Social Media für Fotograf*innen
Christoph Bangert

»Instagram ist nicht das Postamt«

INTERVIEW – ANIKA MEIER

Christoph Bangert arbeitet als freier Fotojournalist unter anderem für die New York Times, die FAZ und die NZZ, außerdem hat er eine Reihe von Büchern publiziert, darunter »War Porn« und »Hello Camel«. Vor ein paar Jahren hat er digitalen Selbstmord begangen und alle seine Profile in den sozialen Medien gelöscht. Das ist leicht, könnte man sagen, wenn man mit beiden Beinen im Berufsleben steht. Warum es nicht ganz so leicht war, welche Nachteile ihm dadurch entstehen und was Schlagersänger mit Online-Populismus zu tun haben, erzählt er Anika Meier im Gespräch.

Anika Meier: Herr Bangert, Sie haben vor einiger Zeit digitalen Selbstmord begangen. Warum das?

Christoph Bangert: Das hing mit der Veröffentlichung von meinem Fotobuch »War Porn« zusammen. Das Buch war im Druck und ich dachte mir, dass ich ja jetzt auch Pressearbeit machen müsste. Ich war ganz normal wie alle anderen auch auf Facebook und Twitter und sonstwo unterwegs.

Der Vorschlaghammer-Titel »War Porn« ist ziemlich kontrovers und als Provokation gedacht, die Idee dahinter ist aber komplex und vielschichtig. Mir war wichtig, dass ich differenziert über das Buch sprechen kann. Das geht aber auf Facebook und Twitter nicht so richtig. Dort ist alles kurz und schnell. Also sagte ich mir, dann eben ohne: Lösch alles! Das war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.

Ist Ihnen die Entscheidung leicht gefallen?

Mich hat es schockiert, wie schwer es mir gefallen ist, meine Profile zu löschen. Es war unglaublich schwer, wochenlang habe ich mit mir gehadert. Und gerade das hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Warum ist es so schwer, beim Angebot einer privaten Firma nicht mehr mitzumachen? Wir sind Gruppenmenschen, wir brauchen die Gruppe, deshalb fällt es uns unglaublich schwer, die Entscheidung zu treffen, uns von einer Gruppe auszuschließen.

Haben Sie das Gefühl, etwas zu verpassen? Es ist jetzt ein bisschen, als würden alle zu einer Party gehen, nur Sie nicht, oder?

Genau, das ist eine ganz ähnliche Entscheidung. Ich gehe nicht zur Party! Ich mache da nicht mit! Diese Entscheidungen verlangen eine gewisse Sturheit, einen Eigenwillen, der in der heutigen Zeit oft zu kurz kommt.

Panik, Angst, nicht mehr dazuzugehören, Dinge zu verpassen – das habe ich empfunden. Wenn man ein paar Wochen von Facebook & Co. weg ist, fühlt es sich an, als hätte man mit dem Rauchen aufgehört. Die Online-Sucht ist unsere Volksdroge. Wir verpassen sowieso das allermeiste, was auf dieser Welt passiert. Die sozialen Medien erwecken den Anschein, dass wir nichts verpassen, dass wir dabei sind, dass wir up to date sind. Wenn man sich klar gemacht hat, dass dem nicht so ist, dann ist es nicht mehr so schlimm. Und keine Frage, die sozialen Medien funktionieren und sind praktisch.

Die gute alte Diashow: Bangert setzt mit ihr bewusst einen Gegentrend zur virtuellen Vernetzung innerhalb der sozialen Medien. Foto: Charlotte Behr
Die gute alte Diashow: Bangert setzt mit ihr bewusst einen Gegentrend zur virtuellen Vernetzung innerhalb der sozialen Medien. Foto: Charlotte Behr

Sie verstehen also Kollegen, die soziale Medien nicht missen möchten?

Absolut. Ungefähr zehn Prozent der Informationen, die in den sozialen Medien herumschwirren, sind relevant, interessant und bringen einen weiter, das ist logisch. Immer wenn Menschen kommunizieren, passiert auch etwas, das relevant ist. Die Frage ist nur, ob diese Dinge mich nicht früher oder später auch so erreichen.

Entstehen Ihnen als Fotojournalist Nachteile bei Ihrer Arbeit? Sie sind nicht dauerpräsent wie viele Ihrer Kollegen, Sie können nicht schnell ein Bild in den sozialen Medien hochladen, das Potential hätte, sich viral zu verbreiten.

Richtig. Ich habe ganz klar Nachteile dadurch, dass ich die sozialen Medien nicht nutze. Vor ein paar Wochen habe ich einen TED-Talk gemacht, der mittlerweile auf Youtube ist. 473 Leute haben sich das Video angesehen. Das ist nichts, null. Niemand hat es mitbekommen.

Ich habe es auch nicht mitbekommen, obwohl ich Ihre Arbeit verfolge.

Eben, ich habe keine Möglichkeit, meinen schönen TED-Talk zu promoten. Eigenwerbung geht für mich nur über einen Newsletter, aber wer liest so etwas schon? Trotzdem muss man, finde ich, diese Sturheit aufbringen. Man muss sagen: Das ist mir egal, ob das nun jemand sieht oder nicht. Ich mache das ja, um weiterzukommen, damit ich in meinem Leben weiterkomme. Deshalb gehe ich zu einer Konferenz und tausche mich aus, höre mir andere Talks an und rede mit den Leuten vor Ort. Das ist alles, was ich brauche. Ich brauche diesen Hype nicht.

Brauchen Sie den Hype nicht, weil Sie und ihre Arbeit bereits bekannt sind? Oder anders gefragt: Was raten Sie jungen Fotografen, die sich noch keinen Namen gemacht haben?

Ich rate allen, sich einen Instagram-Account anzulegen und nicht zu viel Zeit auf Facebook zu verbringen. Natürlich kommt man nicht wirklich um diese Kanäle herum. Allerdings muss man diszipliniert und streng sein mit sich selbst. Man darf nicht denken, dass etwas gut ist, nur weil Leute viele Likes hinterlassen. Andersrum sollte man aber auch nicht davon ausgehen, dass etwas schlecht ist, weil die Likes ausbleiben. Was in den sozialen Medien stattfindet, ist Online-Populismus. Das hat mit Qualität nichts zu tun. Wer ist der größte deutsche Fotograf in den sozialen Medien? Paul Ripke? Das ist absurd. Aber das gab es schon immer. Schlagersänger waren immer beliebter als richtige Musiker. Trash gab es auch schon immer. Die größte deutsche Zeitung ist die »Bild«. Das größte deutsche Magazin ist die »TV14«. Trash, absoluter Junk! Online ist Trash sehr dominant. Es ist schwer, sich mit qualitativ hochwertiger oder eigenwilliger Arbeit Gehör zu verschaffen. Davon muss man sich frei machen.

Christoph Bangert bei seinem TEDx-Talk »What is War Like?« an der Uni Heidelberg im Juli 2017. Foto: Screenshot Youtube
Christoph Bangert bei seinem TEDx-Talk »What is War Like?« an der Uni Heidelberg im Juli 2017. Foto: Screenshot Youtube

Sind Sie selbst nie in die Versuchung gekommen, sich auf Instagram anzumelden?

Nein, keine Sekunde. Um Himmels Willen. Sie haben gerade in einem Text geschrieben, dass Peter Bialobrzeski, den ich für einen der großen deutschen Fotografen halte, 412 Follower auf Instagram hat.

Selbst meine Mutter hat mehr Follower. Wenn man in den sozialen Medien erfolgreich sein will, stolpert man schnell in eine Paul-Ripke-Falle und produziert populistischen Trash. Einen Mittelweg zu finden, das ist sehr schwer. Jemand wie Alec Soth schafft das, er nutzt Instagram kreativ und ist sich der Problematik der sozialen Medien bewusst. Er trennt Arbeit und soziale Medien, nimmt aber auch Instagram ernst und überlegt sich, was er daraus machen kann.

Soziale Medien als Online-Portfolio und Tagebuch, das würde mich nicht reizen.

Was ist für Sie das große Problem von Instagram?

Instagram ist nicht das Postamt. Es ist ein privates Unternehmen, das Geld mit meinem Content macht. Ich bin Fotograf, meine Bilder sind alles, was ich habe. Ich kann sonst nichts. Wenn ich meine Fotos einer privaten Firma in den Rachen werfe, muss ich mir das genau überlegen. Es handelt sich um eine klassische Veröffentlichung. Ganz klar. Ob ich in der Tageszeitung oder auf Instagram veröffentliche, das macht keinen Unterschied. Es ist eine Veröffentlichung – auf Instagram bekomme ich dafür nur ein paar Likes.

Was also tun?

Wir müssen uns fragen: Ist das wirklich das, was uns als Fotografen weiterbringt? Man muss kritisch sein und leicht revolutionäre Ansätze haben. Ich möchte in meinem Medium glücklich werden und nicht Likes einsammeln. Das ist nicht mein Lebensziel. Es gibt Leute, die sagen, Instagram sei Fast Food. Oder Schlager. Es ist eine kommerzielle Plattform. Viele Leute, die dort erfolgreich sind, arbeiten als kommerzielle Fotografen.

Bringen uns die sozialen Medien als Künstler weiter, das müssen wir uns fragen. Oder ist es ein kommerzialisiertes Massenprodukt? Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden, ich möchte nicht dogmatisch sein. Man sollte sich nur eben nicht einfach berieseln lassen. Man muss sich genau überlegen, wo mache ich mit, wo mache ich nicht mit. Und dann ist alles okay. Wenn man sich dafür entscheidet und sich sagt, ich baue mir auf Instagram eine kommerziell erfolgreiche, eine auf Likes und Klicks basierende Karriere auf … okay, das kann man machen. Für mich ist das nichts.


Anika Meier
ist freie Autorin und Kuratorin. Für das Monopol Magazin schreibt sie über Kunst und soziale Medien. Sie ist Gründerin des Kollektivs This Ain’t Art School, das auf Instagram aktiv ist und zeigt, auch im sozialen Netzwerk kann es um Fotografie gehen.