Magazin #19

Fünf Minuten beim Chef

Medien und Firmen fordern zunehmend moderne Personenfotografie. Industriekapitäne und Wirtschaftsbosse zeitgemäß abzulichten, ist jedoch ein aufwändiges Unterfangen.

Text – Peter V. Brinkemper

Man öffne ein x-beliebiges Wirtschaftsmagazin – und da stehen, sitzen, arbeiten sie: die Führungskräfte der nationalen und internationalen Wirtschaft. Unsichtbar überladen mit Terminen oder schwer beschäftigt, einsam oder umgeben von ihren Mitarbeiterstäben. Eingebuddelt am Schreibtisch auf der Cheftetage, als Aufnahme in Halbnah, wie eine personifizierte Büste für die Ewigkeit. Männer, Macher – denn Frauen sind als Managerinnen und VIP-Ikonen in Unternehmen noch immer unterrepräsentiert.

Aber es gibt auch andere Sichtweisen: Der Entscheider von heute taucht als mobiler Akteur an der Basis auf – in weiter Einstellung, unterwegs in lichtdurchfluteter Architektur, am Puls der Produktion, als Passagier im Auto oder als Inspizient am Flugzeug. Das Porträt wird mitten ins Geschehen versetzt.

Wie auch immer – eines sollen alle diese Bilder bekräftigen: Hier sind sie, die Träger der Verantwortung und die Garanten des Erfolgs, Repräsentanten einer Firmentradition, die Akteure der deutschen Wirtschaft oder die Vorreiter neuer strategischer Allianzen und grenzüberschreitender Fusionen.

Anspruchsvolle Personenfotografie von Unternehmern und Managern entwickelt sich zu einem intensiv umkämpften Segment des Fotogeschäftes. Der Wettstreit um die Aufmerksamkeit in den Medien, die Ausstattung der Konzerne mit Intra- und Internet sowie die Notwendigkeit, in der Konkurrenz auf den nationalen wie internationalen Märkten erkennbar zu sein, führt bei Unternehmen jeglicher Größe dazu, die Selbstdarstellung zu modernisieren und zu optimieren. Die Firmen feilen an ihrem Selbstbild. Der Kampf um die Kunden, die Verhandlungen mit Partnern, die öffentlichen Auftritte – nicht nur bei Geschäftsversammlungen – schaffen die Notwendigkeit, eine eigene Bildwelt parat zu halten, bevor das Blitzlichtgewitter der Pressekonferenzen losbricht. Zumal man sie vorab besser steuern kann.

Hinter dem schlichten Auftrag, den Chef oder die Führungsriege einer Firma abzulichten, steckt also weitaus mehr. Jede einzelne Aufnahme kann sich zur differenzierten Aussage aufladen, zum Baustein im unternehmerischen Raum und im öffentlichen Umfeld werden. Dafür sorgt ein weit gefächertes Dienstleistungsangebot, in Wort, Schrift und Bild. Es wird von hausinternen PR-Abteilungen oder von Agenturen entwickelt; man braucht Imagebroschüren, Geschäftsberichte, Pressematerial. Wirtschaftspublikationen vom Manager Magazin bis zu Brand Eins benutzen – wenn es denn in Aussage und Qualität den jeweiligen Vorstellungen entspricht – das Bildmaterial der Unternehmen; andernfalls vergeben sie selbst Aufträge, die führenden Köpfe abzulichten. Und auch von außen, von den Agenturen, kommen neue Impulse für die Bildgestaltung.

ERST KLASSISCH, DANN DYNAMISCH

»Der allgemeine Trend im Bereich Wirtschaft«, sagt Gudrun Wronski, Chefin der innovativen Bildagentur stock4b in München, »ist eindeutig – weg vom Schreibtisch, weg vom klassischen Porträt. Das gibt es zwar auch noch, aber stärker gefragt sind ungewöhnliche Motive. Im Bereich der Firmenporträts setzt sich eine moderne Fotografie mit unkonventioneller Bildsprache durch, die dynamisch bewegte Bilder mit offenen Situationen festhält.« Aus der Perspektive dieser Agentur vollzieht sich der Trend in Produktwerbung und PR-Fotografie im mittelfristigen Zusammenspiel der Fotografen und ihrer Partner. Wirtschaftsredaktionen und Unternehmen buchen vor Ort ihnen bekannte Fotografen; für hochwertige überregionale Aufträge wenden sie sich meistens direkt an eine Agentur. Auf dieser Ebene werden die neuen Maßstäbe zuerst sichtbar.

»Die Idee einer modernen Bildsprache haben die jungen Unternehmen schon seit längerem für ihr Image genutzt. Die größeren Firmen sind zunächst meist klassisch zeitlos orientiert«, führt Wronski aus. Es gebe aber auch Arbeitsteilungen: »Fotos der Vorstände für den Geschäftsbericht sind durchweg klassisch gehalten. In Imagebroschüren und Wirtschaftspublikationen werden zunehmend dynamische Motive gesucht.«

Die Entscheidung darüber, welche Bildsprache die Aufnahmen prägen soll, ist Verhandlungssache oder durch den Firmenstil vorgegeben: Die Entscheidung für das klassische Konzept ist oft der knappen Zeit geschuldet – das Motiv hinter dem Schreibtisch, glauben manche Unternehmen, sei einfach weniger aufwändig zu produzieren und reiche für ihre Zwecke aus.

Bei neuen Kunden muss der Fotograf Überzeugungsarbeit leisten, um eigene Vorschläge einzubringen. Wünsche und Erwartungen der Auftragspartner sollten im Vorfeld gründlich abgeglichen werden. In mittleren und großen Unternehmen bestimmen PR-Abteilungen maßgeblich die thematischen Vorgaben mit. In Briefings und bei der Besichtigung vor Ort tasten Fotografen die kreativen Spielräume in Konzept und visueller Darstellung ab. Offensiv Alternativen anzubieten ist ebenso sinnvoll wie zusätzlich aufschlussreiche Motive und Perspektiven aufnehmen. Für das gewonnene Bildmaterial sollten verschiedene Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen des Gesamtprodukts offeriert werden.

»Eine gute Agentur« ist aus Sicht des Wirtschafts- und People-Fotografen Michael Ebert »immer auch ein Puffer gegenüber so manchen unrealen Vorstellungen der Unternehmen. Agenturen sollten Sachwalter für die Fotografen sein, ihren kreativen Freiraum unterstützen, z. B. durch ein hinreichendes Zeitbudget bei den Shootings.«

Ebert kennt auch die andere Seite – die der Auftraggeber: Sechs Jahre lang arbeitete er in der PR-Abteilung der Telekom im Aufbau mit, bevor er seine Tätigkeit als freier Wirtschaftsfotograf wieder aufnahm. Das frisch auf Privatwirtschaft und Kundenorientierung umgestellte Unternehmen schuf sich damals eine neue Corporate Identity mit entsprechendem Design. Ebert war zuständig für den Einsatz und die Verwendung von Fotografie in der unternehmensinternen Kommunikation, PR und Werbung.

»Für meine Tätigkeit war entscheidend, dass das Unternehmen Personen mit Fotoverstand in der PR-Abteilung haben wollte. Das hat auch für die Fotografen die Briefings und Verhandlungen erheblich erleichtert.« Ebert nahm Einfluss auf die fotografische Stilrichtung des jungen Konzerns: »Klare, oft situative Porträts ohne Posen und Schnörkel, individuell aufgelockert, vor möglichst unverändertem Hintergrund in natürlichem Licht – diese journalistische Linie verfolge ich auch heute noch als freier Fotograf bei meinen Aufträgen für Unternehmen.«

Michael Dannenmann hat eine völlig andere Stilistik. Seine Perspektive ist der Blick, der von außen ins Unternehmen fällt und ein Fenster für eine öffentliche Inszenierung schafft. Seine Auftraggeber sind vor allem international renommierte Magazine, und nicht nur aus dem Bereich der Wirtschaft: Stern, Time, Forbes, Wirtschaftswoche. Längst ist seine ungewöhnliche Regie zum Markenzeichen geworden.

WILLIG – ODER RESISTENT?

Dannenmann fotografiert Führungskräfte und andere VIPs so, wie man sie in der Branche noch nicht gesehen hat. Er spielt mit den Erwartungen, kombiniert paradoxe Assoziationen, die sich bei näherer Betrachtung als stimmige Charakterisierungen erweisen und das Porträt im Zentrum mit Bedeutung aufladen. Den Chef der LTU positioniert er im Triebwerk eines Jets. Wendelin Wiedeking steht vor 40 gleichfarbigen Porsches. Und der Herold von Ferrari, Michael Schumacher, ist auf einem Foto nicht in Aktion zu sehen, sondern hockt auf dem Boden, einsam und versteckt hinter der Leitplanke am Rande der Piste, ohne Auto oder Podest. Jürgen Schrempp schaut in der Wirtschaftswoche einfach aus dem Bild nach rechts.

Ein Stück klassisches Understatement? Dannenmann ist es gewohnt, dass ihm persönlich im Vorfeld ein maximaler Freiraum für kreative Bildentscheidungen zugestanden wird. Die Wirtschaftsvertreter wissen, dass hier ein Profi hereinkommt, der in der internationalen TV- und Medienlandschaft operiert und mit seinen Porträts weltweit Aufmerksamkeit findet.

Wie ein Fototermin verläuft, liegt nicht nur am offiziellen Briefing, sondern am effektiven Zusammenspiel aller Auftragspartner: Wie wichtig nimmt die Chefetage den Aufnahmetermin? Sind sich PR-Abteilung und Unternehmensleitung einig über den Nutzen der medialen Selbstdarstellung? Oder kämpft die Öffentlichkeitsarbeit gegen die Windmühlenflügel sturer Betriebsamkeit?

Es gibt keine Faustregel mehr für natürliches oder steifes Verhalten vor der Kamera. Die Aufmerksamkeit für die Medien ist allgemein geschärft. Mitarbeiter an der Basis und Repräsentanten kleinerer Firmen, Manager des Mittelfeldes und die Chefs ganz oben geben sich gleichermaßen – mal locker, mal streng, trocken oder steif, gerade so, wie sie die Wirtschaft zu repräsentieren meinen.

David Klammer aus Köln hat gemischte Erfahrungen gemacht. Für den Geschäftsbericht der Stadtsparkasse Wuppertal nahm er neben dem Vorstand des Kreditinstitutes auch exemplarische Partner des Mittelstands auf. Er hat das klassische Porträt in Richtung einer situativen Bildsprache und eines modernen, fragmentarischen Layouts aufgelockert, um alle Partner und ihren unternehmerischen Kontext geschickt zu verbinden. Die kleinen Schwächen der Selbstinzenierung wurden optisch ausgeglichen.

Wie medienfreundlich ist das Klima auf den Chefetagen? Ist Mega-Chef-Power das visuelle Zaubermittel oder ein ständiger Motivkiller für feinsinnige Aufnahmen? Was ist von der Bertelsmann-Inszenierung zu halten, in der Thomas Middelhoff – noch im Amt – mit seinem New-Economy-Team als intergalaktische Star-Trek-Besatzung auftrat? »Nichts gegen ein bisschen Narzissmus. Wer eitel ist, ist kooperativ und hat Spaß daran, sich ins rechte Licht zu setzen. Das hilft dem Fotografen oft weiter«, meint Michael Ebert. Und doch bleibt er relativ nüchtern: »Ein wichtiges Kriterium für die Fotografen lautet: Haben mein Auftraggeber, die Agentur oder das Unternehmen Mitarbeiter mit Fotoverstand oder nicht? Und erweisen sich meine Ansprechpartner als in fotografischen Dingen beratungswillig oder beratungsresistent?«

UNTERNEHMESNSKULTUR UND BILDSPRACHE

Eines der Schlüsselwörter – gerade auch für die Koordination der Partner – ist die Unternehmenskultur, neudeutsch Corporate Identity oder Corporate Culture. Bilder von Führungskräften und Aufnahmen aus Unternehmen werden heute nicht mehr als bloße Schnappschüsse oder Archivmaterial von Menschen und Maschinen betrachtet. Sie werden als werbe- oder öffentlichkeitswirksame Ansichten der Unternehmenskultur verstanden. Das Chef-Foto ist ein visueller Auftrag mit bestimmten festen Vorgaben – bei der Produktion für Unternehmen – oder etwas freieren Erwartungen bei Produktionen für die Presse. Die Aufnahme sollte die Firmenphilosophie berücksichtigen oder reflektieren; diese stammt entweder aus einem – oft nicht ausformulierten – Traditionsverständnis oder entspricht einer ausgefeilten Public-Relations-Konstruktion.

Zur Unternehmenskultur gehört, dass sich mittlere und große Firmen für alle Unternehmenszweige und Abteilungen einen zeitgemäßen Verhaltenscode zugelegt haben, der dem Marken-Image ihrer Produkte entspricht; sie soll nach innen und außen Maßstäbe und Werte für eine reibungslose Kooperation, für ein optimales Ansehen auf dem Markt und für einen guten Ruf in der Öffentlichkeit aufstellen.

Wer dieses Prinzip für seine Position als beauftragter Fotograf zu nutzen weiß, für den ergeben sich erhebliche Spielräume zur Gestaltung der Bilder. Und zwar von Einzelaufnahmen bis zu in sich abgestimmten Bildstrecken. Die Unternehmenskultur bietet gute Argumente, um auf Erwartungen überzeugend und sinnvoll zu reagieren. Verschiedene Anforderungen, widersprüchliche Vorgaben und symbolische Überfrachtungen können reduziert und auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden: auf eine überzeugende Bildsprache, die mit klaren Alternativen arbeitet.

Die Corporate Identity kann nur in einer überzeugenden Bildsprache umgesetzt werden. Auf diesem Gebiet bleibt der Fotograf neben den Firmendesignern ein wichtiger Experte, dessen Stimme in der Verhandlung Gewicht hat. Der Fotograf sollte den klassischen und den modern-dynamischen Zuschnitt der Bildwelten klar unterscheiden. Möglichkeiten, Grenzen und Versäumnisse bei der Umsetzung sollten offen und ungekränkt angesprochen werden.

Michael Ebert bestätigt dieses fotografische Feinjustieren, dieses mediale Marken-Tuning von Personen, Dienstleistungen und Produkten aus eigener Anschauung. »Bei der Telekom hatten wir die Idee, die neuen, international einsetzbaren GMS-Handys überall im europäischen Ausland vor Ort fotografieren zu lassen. Aus Paris kam ein schönes Still mit Handy, Café au lait, Croissants und einer Le Monde auf einem Bistrotisch. Das Bild ging zurück. Solange der Eiffelturm oder der Arc de Triomphe fehlten, hatte der Fotograf den Nachrichtenwert, der im Bildauftrag steckte, nicht verdeutlicht und ein Bild geliefert, das man auch auf dem Bonner Rathausplatz hätte machen können.«

Was soll ein führender Kopf hinter dem Schreibtisch veranstalten, wenn er in Wahrheit dauernd im Team unterwegs ist? Und weshalb soll eine Werksaufnahme bei schlechter Beleuchtung geschossen werden, wenn es eine positive Arbeitsatmosphäre zu vermitteln gilt? Wieso gibt es nicht mehr Zeit für die Auswahl eines aufschlussreichen Hintergrundes, wenn ein Büro viele attraktive Ansichten und Ausblicke birgt, die die Bildwirkung deutlich erhöhen? Praxiserfahrungen zeigen, dass bis zur Umsetzung einer modernen Bildsprache noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss – der Fotograf als Aufklärer und Medienstratege.

Doch selbst der modernste Ansatz muss sich an der Realität orientieren. Die Fotografin Barbara Siewer aus Köln gibt zu bedenken: »Ein Manager, der sich eher seriös bis ernst gebärdet, sollte sich auch so fotografieren lassen. Er kann nicht plötzlich übertrieben locker und witzig inszeniert werden. Da ist eine Grenze erreicht, wo ich als Fotografin Verantwortung trage. Und ebenso kann eine bahnbrechende Innovation nicht als bloßer Gag verkauft werden. Die Botschaft und ihre visuelle Ebene müssen stimmen.«

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Peter V. Brinkemper
Dr. phil. , Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Bonn. Regelmäßige Publikationen zu Fotografie, Medien, Film, Kunst und Kultur. Lebt in Köln.