Wie war’s in Perpignan?
»A photo should not be of something but about something.«
Lars Boering, Geschäftsführer World Press Photo
Alles ist gut. Der Flug und die Busfahrt durch Paris waren stressfrei, das Wetter in Perpignan stimmt und das »Grand Café de la Poste«, die inoffizielle Kantine der Visa pour l’image, des nunmehr im 27. Jahr stattfindenden Fotofestivals, steht noch.
Ein Schnelldurchlauf im Couvent des Minimes, dem größten Ausstellungsort mit 16 Ausstellungen, bestätigt zuverlässig die Erkenntnis der letzten – eigentlich aller – Jahre: Zu viele Bilder. In epischer Breite werden Reportagen mit sich wiederholenden Motiven gehängt. Das Gute ist der Feind des Besseren – hier kann man es greifen. Können Fotografen nicht editieren?
Jean-François Leroy, Gründer und Direktor des Internationalen Festivals für Fotojournalismus, meint nein. Im Editorial des diesjährigen Programmheftes feiert er die Rekordanzahl von 4.500 Einsendungen. Nicht alle waren gut, klar. Es waren gute Ideen darunter; die Technik war meistens gut, aber das Editing! Wenn er eine allgemeine Aussage zu den Einsendung machen könne, dann diese: Das Editing ist schlecht, manchmal entsetzlich.
Es stellt sich natürlich sofort die Frage, warum er Ausstellungen zeigt, die schlecht editiert sind – denn das sind sie, darüber sind sich alle einig, die abends im »Grand Café de la Poste« die Ausstellungen noch einmal durchgehen. Dazu muss man wissen, dass Fotografen mindestens 50-150 Fotos einsenden müssen, um sich für eine Ausstellung zu bewerben. Da bleibt es nicht aus, dass sie auch die B-Auswahl mitsenden. Anscheinend greift das Festival zuverlässig darauf zu. Im Editorial hatte Jean-François Leroy noch einen Hilferuf an die Fotoredakteure gesendet: »Photographers need you«. Man ist geneigt zurückzurufen: »Das Festival braucht einen Kurator!«
Denn es ist augenfällig, dass sich über Jahre die ausgestellten Geschichten gleichen. Es mag sein, dass Franzosen auf Grund ihrer Kolonialgeschichte ein besonderes Augenmerk auf Afrika richten müssen und dass es unumgänglich ist, Geschichten zu zeigen, die eng mit den Sponsoren verknüpft sind. Für ein internationales Festival ist das nicht hilfreich.
Und es ist traurig, im Zwiegespräch häufig zu hören, dass man nicht wegen der Fotografie nach Perpignan fährt. Dieses Festival benötigt eine Generalüberholung.
Bleibt die Frage nach den abendlichen Präsentationen, die ab montags im grandiosen »Campo Santo« und ab donnerstags parallel auf dem »Place de la République« gezeigt werden. Neben dem interessanten Jahresrückblick – jeden Abend werden zwei Monate des vergangenen Jahres gezeigt – werden Fotografen und ihre Geschichten präsentiert. Die Locations sind erstklassig, die Technik auch – aber… Muss man alle Möglichkeiten, die Powerpoint bietet, auch anwenden? Warum werden Bilder ins Bild – das gleiche – kopiert. Warum sehen wir Ausschnitte? Warum überlagern sich Bilder? Warum lösen sich Bilder auf, drehen sich weg? Warum muss das alles noch mit unpassender Musik unterlegt werden? Warum vertraut die Visa nicht auf die Kraft der Fotos und zeigt sie einfach?
Wer einmal auf der »Les Rencontres d’Arles« oder bei der Verleihung der »World Press Photo« Awards in Amsterdam war, konnte beobachten, wie sorgsam die Veranstalter mit den Fotografen und Fotos umgehen – sie sind immer der Mittelpunkt der Veranstaltung und werden gefeiert.
Apropos World Press. Die World Press Ausstellung wurde in diesem Jahr nicht in Perpignan gezeigt. Am 4. März 2015 verkündete Jean-François Leroy, dass der (von World Press disqualifizierte) Fotograf Giovanni Troilo ein Künstler sei, vielleicht sogar ein talentierter. Darüber hinaus ließe ihm sein selbsternannter Status als Nicht-Journalist viele Möglichkeiten, sich außerhalb der Visa zu präsentieren. Deshalb hätte die Visa entschieden, die World Press Ausstellung nicht in Perpignan zu zeigen.
Mit Spannung wurde daher die Diskussion zwischen Jean-François Leroy und Lars Boering, dem Geschäftsführer der Word Press Foundation, erwartet. Und die Zuhörer wurden nicht enttäuscht – es prallten zwei Welten aufeinander.
Als das größte Magazin der Welt – nicht weniger – bezeichnete Jean-François Leroy die Visa und lieferte gleich eine neue Begründung mit, warum die World Press Ausstellung in diesem Jahr nicht gezeigt wird: Er sei mit der Entscheidung nicht einverstanden, das Foto von Mads Nissen zum Foto des Jahres zu küren. Denn Homophobie sei nicht so ein wichtiges Thema wie der Irak, Syrien, Afghanistan etc. Ein Bild sage mehr als 1.000 Worte und er könne keine Bilder mehr sehen, bei denen man 10.000 Worte benötigt, um sie zu erklären.
Abgesehen davon, dass man nicht viele Worte braucht – wenn überhaupt –, um die Arbeit von Mads Nissen zu verstehen und zu schätzen, zeigt die Ansicht von Jean-François Leroy seine sehr traditionelle Sicht auf den Fotojournalismus.
Weiterhin führte Leroy aus, es müsse sich bei dem Foto um eine gestellte Situation handeln – würde doch niemand in Anwesenheit eines Fotografen Sex haben. Über »gestellte oder nicht gestellte Fotos« kann man trefflich streiten. Es ist eine Binsenweisheit, dass Fotografen allein durch ihre Anwesenheit Situationen mindestens verändern. Allerdings gilt dies genauso für die Kriegs- und Krisensituationen, wie sie überwiegend in Perpignan gezeigt werden.
Lars Boering, der erst im Januar 2015 zum Geschäftsführer der World Press Foundation berufen wurde, verteidigte die Entscheidung der Jury und erklärte, dass die Richtlinien von World Press bisher keine Regeln zu »gestellten Fotos« beinhalten. Er halte aber das Grundvertrauen in die Arbeit von Fotografen für wesentlich und werde nie jemanden ohne Beweise anklagen. Er werde dafür sorgen, die Regeln von World Press so klar zu definieren und zu kommunizieren, dass es in Zukunft nicht mehr zu strittigen Entscheidungen kommt.
Jean-François Leroy setzte dann noch einen drauf: »Porträts können keine Geschichten erzählen und sind nur etwas für faule Fotografen.« und weiter: »Auch das World Press Photo 2009 von Pietro Masturzo, das Frauen auf einem Dach in Teheran zeigt, die lauthals gegen die Präsidentschaftswahlen protestieren, hätte ebenso gut in Perpignan auf irgendeinem Dach aufgenommen worden sein können.«
Spätestens jetzt hatte sich Jean-François Leroy aus der Diskussion verabschiedet und redete mit sich selbst. Der freundliche Versuch von Lars Boering, ihn darauf hinzuweisen, dass die Fotografie sich ständig verändert und die World Press Jury versucht, diese Veränderungen in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, konterte Jean-François Leroy mit der Aussage, dass er nicht verstehe, warum dauernd versucht wird, in der Fotografie alles neu zu erfinden. Schließlich repräsentiere sein Festival den Fotojournalismus und nicht World Press – basta.
Der Einwand von Lars Boering, dass World Press im Vergleich zur Visa pour l’image international ausgerichtet sei und dort nicht nur eine Person über alles entscheidet, brachte den ersten Zwischenapplaus des Publikums.
Boering versuchte weiter, Jean-François Leroy zu erklären, dass World Press Photo mehr sei als ein Wettbewerb, und dass zu den Aufgaben der Stiftung gehöre, neben erzieherischen Tätigkeiten die Bedeutung des Journalismus zu betonen. Seiner Meinung nach sei Storytelling nicht altmodisch, sondern bedeutender denn je und das Herz des Fotojournalismus. Nur würde man heute nicht mehr Geschichten erzählen wie einst die Höhlenmenschen.
Auch diese Breitseite prallte an Leroy ab.
Aber muss man wirklich alles so negativ darstellen? Nein. Nach wie vor ist die jährliche Visa pour l’image »der« Treffpunkt der Fotojournalistenszene. Nirgendwo ist es einfacher, mit so vielen Fotografen, Agenturvertretern und Redakteuren ins Gespräch zu kommen und Netzwerke zu pflegen – und dies in einer entspannten und freundlichen Atmosphäre. Dafür sorgen schon die 2.000 angereisten Festivalbesucher selbst.
So, wie war’s denn nun in Perpignan? So wie nächstes Jahr.