Neos Kosmos – interaktiver Longread über eine Gesellschaft in der Krise
Ende August lief das vorerst letzte Hilfspaket für Griechenland aus. Seit 2010 hatten die EU-Partner und der Internationale Währungsfonds das überschuldete Land mit insgesamt 289 Milliarden Euro an vergünstigten Krediten vor der Staatspleite bewahrt. Im Gegenzug musste Athen harte Reformen, Sozialkürzungen sowie Steuererhöhungen durchsetzen und sich verpflichten, daran festzuhalten.
Ein passender Anlass, sich noch einmal umfassend mit der Situation vor Ort zu beschäftigen. Im März und April 2018 bereiste der Autor Lukas Schepers zusammen mit den Fotografen Philipp Meuser und Kolja Warnecke Griechenland, um zu untersuchen, wie sich der wirtschaftliche Kollaps auf das Verhalten und den Zeitgeist der Bevölkerung auswirkt. Dabei begegneten sie einer Vielzahl von Menschen aus unterschiedlichsten Milieus und sozialen Schichten, anstatt sich auf bloße Kennzahlen der Wirtschaft zu stützen.
Sie sprachen unter anderem mit dem religiösen Oberhaupt der autonomen Mönchsrepublik Athos, sowie mit einem Facharzt, der neben seiner Arbeit in der Athener Staatsklinik eine Sozialklinik für die finanziell Benachteiligten gegründet hat und einem Kollektiv, welches die Fabrik ihres ehemaligen Arbeitgebers besetzt hat und nun autonom verwaltet.
Sie besuchten ein Gärtnereiprojekt für Jugendliche mit Behinderungen, ein leergefegtes Bauerndorf, in denen sich der Rechtsextremismus breit macht und ein antikes Weltkulturerbe, das wegen seiner peripheren Lage keine Hoffnung auf baldige Restaurierung hat.
Aus den gesammelten Eindrücken, Fotos, Video- und Tonaufnahmen gestaltete das Team einen abwechslungsreich aufgebauten dokumentarisch-künstlerischen Longread – und beweist damit, dass auch umfangreiche Texte im digitalen Journalismus gut funktionieren können.
Das freie Projekt entwickelt in sieben Kapiteln (benannt nach zu dem jeweiligen Thema passenden griechischen Göttern) eine Erzählstruktur, die teils nüchtern deskriptiv, teils in reportageartigem Stil aufzeigt, welch tiefe Spuren der achtjährige Sparkurs infolge der griechischen Finanzkrise bei den Menschen hinterlassen hat. Und das beinhaltet nicht nur die negativen Folgen, sondern ebenfalls eine Vielzahl von bewundernswerten Initiativen, die aus der Not entstanden sind.