedener NGOs, meist kirchlicher Hilfsorganisationen, die in den Kriegsgebieten tätig sind. Fast alle NGOs haben ihre Büros in Uganda und suchen aktiv nach Fotograf*innen, die in Kriegsgebiete reisen wollen. Dies habe Vorteile, erklärt sie: Reisen in Kriegsgebiete ist teuer und aufwendig. Im Südsudan muss man mit UN-Hubschraubern in die abgelegenen Gebiete fliegen. Mietwagen und Benzin seien vor Ort dann selten und kosten deutlich mehr. Eine sichere Unterbringung jenseits der NGO-Compounds oder UN-Lager zu finden, sei ebenso schier unmöglich. »Mit einer NGO ›embedded‹ zu sein, die die Logistik stemmt, macht eine Reise überhaupt erst möglich«, so Sadurni. Das wichtigste sei jedoch: Unabhängige Journalist*innen bekommen von der Regierung im Südsudan nur selten eine Akkreditierung – und wenn, dann kostet sie mehrere tausend Dollar. Das können sich Freie kaum leisten.

Oft sind es Bilder wie dieses von den Kämpfern der Südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA-IO), die Fotojournalist*innen nur machen können, wenn sie kreative Wege finden, auch ohne offizielle Akkreditierung dorthin zu kommen, wo sie glauben, dass die wichtigen Geschichten zu finden sind. Foto: Sumy Sadurni

Das letzte Mal, als Sadurni als Freie unabhängig von NGOs den Südsudan bereiste, war sie illegal dort, ohne Akkreditierung und Arbeitsvisum. Heimlich sei sie mit einem Motorrad über eine unbewachte Grenze gefahren, habe sich auf der anderen Seite mit Rebell*innen getroffen, um deren Sichtweise zu beleuchten: »Das war super riskant und ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt«, so Sadurni. Mit NGOs unterwegs zu sein, sei deutlich sicherer. Der Nachteil, so Sadurni: In der Regel ist sie verpflichtet, deren Projekte zu dokumentieren, also Fotos für Spendenkampagnen zu machen. Nur selten darf sie ihre Bilder laut Vertrag dann auch an Magazine verkaufen oder für ihr Portfolio nutzen. Im Fachjargon nennen das Kriegsfotograf*innen wie Sadurni »Poverty Porn« (Armutspornografie). »Ein typisches Bild ist dann immer ein weißer NGO-Mitarbeiter, der ein hungerndes afrikanisches Kind füttert«, so Sadurni. Doch: »Wenn ich den Job nicht mache, fliegen sie Fotograf*innen aus Europa ein, die kein Problem damit haben.«

Der Kampf um feste Tagessätze

Das Konkurrenzproblem ist für viele Kriegsfotograf*innen in der Region ein Dilemma. So auch für den 38-jährigen, gestandenen Michele Sibiloni, der schon seit knapp zehn Jahren frei für AFP und Al Jazeera tätig ist, meist im Kongo. Doch selbst er macht 60 Prozent seines Einkommens aus Jobs im Auftrag von UN-Agenturen. Die UN bezahlte bislang nämlich sogar mehr als der Medienriese Al Jazeera.

»Die Lage hat sich in den vergangenen Jahren jedoch stark verändert«, erklärt Sibiloni. Die UN-Agenturen haben seit der US-Präsidentschaft von Donald Trump deutlich weniger Geld zur Verfügung, da die US-Administration der UN das Geld gekürzt hat. »Um die Preise zu drücken, schicken sie ihre Jobangebote nun an viele Fotograf*innen und erfragen deren Tagessätze«, sagt Sibiloni. Darunter seien zunehmend mehr lokale afrikanische Kolleg*innen, die bereit sind, auch für weniger zu arbeiten. Doch um seine Familie zu ernähren, »muss ich an meinem festen Tagessatz festhalten, selbst wenn ich den Job dann nicht bekomme«, sagt Sibiloni. »Langfristig haben wir nämlich sonst alles nichts davon – der Job ist schwer genug.«

Beide sind sich einig, dass sie als Freie ohne alternative Aufträge finanziell als Kriegsfotograf*innen nicht überleben können. Doch sie wissen auch: »Selbst gestandene Kriegsfotograf*innen, die Preise gewinnen, müssen für NGOs arbeiten«, sagt Sadurni. Das stimmt sie positiv. Zudem eröffnen sich in Afrika für Freie auch andere Alternativen: Sadurni gibt im Auftrag von Kameraherstellern wie Panasonic Workshops für junge lokale Fotograf*innen und ist gerade dabei, in die Hochzeitsfotografie einzusteigen – ein lukrativer Markt in Afrika. Sibiloni hat jüngst mehr kommerzielle Aufträge akquiriert: Westliche Firmen, die in Afrika investieren oder Reiseunternehmen, die Afrika in ihre Kataloge aufnehmen, suchen zunehmend mehr freie Fotograf*innen auf dem Kontinent. Beide sind optimistisch, dass der afrikanische Kontinent in Zukunft für Fotograf*innen auch jenseits von Krieg und Krisen interessant und lukrativ sein kann.


Simone Schlindwein lebt und arbeitet seit elf Jahren als freie Print- und Radiojournalistin – unter anderem für die taz und den DLF – in Ost- und Zentralafrika. Auf Twitter ist sie unter @schlindweinsim zu finden.