»Eine Kamera ist wie eine Waffe: alle haben Angst«
In Libyen sind Fotojournalist*innen oft die eierlegende Wollmilchsau: Übersetzer*innen, Fahrer*innen, Fixer, Journalist*innen und Fotograf*innen in einem. Gegenüber den nur national arbeitenden Kolleg*innen sind sie finanziell privilegiert, doch im internationalen Geschäft fühlen sie sich manchmal wie Journalist*innen zweiter Klasse.
Text – Sarah Mersch
Vor dem Krieg hätte es in Libyen gar keine Fotojournalist*innen gegeben, die diesen Namen verdient hätten, meint Abdullah Oshah. »Es war ja gar nicht möglich, ungestört zu fotografieren«, erzählt der 37-Jährige – zumindest nicht, wenn man nicht im Auftrag der Regierung unterwegs war. Es war der politische Umbruch 2011, der aus dem gelernten Feuerwehrmann Oshah aus Sabratha den Fotografen und Fixer, Übersetzer und Journalisten Oshah gemacht hat. Lange war die Fotografie für den Familienvater nur ein Hobby, doch nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes besuchte er einige Workshops, um seine Kenntnisse zu vertiefen. Als immer mehr internationale Journalist*innen in seine Heimatstadt an der äußersten Westküste Libyens kamen, von wo aus die meisten Boote mit Migranten nach Italien ablegen, sei er dann irgendwie in die Medienwelt reingerutscht.
Auch Majdi Elnakua hat der Krieg zum Fotojournalisten gemacht. Sein Medizinstudium hat er längst an den Nagel gehängt, stattdessen lebt der Endzwanziger von einer Reihe von Medienjobs. Mit einer genauen Berufsbezeichnung tut er sich genauso wie Abdullah Oshah schwer, denn was er tut, ist von Auftrag zu Auftrag unterschiedlich. Mal übersetzt er, mal ist er als Stringer für internationale Fotojournalist*innen, mal als Fotograf mit ausländischen Printjournalist*innen oder ganz alleine für eine Agentur unterwegs, hauptsächlich in der Hauptstadt Tripolis und der Region um Zintan. Die Liste der Medien, für die er gearbeitet hat, ist lang.
Medienarbeit zu Migration als Brotjob
Im Moment macht Elnakua Medienarbeit für die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Libyen. Da er sich von der reinen Politik möglichst fernhalten wolle, sei das das beste Thema für ihn, ist er überzeugt. »Natürlich ist Migration auch politisch, aber ich will vor allem die Menschen hinter den Zahlen zeigen«, sagt Elnakua. Außerdem es vergleichsweise einfach, über das Thema zu berichten, denn die gleiche libysche Sicherheitsbehörde sei für die Kontrolle der verschiedenen Migrationszentren im Westen des Landes verantwortlich. »In Tripolis braucht man für jedes Viertel eine eigene Erlaubnis, weil der Sicherheitssektor von unterschiedlichen Gruppierungen kontrolliert wird, das ist sehr kompliziert und gefährlich.«
Auch Abdullah Oshah hat lange hauptsächlich zum Thema Migration gearbeitet. Da er selbst aus Sabratha kommt, konnte er in diesem Hotspot der Migration gut navigieren, wusste, wem er trauen kann und wem nicht. Dennoch hatte er immer wieder Probleme mit »lokalen Mafias«, wie er die verschiedenen Machtgruppen in der Region nennt. In einem Café in Tunis, wo ein Teil seiner Familie lebt, scrollt er durch sein Handy. Er zeigt Fotos von sich bei der Arbeit, seine verschiedenen Objektive. An einem Foto hält er inne. »An diesem Tag, das war 2015, wurden mehr als achtzig Leichname angeschwemmt. Aber dieser eine, der war anders.« Auf dem Foto sieht man nur eine verkrampfte Hand, die sich an einem Stück Holz, wohl einer Schiffsplanke, festklammert. Auf das Foto ist er stolz. »Das Bild erzählt eine Geschichte. Jemand hat bis zum Ende versucht, sich am Leben festzuhalten.« Seine Fotos hat er unter anderem an Reuters verkauft, für die Washington Post und den französischen Sender TF 1 gearbeitet.
Doch im Moment arbeitet Oshah kaum noch für internationale Medien. Denn die Konjunktur ist abgeflaut, Libyen international in den Hintergrund gerückt und Sabratha kein Drehkreuz der illegalen Migration mehr. Jetzt fotografiert er vor allem Fußballspiele und arbeitet als Lokalkorrespondent für einen libyschen Fernsehsender. Von der libyschen Politik hält er sich wie Majdi Elnakua fern, er mache nur noch soziale Themen. »Nach einem Beitrag über Benzinschmuggel nach Tunesien haben sie mir einmal meine Ausrüstung konfisziert, ich konnte neun Monate nicht arbeiten.« Um sich und seine Familie zu schützen, überlege er sich heute zweimal, welche Aufträge er annehme.
Über den Frust, nur zuzuarbeiten
Für Elnakua und Oshah war die Entscheidung, hauptsächlich mit internationalen Medien zu arbeiten, eine leichte. Denn diese zahlen in der Regel deutlich besser als lokale – ein schlagendes Argument angesichts des massiven Währungsverfalls des libyschen Dinars. Auch wenn die Frage abgesehen davon gar nicht so einfach zu beantworten ist. »Am besten war es immer, wenn ich als Stringer nur mit einem ausländischen Fotojournalisten unterwegs war, ohne einen Journalisten. Dann hatte ich viel Zeit, mir bei ihm etwas abzuschauen«, so Abdullah Oshah. Doch neben der Möglichkeit, etwas von erfahrenen Kolleg*innen zu lernen, schwingt auch oft der Frust mit, nicht selbst zu fotografieren. »Ich weiß das ja ab dem Moment, in dem ich angefragt werde, aber manchmal ist es trotzdem frustrierend«, meint Majdi Elnakua. »Aber oft sind Fotografen und Redakteure sehr offen für meine Vorschläge, wie eine bestimmte Geschichte umgesetzt werden könnte.«
Es mangelt allerdings beiden nicht an Geschichten, wo das Gegenteil der Fall war und ihre lokale Expertise kaum gezählt hat. Beide Fotografen erzählen von Aufträgen, die sie letztendlich abgelehnt haben oder in dieser Form »im Leben nie wieder« machen würden. Namen wollen sie nicht öffentlich nennen, aber immer wieder käme es vor, dass Themen falsch oder einseitig dargestellt würden oder Korrespondent*innen eigentlich ganz andere Geschichten machen wollten, als sie ihren lokalen Vermittler*innen vorab erzählt haben. »Wenn ich den Eindruck habe, dass eine Geschichte sich in eine komische Richtung entwickelt, dann breche ich ab«, sagt Elnakua. Denn die libyschen Fixer sind es am Ende, die den lokalen Behörden und ihren Kontakten Rechenschaft schuldig sind, wenn die ausländischen Kolleg*innen das Land schon längst wieder verlassen haben.
Wenn er hingegen als Freelancer selbst fotografiere, dann ginge es den ausländischen Medien oft darum, »dass sie genau die Bilder bekommen, die sie sich vorstellen, aber mit der geringsten Verantwortung. Meine Sicherheit liegt komplett in meiner Hand«, erzählt Majdi Elnakua. »Oft ist es ja für die schreibenden Kollegen schon schwierig, an bestimmten Orten zu arbeiten«, so Abdullah Oshah. »Wenn du aber mit einer Kamera ankommst, behandeln sie dich, als würdest du eine Waffe in der Hand halten. Alle haben Angst.« Denn durch seine Kamera bestehe ja das Risiko, dass er auch unangenehme Wahrheiten ans Licht bringe.
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Sarah Mersch lebt und arbeitet seit 2010 als freie Journalistin in Tunesien. Neben politischen Themen beschäftigt sie sich mit Gesellschaft und Kultur, schreibt lange Reportagen, Reisetipps über Tunesien jenseits von Strand und Wüste, oder porträtiert tunesische Aktivist*innen fürs Radio. Außerdem berichtet sie live für verschiedene Radio- und Fernsehsender und trainiert für die DW Akademie junge Journalist*innen v.a. in Tunesien und der MENA-Region.
www.sarah-mersch.de