Zum Hauptinhalt

Carlotta Steinkamp

Die Räumung

Ich beobachtete eine ganze Weile, wie die Polizei Leute von den Strukturen der Nachbarbäume holte. Schließlich wurde per Megafon durchgerufen, dass auch ich meine Plattform verlassen solle. Ich habe mich daraufhin bereit gemacht und abgeseilt. Als ich unten ankam, standen fünf oder sechs Einsatzkräfte um den Baum herum. Ich zeigte ihnen meinen Presseausweis, aber sie ließen mich nicht weiterarbeiten. Stattdessen fuhren sie mich mit einem kleinen SEK-Auto, das ein bisschen wie ein Golf-Buggy aussah, zur Abraumhalde am Waldrand.

Ich habe damals regelmäßig in besetzten Wäldern fotografiert. Im Fechenheimer Wald in Frankfurt zum Beispiel, im Altdorfer Wald bei Ravensburg, im Seehausener Stadtforst in der Altmark. Die Dokumentation dieser Besetzungen ist ein Langzeitprojekt von mir. Das ist weder ein Hobby noch ist es Aktivismus. Ich mache das als freie Fotojournalistin. Ich will wissen:

Was treibt die Menschen an, die Wälder besetzen? Wie funktionieren Protestcamps? Wie läuft so eine Räumung ab? Und ich denke, das ist auch im öffentlichen Interesse. Im Osterholz war ich im Herbst 2021 zum ersten Mal gewesen. Und dann alle ein bis zwei Wochen – bis zu jenem Tag im Januar, als die Polizei mich aus dem Wald eskortierte.

An der Abraumhalde stand eine Ansammlung von Polizeitransportern. Die Polizisten nahmen meinen Personalausweis und meinen Presseausweis mit, um meine Personalien aufzunehmen, und guckten in meinen Rucksack. Da waren Sachen für ein, zwei Tage in der Kälte drin: ein Schlafsack, eine Dose Ravioli, meine Fotoausrüstung. Keine illegalen Gegenstände, noch nicht einmal ein Taschenmesser. Einer fragte: „Mit dem Presseausweis reingemogelt, was?“ Dazu habe ich nichts gesagt, weil ich durchgefroren war und keine Energie dafür hatte. Irgendwann kam ein älterer Herr in Zivil, vielleicht der Einsatzleiter, und fragte: „Für wen arbeiten Sie denn?“ Und ich habe geantwortet, dass ich freie Journalistin bin. Da schnaubte er: „Ja dann ist ja alles klar.“ Schließlich wurde mir mitgeteilt, dass ich einen Platzverweis habe und Hausfriedensbruch begehe, wenn ich mich noch einmal im Einsatzbereich blicken lasse.

Ich finde es krass, dass die Polizei Pressevertreter*innen, die sich ihrer Meinung nach am falschen Ort aufgehalten haben, direkt einen Platzverweis erteilt. Jedenfalls musste ich gehen und durfte mich bis zum Ende der Rodung nicht mehr blicken lassen.

Das Osterholz ist ein Buchenmischwald mit teils mehr als hundert Jahre alten Bäumen. Solche Wälder sind mittlerweile selten in Deutschland. Es ist ein sehr schöner Wald. Die Gruppe, die das Rodungsgebiet besetzt hielt, hatte Interesse an meiner Arbeit. Ich habe manchmal Bilder gezeigt, und die fanden das cool. Entsprechend einfach war es für mich, dort zu fotografieren. Außerdem habe ich mir gerne angehört, was die Leute zu erzählen hatten. Ich wollte deren Perspektive verstehen. Einmal habe ich auch einen Artikel über das Osterholz geschrieben, in der linken Tageszeitung Junge Welt.

Die Anklage

Nach dem Platzverweis ist lange nichts passiert. Aber im Februar 2023, mehr als ein Jahr später, war ein Strafbefehl in der Post. Der Waldeigentümer, dem auch der Steinbruch gehört, warf mir Hausfriedensbruch vor. Ich nahm mir einen Anwalt, der mit dem Eigentümer und dem Staatsanwalt geredet hat. Wir baten darum, die Sache fallen zu lassen. Wir erwarteten, dass der Vorfall zu geringfügig und der Vorwurf wegen des Presseausweises zu wenig stichhaltig sei, als dass sie das ernsthaft weiter verfolgen würden. Wir irrten uns.

Im Mai 2023 stand ich also vor dem Amtsgericht Wuppertal. Es war ein Verhandlungstag angesetzt. Und dann passierte, womit ich echt nicht gerechnet hatte. Ich wurde verurteilt. Die Begründung: Ich hätte den eingezäunten Rodungsbereich nicht verlassen, als der Eigentümer diese Aufforderung per Megafon an alle im Wald durchgesagt habe.

Der Staatsanwalt sah den Inhalt meines Rucksacks als Indiz an, dass ich – wie eine Aktivistin – im Wald gelebt hätte und nicht nur zum Arbeiten dort gewesen sei. Ich meine: Auch beim Arbeiten muss einem ja nicht unbedingt eiskalt sein, aber wie auch immer. Der Grundstücksbesitzer betonte mehrmals, dass er mich nicht als vollwertige Journalistin ansehe. Er behauptete, ich hätte mir am Tag vor der Räumung eine Presseweste übergezogen. Er hatte zur Verhandlung meinen Artikel aus der Jungen Welt dabei. Ich glaube, der hat ihm nicht gefallen.

Den Presseaspekt hat die Richterin nicht weiter beachtet. Sie verhängte sechzig Tagessätze à 30 Euro

– 1800 Euro Strafe. Für mich ist das viel Geld, ich studiere noch. Mein Anwalt empfahl mir, Berufung einzulegen, aber nicht wegen des Geldes, sondern weil man so etwas nicht auf sich sitzen lassen kann.

Obwohl Artikel 5 des Grundgesetzes die Freiheit der Berichterstattung garantiert, haben Journalistinnen und Journalisten in Deutschland in letzter Zeit immer wieder Probleme, frei über Klimaproteste zu berichten. Oft muss man sich bei der Polizei akkreditieren, um überhaupt bis zum Einsatzort zu kommen. Dabei sollte man sich mit dem Presseausweis frei bewegen dürfen. Im Braunkohledorf Lützerath kam es bei der Räumung Anfang 2023 sogar zu Handgreiflichkeiten von Einsatzkräften gegen Medienschaffende.

Behinderungen bei Klimaprotesten sind einer der Gründe dafür, dass die Organisation Reporter ohne Grenzen Deutschland im vergangenen Jahr in der Weltrangliste der Pressefreiheit um fünf Plätze herabgestuft hat: von 16 auf 21.

Im Moment arbeite ich nicht mehr viel am Thema Waldbesetzungen. Zuletzt war ich im Januar bei der Räumung der Leinemasch dabei, einem Auengebiet bei Hannover, das einer Schnellstraße zum Opfer fällt. Die Erfahrung aus dem Osterholz habe ich immer im Hinterkopf. Mein Verfahren läuft noch. Das macht mich vorsichtiger, als ich sein möchte.

Zweieinhalb Jahre zieht sich die Sache nun schon hin. Natürlich belastet mich das. Das Berufungsverfahren ist jetzt für Anfang Juni vor dem Landgericht Wuppertal angesetzt. Ich erwarte, dass dann die Rolle der Presse diskutiert wird. Vielleicht kommt es zur Einstellung wegen Geringfügigkeit. Aber im Prinzip wäre das einzig Richtige für mich ein Freispruch. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.

  Erschienen im Greenpeace Magazin 3.24