Ausstellung
BLMK Dieselkraftwerk Cottbus

Die Anderen sind Wir – Bilder einer dissonanten Gesellschaft

17. August - 13. Oktober 2019

Die einen sagen »Wir schaffen das«, die anderen rufen »Wir sind das Volk«. Welche Mechanismen haben uns zum gesellschaftlichen Riss geführt? Existiert eine diffuse Angst in Deutschland, die unser politisches Handeln begleitet und prägt? Zehn Künstler*innen und Fotograf*innen der 2017 gegründeten Gruppe Apparat gehen dieser Frage in ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung nach.

Durch die deutsche Gesellschaft ziehen sich immer tiefere Gräben und schaffen Territorien für konträre Lager. Die Ängste vor einschneidenden Veränderungen, vor wirtschaftlichem sowie sozialem Abstieg und vor Überfremdung in der eigenen Kultur lösen Verunsicherung aus. Eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen von komplexen Problemen regiert zunehmend die politische Landschaft. Wir reden oft übereinander, zu selten miteinander, und lehnen schnell entgegengesetzte Stimmen ab. Wir ziehen uns ins Private zurück. Dieses soziale Klima zieht sich durch alle medialen Kanäle: Fernsehen, Internetportale, soziale Medien.

Existiert eine diffuse Angst in Deutschland, die unser politisches Handeln begleitet und prägt? Zehn Künstler*innen und Fotograf*innen der 2017 gegründeten Gruppe Apparat gehen dieser Frage in ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung nach. Sie werfen einen Blick in die Vergangenheit und stellen Verbindungen mit der heutigen Zeit her, die dem Betrachter helfen, sich aktuelle Phänomene bewusster zu machen.

Mitglieder der Gruppe Apparat sind Kevin Fuchs, Jakob Ganslmeier, Andrea Grützner, Miguel Hahn und Jan-Christoph Hartung, Hannes Jung, Sara-Lena Maierhofer, Rebecca Sampson, Daniel Seiffert, Maria Sturm. Kuratiert wurde die Ausstellung Cale Garrido.

Aus der Arbeit »Haut, Stein«, 2017–2018. Foto: Jakob Ganslmeier
Aus der Arbeit »The wolf is present«, 2019. Foto: Hannes Jung

Kevin Fuchs begibt sich mit seiner Arbeit »Lichtenberg« auf eine fotografische Spurensuche. Im Berliner Ostbezirk strömen Vergangenheit und Gegenwart zusammen: Altbauquartiere direkt neben sozialem Wohnungsbau, Nachwendebauten, großstädtische Straßenzüge, weitläufige Industriegebiete, Verwaltungskomplexe, geschützte Landschaftsgebiete, Historisches und Modernes im ständigen Wandel. Fuchs stellt erdrückende Stadtlandschaften und Porträts gegenüber, die den Charakter des Zusammenlebens vor Ort schildern.

Jakob Ganslmeier thematisiert in seiner fotografischen Dokumentation »Haut, Stein« den Ausstieg von Neonazis aus der Szene und den Umgang mit historischen NS-Symbolen in der Architektur des öffentlichen Raums. Eine nüchterne Porträtreihe zeigt Aussteiger aus der rechten Szene und begleitet die langwierige und schmerzhafte Entfernung von Tattoos rechtsextremer Symbole. Die Entfernung von Zeichen wird selbst zum Zeichen. Der zweite Teil seiner Arbeit setzt sich aus schwarz-weißen Architekturaufnahmen zusammen, die den Zustand der NS-Symbolik im öffentlichen Raum untersuchen. Trotz Entnazifizierung, Übermalungen oder anderer Verfremdungen sind diese immer noch deutlich sichtbar.

Andrea Grützner beschäftigt sich mit dem DDR-Baukasten Der kleine Großblock Baumeister, der Kindern spielerisch die neue sowjetische Bauweise im Stil der Internationalen Moderne näher bringen sollte. In ihrer Arbeit »Architekton« richtet sie sich mit Anleihen an utopische Architekturentwürfe des 20. Jahrhunderts gegen das standardisierte Bauset und schafft Modelle, die noch wage an den Plattenbau erinnern, zugleich aber für einen freieren Umgang mit dem System stehen.

Aus der Arbeit »Architekton«, fig. 5, 2019. Foto: Andrea Grützner
Aus der Arbeit »Gefahrenindex«, 2019. Foto: Rebecca Sampson

Die Deutschen halten insgesamt rund 450 Millionen Versicherungspolicen, das Geschäft der Angst boomt. Rebecca Sampson entführt in ihrer Arbeit »Gefahrenindex« in die Welt der Versicherungsmakler und flicht ein Mischgewebe aus eigenen Fotografien, Statistiken, Bewegtbild und Found Footage. Sie zeigt, wie sich das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle vermeintlich mit Geld erzeugen lässt und reflektiert darüber, welche Strategien und Bedrohungsszenarien kreiert werden um Ängste zu schüren.

Daniel Seiffert zeichnet in seiner Arbeit »Raufaser« das Leben seiner verstorbenen Großmutter Irmgard Konrad nach, die als Überlebende des Holocausts unter ihren traumatischen Erfahrungen litt. Er untersucht mit Hilfe von Archivmaterialien, Videointerviews und eigenen Fotografien die unbewusste Weitergabe von Traumata an nachfolgende Generationen und konfrontiert sich mit seiner eigenen Identität als Kriegsenkel.

In unsteten Zeiten besteht die Gefahr, sich von der Welt ins Private zurückzuziehen, sich sehnsüchtig Vergangenem und Traditionellem zuzuwenden. In ihrer Installation »Ein Gleichnis« lädt Maria Sturm die Besucher*innen dazu ein, eine wandfüllende Landschaftsaufnahme in einem Spiegel (Claude-Glas) zu betrachten, und dabei sich selbst. Sie beleuchtet die Bedeutsamkeit der eigenen (An-)Teilnahme an der Gesellschaft und fragt: Wo fängt Veränderung an?

Aus der Arbeit »Den Bach runter«, 2019. Film: Miguel Hahn & Jan-Christoph Hartung

Miguel Hahn & Jan-Christoph Hartung berichten von einem speziellen Trend: Deutsche, die aus Angst vor Überfremdung nach Ungarn auswandern. In ein Land, das seine Grenzen geschlossen hat und seine Feindseligkeit gegenüber der EU nicht verbirgt. Die Arbeit »Den Bach runter« erzählt von Menschen, die selbst Fremde in ihrer neuen Heimat sind und die die Überzeugung eint, den Untergang Deutschlands nun von einer friedlichen Insel aus beobachten zu können.

Der Wolf siedelt sich wieder in Deutschland an. Die Menschen sehen ihn nicht und fürchten ihn trotzdem. Warum? Hannes Jung fotografiert Orte, an denen Wölfe nachgewiesen wurden, durch Nutztierrisse, Lebensräume, Wolfssteine, die an historische Wolfstötungen erinnern – und Totfundorte. »The wolf is present« spürt einem Gefühl nach, dass sich in unserer Gesellschaft vermehrt zeigt: Der Angst vor Veränderungen.

In ihrem dreidimensionalen Werk »Kabinette« bringt Sara-Lena Maierhofer über ein analoges fotografisches Verfahren Objekte ans Licht, die in den Depots vieler ethnologischer Sammlungen in Deutschland eingelagert sind. Damit stellt sie zur Debatte: Was für einen Sinn hat die kolonialistische Sammelwut heute? Und können diese sowohl alltäglichen als auch künstlerischen Objekte vom afrikanischen Kontinent einen kulturellen Austausch fördern? Denn auch über Tradition und kulturelles Erbe können wir uns gegenwärtigen Verhältnissen annähern.

Aus der Arbeit »Raufaser«. Foto: Daniel Seiffert
Aus der Arbeit »Kabinette«, Humboldt Forum, Berlin, 2018. Foto: Sarah-Lena Maierhofer

Begleitend zur Ausstellung werden zum Themenkomplex »Angst« Fotografien aus der Sammlung des BLMK u. a. von Anna und Bernhard Blume, Klaus Elle, Michael Schmidt und Thomas Florschuetz gezeigt.

17. August bis 13. Oktober 2019
Die Anderen sind Wir – Bilder einer dissonanten Gesellschaft
Kuratiert von Cale Garrido

Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst
Dieselkraftwerk

Uferstraße/Am Amtsteich 15
03046 Cottbus
www.blmk.de

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr