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KI – GettyImages

Wie die Bildagentur die Kundschaft veräppelt

22.04.2025
Christoph Schütz / Erstveröffentlichung in der NZZ am Sonntag

Wenn Bildredakteure bei der renommierten Bildagentur Getty für die Illustration eines Artikels Fotografien suchen, stossen sie oft auf computergenerierte Bilder, die danach der Leserschaft fälschlicherweise als Abbild der Realität angeboten werden. Eine Spurensuche entlang eines Tiefseekabels.

Im Spätherbst letzten Jahres wurde in der Ostsee ein Tiefseekabel zerstört. Am 21. November haben unter anderem die Schweizer „Freiburger Nachrichten“ dieses Ereignis mit unten stehendem Bild der Bildagentur von Getty Images illustriert.

Bildzitat, Freiburger Nachrichten vom 21.11.2024

Auf Nachfrage bei der Zeitungsredaktion, ob es sich bei diesem Bild um eine Fotografie oder ein KI-generiertes Bild handeln würde, lautete die Antwort nach Rücksprache bei CH-Media, die den Freiburger Nachrichten den Artikel geliefert hat, es sei „kein KI-generiertes Foto“. Nachforschungen auf der Homepage der zu Getty gehörenden Bilddatenbank istockphoto.com ergaben erstens, dass das Bild dort als „Fotografie“ angeboten wird und zweitens, dass auf dieser Bilddatenbank keine KI-generierten Bilder angeboten werden. So weit so gut.

Doch die Zweifel an der Authentizität dieses Bildes waren damit nicht ausgeräumt: Liegt ein Tiefseekabel völlig unbeschmutzt auf einem derart blanken Meeresgrund? Woher stammt der Lichteinfall im Hintergrund des Bildes? Gibt es auf dem Meeresgrund tatsächlich solche Steinformationen, wie sie oben links im Bild zu sehen sind? Und wer ist eigentlich der Fotograf, der so tief unten auf dem Meeresgrund unterwegs war und dessen angebliche Fotografie Getty vertreibt?

Angesprochen auf diese Zweifel an der Authentizität des Bildes, teilte die bei CH-Media für den Einsatz von KI zuständige Expertin Alexandra Stark mit, man müsse sich bei Bildagenturen auf deren Angaben verlassen können. Dem ist beizupflichten, insbesondere bei Getty, weil diese Agentur in der Branche als seriöser Anbieter gilt, ein Kooperationspartner der Nachrichtenagentur AFP (Agence France Press) ist und selber seine Bildzulieferer ermahnt: „Das Vertrauen von Kunden in die Authentizität Ihrer Bilder ist wichtiger denn je.“

Auf der zu Getty gehörenden Plattform istockphoto.com sind folgende Infos zum Bild des Tiefseekabels verfügbar: »Underwater Fiber Optic Cable On Ocean Floor stock photo.« In insgesamt drei Chats mit drei unterschiedlichen KundenberaterInnen von istockphoto.com und Getty bestätigen alle drei, dass es sich um eine Fotografie handeln würde.  Auf die Nachfrage, ob es sich nicht um ein computergeneriertes Bild handeln könnte, will man dies abklären und sich wieder melden – doch die Antwort auf diese Frage bleibt wochenlang aus. Und die Kontaktdaten des unter dem Pseudonym „imaginima“ agierenden Fotografen gibt Getty nicht preis.

Eine intensive Internetrecherche ermöglicht schliesslich den direkten Kontakt zum Autoren: Dieser erklärt, das Bild sei keine Fotografie, sondern ein am Computer mittels 3D-Rendering erstelltes Bild. Hierzu wird über technische Daten zuerst die Form der darzustellenden Objekte definiert. Danach werden die so „gebauten“ Bildbestandteile mit Oberflächeneigenschaften ausgestattet (z.B. steiniger Untergrund) und dann die Lichtquellen und -effekte definiert. Am Schluss wird festgelegt, von welchem virtuellen Aufnahmestandpunkt aus und mit welcher virtuellen Objektivbrennweite das Bild errechnet werden soll. Mit dieser Technologie lassen sich mittlerweile dermassen fotorealistische Bilder erstellen, die von echten Fotografien nicht mehr zu unterscheiden sind. Oder mit anderen Worten: Mittels KI oder 3D-Rendering erstellte Bilder kann man bezüglich ihrer Authentizität auf eine Stufe stellen: Sie sind nicht authentisch, weil sie keine gewesene Realität abbilden, sondern eine solche bloss simulieren.

Angesprochen auf die Problematik, dass Getty seine so 3D-gerenderten Bilder als Fotografien anbietet, meint der Autor lapidar: Bei Getty seien schon immer solche künstlich erstellten Bilder als Fotografien angeboten worden. Von ihm selber findet man unter istockphoto.com über 2‘500 Bilder, bei denen es sich bei keinem um eine Fotografie handeln dürfte.

Bildzitat: Screenshot der bei istockphoto.com als Fotografien angebotenen,
computergenerierten Bilder von imaginima

Einige Tage nach dem dritten Chat mit dem Kundendienst von Getty folgt dann endlich auch die schriftliche Bestätigung von dort, dass es sich beim Bild des Tiefseekabels definitiv um keine Fotografie handelt.

Konfrontiert mit der Frage, weshalb am Computer generierte Bilder bei Getty dennoch als Fotografien deklariert werden, kommt von dessen Hauptsitz in Seattle nur eine ausweichende Antwort: »Bei den Inhalten in unserer Kreativbibliothek handelt es sich per Definition um kreative Werke, die von Künstlern, seien es Fotografen, Illustratoren oder andere, erstellt wurden. Dazu gehören sowohl mit der Kamera aufgenommene als auch mit Hilfe von Computersoftware und -tools erstellte Bilder.«

Dass es Getty mehr ums Geschäft als um die Authentizität von Bildern zu gehen scheint, wird an zwei weiteren Beispielen klar: Wählt man auf der Bilddatenbank eine Fotografie an, poppt der Vorschlag auf, diese Fotografie gleich mit KI zu verändern oder den Bildhintergrund zu entfernen.

 Intransparenz auch bei Bildmanipulationen 

Bezüglich Authentizität der bei Getty angebotenen Bilder ist ebenfalls problematisch, dass Getty-Kunden nicht erfahren, wenn Fotografien so massiv manipuliert worden sind, dass niemand mehr von einer authentischen Fotografie sprechen würde: Das untenstehende Beispiel zeigt, welche Bildmontagen in den kürzlich aktualisierten Richtlinien für Fotografen Getty als zulässig erachtet, ohne dass dies den Nutzern offengelegt wird:

Bildzitat: Screenshot aus den Bearbeitungsregeln von Getty Images.
Oben Originalfotografie, unten zulässige Änderungen, die nicht deklariert werden müssen.

Getty nimmt zur Frage, weshalb modifizierte Bilder nicht als solche gekennzeichnet werden, wie folgt Stellung: »Getty Images verfolgt eine strenge Richtlinie, nach der alle KI-generierten oder modifizierten Inhalte aus unseren kreativen und redaktionellen Bibliotheken abgelehnt werden.« Leider ist genau das Gegenteil der Fall, wie in den Regeln für die Retusche und Bearbeitung auf der Homepage von Getty nachzulesen ist: Für die Retouche sind KI-Tools in einem definierten Umfang zulässig und welche massivst modifizierten Inhalte das Unternehmen akzeptiert, zeigt obenstehendes Bildpaar.

Für Informationsmedien ist es wichtig zu wissen, was sie ihrer Leserschaft anbieten: Eine authentische Fotografie als Abbild einer gewesenen Realität, oder ein Bild, das zwar aussieht wie eine Fotografie, jedoch bloss eine Illustration ist, die am Computer oder mit KI erstellt worden ist. Dabei macht es aus Sicht der Medien und deren Publikum keinen Unterschied, ob es sich bei der fotorealistischen Illustration um ein KI-generiertes, oder um ein mit 3D-Rendering erstelltes Bild handelt: Beide lassen sich nicht mehr von Fotografien unterscheiden, entsprechend lässt sich ihre Verwendung nicht mit dem wohl wichtigsten Grundsatz journalistischer Berichterstattung vereinbaren: Der Faktentreue.

Kommentar

Die Fälle von KI-erzeugten Bildern in den Medien, die nicht mehr von Fotografien zu unterscheiden sind, nehmen leider zu. Kaum erstaunlich, dass das Vertrauen in die Medien im Sinkflug ist. Laut einer globalen, von Getty Images durchgeführten und 2024 publizierten Studie wünschen sich fast 90% der Verbraucher Transparenz bei KI-Bildern. Die Verlage in der Schweiz haben grösstenteils mit internen KI-Richtlinien auf diese Erkenntnis und den zunehmenden Vertrauensverlust reagiert. Das ist sinnvoll, löst das Problem aber nur teilweise, wenn Bildredaktionen – wie das Beispiel des Tiefseekabel-Bilds zeigt – sich nicht auf die Authentizität des Quellmaterials verlassen können. Solange Getty in der Kategorie „Fotografie“ künstlich generierte Bilder anbietet, die keine Fotografien sind, sollten seriöse Medien von dort aufgrund dieser Falschdeklaration keine Bilder mehr beziehen. Ansonsten laufen sie Gefahr, ihre Leserschaft an der Nase herumzuführen – unwissentlich zwar, aber  eben doch. Dieselbe Problematik dürfte auch andere Bildagenturen betreffen. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn Bildagenturen, die nicht nur Fotografien, sondern auch anders produzierte, fotorealistische Bilder anbieten, künftig authentische Fotografien als solche kennzeichnen würden. Zudem sollten sie die Fotografen verpflichten, Bildmanipulationen, die den Bildinhalt signifikant verändern, zu deklarieren. Und die Bildagenturen müssten diese Deklaration dann ihrerseits den Nutzern klar sichtbar machen.  Es ist wichtig, wenn auch nicht immer einfach, in unserer audiovisuellen Medien-, Kunst- und Marketingwelt, das Segment der journalistischen Berichterstattung gesondert zu behandeln. Faktenbasierter Journalismus ist nur möglich, wenn man sich auf vertrauenswürdiges Quellmaterial stützten kann.