Zum Hauptinhalt

Schutz von Leib und Leben sticht Pressefreiheit aus

Freelens-Mitglied muss für Bergung von Baumbesetzung zahlen

05.11.2025
Sebastian Weiermann

Es ist im Dezember 2020. Es ist kalt in Deutschland und in Hessen läuft einer der größten Polizeieinsätze des Landes. Quer durch den Danneröder Wald soll die Autobahn 49 gebaut werden, doch Klimaaktivist*innen stellen sich dem entgegen. Sie haben im "Danni”, wie sie den Wald nennen, Baumhausdörfer errichtet. Die Bewegung gegen den Autobahnbau ist groß. Lokal gibt es seit Jahren Initiativen dagegen und die Klimabewegung hat gerade richtig Fahrt aufgenommen. In Nordrhein-Westfalen ist der Hambacher Forst zwei Jahre vorher gerettet worden und Fridays for Future treibt weltweit Millionen junger Menschen auf die Straße.

Kein Wunder also, dass sich Foto- und Videojournalist*innen für Ereignisse wie die angekündigte Räumung des Danneröder Waldes interessieren. Die Bilder von solchen Ereignissen sind jedes Mal beeindruckend: Konfrontationen, stille Momente, das Aufeinandertreffen von Weltbildern. “Danni”, "Hambi" und Co. brechen das, worüber Politik und Gesellschaft diskutierten, auf die ganz konkrete Auseinandersetzung zwischen Polizist*innen und Aktivist*innen um ein paar Quadratmeter Wald herunter.

Einer, der sich für diese Auseinandersetzungen interessiert, ist David Klammer, Freelens-Mitglied und renommierter Fotojournalist. Im Dannenröder Wald entstand Klammers Dokumentarfilm “Barrikade”, der unter anderem beim Snowdance Filmfestival und beim NaturVision Filmfestival ausgezeichnet wurde. In “Barrikade” ist David Klammer ganz nah dran an Waldbesetzer*innen und Polizist*innen, zeigt das Leben im Wald und den großen Polizeieinsatz sehr unmittelbar.

Das wurde David Klammer zum Verhängnis. Zweimal wurde er während der Räumung von Polizist*innen mit einem Hubsteiger aus Baumbesetzungen evakuiert. Einmal hatten die Besetzerinnen die Leiter zu einem Baumhaus, in dem sich Klammer befand, mit Brettern versperrt, als klar wurde, dass sie das nächste Ziel der Polizei sind. Der Fotojournalist konnte das Baumhaus nicht mehr verlassen. Einen Tag später begab sich Klammer auf ein anderes Baumhaus; als auch hier die Räumung anstand, hatte er keine Möglichkeit den Baum zu verlassen, weil das Kletterseil aufgrund der Kälte vereist war. In beiden Fällen gab sich David Klammer als Journalist zu erkennen, der polizeilich begleitete Abstieg mittels Hubsteiger verlief problemlos.

Die Probleme fingen Monate später an. Da erhielt Klammer nämlich zwei Rechnungen vom Hessischen Polizeipräsidium für Technik. Er sollte 793 Euro und 442 Euro für die Räumung von den Bäumen bezahlen. Der Vorwurf, Klammer habe sich selbst in Gefahr gebracht und “vorsätzlich einen Polizeieinsatz ausgelöst”. David Klammer glaubte an ein Missverständnis, schrieb der hessischen Polizei, dass er sich keiner Räumungsaufforderung widersetzt hat und wie er sich in den jeweiligen Situationen verhalten hat. Außerdem wies er die Polizei darauf hin, dass er kein Aktivist ist, sondern sich seine Rolle auf die “Berichterstattung, mit der ich meinen Lebensunterhalt verdiene”, beschränkte.

Die hessische Polizei folgte Klammers Argumentation nicht und verlangte weiter die Kosten für den Abtransport von den Bäumen. Der Fotograf entschloss sich zur Klage. So etwas kann in Deutschland einige Zeit in Anspruch nehmen. Von Klammers Seite wie vom Land Hessen bekam das Verwaltungsgericht Wiesbaden zahlreiche Schriftsätze, Mitte August diesen Jahres wurde dann vor dem Gericht mündlich verhandelt. Bis ein schriftliches Urteil erfolgte, vergingen dann noch einmal zwei Monate.

Nun ist es da und es ist schlecht ausgegangen für den Fotojournalisten. Er muss die beiden Polizeieinsätze bezahlen. Das Verwaltungsgericht erkennt zwar an, dass er als Journalist im Wald war und stellt auch heraus, dass das “Anfertigen von Fotos und Führen von Interviews am 03.12.2020 und 04.12.2020 während der Räumung der Baumhäuser” in den Bereich der grundgesetzlich geschützten journalistischen Tätigkeit falle. Das Gericht stellt heraus, dass der gesamte Bereich “publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört”, geschützt wird. Der ungehinderte Zugang zu Informationen sei essentiell für die Pressefreiheit, so das Gericht.

Allerdings, argumentiert es weiter, sei die Pressefreiheit nicht “polizeifest”, was heißt, dass sie auf Grundlage von “allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze einschränkbar” sei. Während etwa eine “Vorzensur” ein No-Go sei, habe die Polizei bei der Räumung der Baumhäuser nach dem Ordnungsrecht gehandelt. Der Aufenthalt David Klammers in den Baumhäusern habe eine “eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben” dargestellt. Die Räumungsarbeiten seien gefährlich gewesen, Klammer habe sich selbst und andere gefährdet. Der Polizei sei so, trotz Pressefreiheit, keine andere Wahl geblieben als Klammer von den Baumhäusern zu evakuieren. Ihm die Kosten in Rechnung zu stellen sei ebenso legitim, auch weil der Fotojournalist keine andere Möglichkeit hatte, die Bäume zu verlassen.

Für Fotojournalist*innen, die sich im Themenfeld Protest bewegen, vergrößert der Fall von David Klammer die Unsicherheit, was sie unter Berufung auf ihre journalistische Tätigkeit tun können und dürfen. Wie nah darf man an einer Wald- oder Hausbesetzung dran sein, ohne selbst damit rechnen zu müssen, strafrechtlich verfolgt oder mit Kosten überzogen zu werden? Freelens unterstützte in der Vergangenheit immer wieder Mitglieder, die sich solchen Problemen ausgesetzt sahen.

Über