Pandemie. 365 Tage Corona
Als Frank Molter im Februar 2020 in Melbourne Zeuge wird, wie ein Restaurant schließen muss, weil ein Mann aus China andere Gäste mit einem Virus angesteckt haben soll, denkt sich der Kieler Fotograf nichts Großes dabei. Zwei Wochen später sieht die Welt ganz anders aus. Das Virus – namens SARS-CoV-2 – ist längst in Europa angekommen.
Selbst das unaufgeregte Leben im beschaulichen Schleswig-Holstein wird in den kommenden Monaten auf den Kopf gestellt. Angetrieben von dem Gefühl, Zeitzeuge von etwas noch nie Dagewesenem zu sein, nimmt Frank Molter am 15. März 2020 um 12:46 Uhr das erste Pandemie-Foto seines Lebens auf. Dass sich seine Zeitreise durch den Ausnahmezustand zwischen Nord- und Ostsee über ein Jahr lang hinziehen wird, ahnt der 48-Jährige nicht. Am 15. März 2021 drückt er für sein Projekt abermals um 12:46 Uhr an selber Stelle zum letzten Mal den Auslöser. Mittlerweile summieren sich in Molters Archiv Hunderte von Motiven – eingefroren als Logbuch pandemischer Momente im Norden der Republik.
Der Beginn seines Projektes kam für Frank Molter reflexartig. »Während des Frühlings-Lockdowns brachen plötzlich so viele Aufträge weg. Aber nichts zu tun, war auch keine Lösung. Und da lag ja ganz offensichtlich ein Thema auf der Straße, was dokumentiert werden musste«, sagt der Soloselbständige im Rückblick. In Corona freien Jahren normalerweise als Unternehmens-, Reportage und Agenturfotograf gebucht, nutzte Molter seine Zeit, um »ein persönliches und authentisches Zeitdokument zu erstellen«. Ungeschönt.
Mal auf eigene Faust unterwegs, mal im Auftrag für die Nachrichtenagentur dpa erlebt Molter skurrile Situationen. »Gespenstisch war es, als ich am Strand von St. Peter Ording knapp eine Stunde lang keine Menschenseele getroffen habe. Und das bei bestem Wetter«, erzählt Molter. Er trifft auf seinen Reisen einen Pastor bei einem Open-Air-Gottesdienst, besucht ein wegen der Grenzschließung getrenntes Senioren-Liebespaar an der dänischen Grenze, oder beobachtet Menschen in einer Kneipe, die sich wegen undurchsichtiger Milchglasscheiben nicht mehr sehen können – Plexiglas war längst ausverkauft. Währenddessen überschlagen sich die Ereignisse in einem Tempo, das vielen Menschen Angst macht. Schulen und Sportstätten werden geschlossen. Das Land Schleswig-Holstein ist für Touristen dicht. Personen in Alten- und Pflegeheimen dürfen ihre Angehörigen nicht mehr sehen.
Trotz der spürbaren Verunsicherung und den Einschränkungen beobachtet Frank Molter, wie das Leben – wie immer – in kleinen Schritten weiter geht. Nur eben anders. »Ich frage mich aber, was die Pandemie mit uns macht. Wie haben ›Social Distancing‹ und Ausgehverbote unsere sozialen Kontakte und das Miteinander verändert?«, sagt der Kieler.
Corona hat sich auf alle Bereiche des Lebens ausgewirkt und ist für viele Berufsgruppen, einschließlich Fotograf:innen, zu einer Zeit von Prüfungen und Schwierigkeiten geworden. Der Frage, was aus Künstler:innen und anderen Soloselbständigen wird, wenn Veranstaltungen abgesagt werden müssen oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, geht Molter in seinem Bildband in einer Porträtserie nach. In kurzen Texten kommen direkt Betroffene aus den unterschiedlichsten Bereichen zu Wort.
Finanzieren konnte der Kieler sein Erstlingswerk mit Hilfe einer Förderung durch den Landeskulturverband Schleswig-Holstein (Kulturhilfe) und eines Stipendiums der VG Bildkunst. »Mein Projekt ist nur vorübergehend abgeschlossen. Wer weiß, was uns noch alles ereilt und wie lange uns Corona noch beschäftigen wird«, sagt Molter. Seine Motivation ist auf jeden Fall ungebrochen: »Es gibt noch so viele Geschichten zu erzählen«. Zum Beispiel die, ob die »alte« Normalität jemals zurückkehren wird? Und was das überhaupt bedeutet.
Das Buch erschien im Eigenverlag und ist beim Fotografen erhältlich (info@frankmolter.de).
Frank Molter
Pandemie. 365 Tage Corona
139 Seiten, Hardcover, 24cm x 34cm, 39,95 Euro.
Kiel, 2021, Eigenverlag
www.frankmolter.de