Politik & Medien
Pressefreiheit

Es ist Aufgabe des Journalismus, solche Proteste zu begleiten

Die Klimabewegung ist die dynamischste soziale Bewegung der Gegenwart. Viele Journalist*innen begleiten ihre Aktivitäten. Das führt leider immer wieder zu juristischen Auseinandersetzungen. Einer Fotojournalistin wird Hausfriedensbruch vorgeworfen. Sie hat die Räumung einer Waldbesetzung dokumentiert.
Text – Sebastian Weiermann

Protestcamps der Klimabewegung sind in den letzten Jahren in ganz Deutschland aus dem Boden gesprossen. Mal wird ein Wald gegen einen Autobahnbau besetzt, an anderer Stelle soll eine Autofabrik verhindert werden oder es geht um den Erhalt eines Dorfes gegen einen Braunkohletagebau, wie Anfang des Jahres in Lützerath.

Solche Proteste sind für die Gesellschaft von hoher Relevanz, und damit natürlich auch für Foto- und Videojournalist*innen. Zahlreiche Ausstellungen, Bildbände und Dokumentationen sind bei Protestaktionen entstanden. Regelmäßig werden Arbeiten zum Thema ausgezeichnet. Aktuelle Medien leben von den spektakulären Bildern, die solche Proteste regelmäßig liefern. Andere Projekte legen ihren Fokus etwa auf die Beobachtung des Alltags der Aktivist*innen.

Das war auch das Motiv von Carlotta Steinkamp. Die 24-jährige Fotografin hat in den vergangenen zwei Jahren mehrere Waldbesetzungen besucht. Eine davon war im Osterholz,  einem Waldstück im Westen von Wuppertal. Im Herbst 2019 wurde der Wald besetzt, um die Erweiterung der Abraumhalde eines Kalksteinbruchs zu verhindern. Obwohl die Waldbesetzung für kontroverse Debatten in Wuppertal sorgte, war im Winter 2021/2022 klar: die Besetzer*innen werden geräumt.

Steinkamp fand es wichtig, dabei zu sein. Sie hat die Besetzer*innen schon in den Wochen und Monaten zuvor immer wieder besucht, hat sie in ihrem Alltag vom Aufstehen bis zum Abend am Lagerfeuer begleitet. Bevor im Osterholz geräumt wurde, schrieb sie der Wuppertaler Polizei, kündigte an, dass sie die Waldbesetzung bei der Räumung begleiten werde.

Als die Polizei am Morgen des 25. Januar 2022 mit ihrem Einsatz begann,  war Carlotta Steinkamp in einem Baumhaus. Mehr als dass die Polizei im Wald aufgetaucht ist, konnte Steinkamp am ersten Tag der Räumung auch gar nicht beobachten. Der Einsatz begann in einem weiter entfernten Teil der Besetzung. Die Nacht verbrachte sie wieder mit den Aktivist*innen im Wald. Die Polizei zog sich zurück, beleuchtete dafür aber das ganze Areal mit Scheinwerfern.

Fotos: Carlotta Steinkamp

Am nächsten Tag ging der Einsatz auch in dem Teil des Waldes weiter, in dem sich Steinkamp befand. Sie saß alleine auf einer Plattform, von dort, so erzählt sie, hatte sie den besten Überblick. Andere Journalist*innen waren an diesem Morgen auf die Gunst der Polizei angewiesen. Diese hatte »Arbeitsbereiche« eingerichtet, diese zu verschieben, näher an das Geschehen heranzukommen, war nur nach langwierigen Verhandlungen möglich.

Am Mittag wurde Carlotta Steinkamp, die mit einer Warnweste, zwei Kameras und dem bundeseinheitlichen Presseausweis deutlich als Journalistin erkennbar war, erstmals direkt von einem Polizisten angesprochen. Nach der Aufforderung, die Plattform zu verlassen, kletterte sie herunter. Danach wurden ihre Personalien aufgenommen und sie erhielt einen Platzverweis.

Doch das unfreiwillige Ende der Berichterstattung war nicht genug Ärger für Steinkamp. In diesem Februar flatterte ein Strafbefehl bei ihr ins Haus. Sie sei des Hausfriedensbruchs schuldig und solle eine Geldstrafe in Höhe von 1.200 Euro bezahlen. Carlotta Steinkamp holte sich juristische Hilfe, legte Widerspruch gegen den Strafbefehl ein. Ihr Anwalt schrieb den Kalkwerken Oetelshofen einen Brief und wies darauf hin, dass Steinkamp als Berichterstatterin im Wald war. Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt, die Betreiberfirma des Steinbruchs könnte die Anzeige zurücknehmen.

Journalist*innen, die Klimaproteste begleitet haben, wurden in den vergangenen Jahren immer wieder auch mit Strafverfahren oder Anzeigen belegt. In vielen Fällen half der Hinweis auf die berufliche Tätigkeit bei einer Protestaktion und die Verfahren wurden eingestellt. In anderen Fällen mussten Journalist*innen, trotz eindeutiger Sachlage, Strafverfahren durchstehen. Carlotta Steinkamps Anwalt hat auch dem Wuppertaler Amtsgericht geschrieben, dort ihre berufliche Rolle beschrieben und darum gebeten, eine pragmatische Lösung zu finden. Sollte die ausbleiben, kommt es am 31. Mai 2023 zu einem Prozess.

FREELENS hat sich entschieden, Carlotta Steinkamp zu unterstützen. In einem Brief an das Amtsgericht erklärt Vorstandsmitglied Roland Geisheimer, dass die strafrechtliche Verfolgung der Fotografin beim Verband  »Irritationen und große Sorge um den Erhalt der Pressefreiheit hervorgerufen« habe. Die Dokumentation von Klimaschutzprotesten habe in Zeiten des anthropogenen Klimawandels einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert und sei von überwältigendem öffentlichen Interesse. Wenn Journalist*innen für ihre dokumentarische Arbeit bei solchen Protesten mit Strafandrohungen überzogen würden, entferne man sich weit von der »Verfassungsvorstellung, dass durch die Pressefreiheit eine umfangreiche Information der Gesellschaft gewährleistet werden kann.«

FREELENS appelliert an Gericht und Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Carlotta Steinkamp einzustellen.


Sebastian Weiermann ist Journalist und lebt in Wuppertal. Schwerpunktmäßig berichtet er für das nd über nordrhein-westfälische Landespolitik. Gerne begleitet er Proteste von sozialen Bewegungen. Woran Weiermann gerade arbeitet, lässt sich am besten auf Twitter verfolgen.
twitter.com/sweiermann