Ausstellungseröffnung
Christoph Bangert

Vernissage von »Hello Camel« in der FREELENS Galerie

Rede anlässlich der Eröffnung von Christoph Bangerts Ausstellung »Hello Camel« am 9. Juni 2016 in der FREELENS Galerie. Von Fred Grimm

»I’ve never laughed as hard as I did in war.«

»Ich habe noch nie so sehr gelacht wie im Krieg.«

Dieser Satz stammt vom Fotografen Christoph Bangert. Er hat ihn in das Vorwort seines neuen Buches »Hello Camel« geschrieben. Das mögliche Befremden, ja: Entsetzen, seiner Leserinnen und Leser kalkuliert er bewusst mit ein.

»Ich habe noch nie so sehr gelacht wie im Krieg.«

Ist der Mann irre? Der Krieg ist doch nicht zum Lachen, ganz im Gegenteil: Krieg ist der Inbegriff all des Schrecklichen, was Menschen einander antun können. Und Christoph Bangert reist doch seit über zehn Jahren immer wieder in die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt. Er war im Irak oder in Afghanistan, hat tote Säuglinge gesehen, von Bomben zerfetzte Körper. Er sah das langsame Sterben eines alten Mannes, der zu verbrannt war, um ihn noch zu retten. Er fotografierte einen Geköpften, dessen Leiche man auf einen Müllhaufen geworfen hatte wie einen Plastiksack mit Essensresten – und dann so ein Satz?

Vernissage Hello Camel von Christoph Bangert in der Freelens Galerie am 09.06.2016
Foto: Philipp Reiss

Zwei Aspekte des Krieges sind in den Medien komplett unterrepräsentiert, sagt Christoph Bangert. Das echte Grauen und seine Absurdität. Ohne sie machen wir uns ein verkürztes, verfälschtes Bild davon, was der Krieg wirklich für die Menschen bedeutet. Vor zwei Jahren veröffentlichte Christoph Bangert das Buch »War Porn«. Viele von Ihnen werden es kennen. Einige Seiten muss man erst aufschneiden, bevor man die Bilder sehen kann. Eine geniale Idee, denn sie zwingt einen zum Innehalten, bevor man auf all die Fotografien stößt, die niemand veröffentlichen mochte.

Sie zeigen den Horror des Krieges in ungefilterter Brutalität und natürlich kann Christoph Bangert nachvollziehen, dass diese Bilder von Notoperationen, von Verstümmelten und Verwesten sich nicht unbedingt eignen für die Lektüre am Frühstückstisch. Aber soll man sie deshalb ganz weglassen? Wen schont man, wenn man das echte Grauen vor der Welt versteckt? Soll man als Fotograf das Feld den elegischen Schlachtenbildern überlassen, mit ihren kernigen Soldaten, den spektakulären Explosionen, dem dekorativ aufsteigenden Rauch in der Ferne und den mindestens ebenso dekorativen Tränen der Hinterbliebenen?

Vernissage Hello Camel von Christoph Bangert in der Freelens Galerie am 09.06.2016
Foto: Philipp Reiss

Christoph Bangert wollte die Welt an seinen eigenen, verstörenden Erfahrungen teilhaben lassen, weil nur dies ihm das Recht verleiht, vor Ort zu sein. Im klassisch journalistischen Sinne versteht er sich in diesen Kriegsgebieten als Auge des Lesers. Und er fühlt eine doppelte Verpflichtung. Diesen Lesern gegenüber, aber vor allem gegenüber den Opfern, deren Leid nicht unbezeugt bleiben darf. »Wenn wir den Horror in der Berichterstattung weglassen«, hat er einmal dazu gesagt, »dann ist es, als hätten diese Ereignisse nie stattgefunden.«

Doch der Krieg hat auch noch eine zweite Seite, die wir für gewöhnlich nicht zu Gesicht bekommen. Sie ist ziemlich langweilig. Eigentlich passiert nicht viel. Soldaten, Kinder, Geschäftsleute, Hausfrauen, Verkrüppelte – sie alle versuchen sich irgendwie einzurichten in dieser unnormalen Normalität: Aufräumen, sauber machen, irgendwas verkaufen, vielleicht sogar heiraten. Eigentlich sinnlos das Ganze, weil jeden Augenblick alles vorbei sein kann, aber man macht eben einfach weiter.

Wenn man diesen Aspekt des Krieges fotografiert, fallen die Reaktionen auf die Bilder nicht so heftig aus wie auf den Horror. Aber zeigen mag man ihn genauso wenig. Nicht dass am Ende noch einer lacht, über den Krieg. Wer druckt schon ein Bild von der vorbildlichen tragbaren Papptoilette, die die Bundeswehr für ihre Soldaten in Afghanistan bereitstellt? Wo zeigt man das Foto einer Zielscheibe, an der die deutschen Soldaten für den Ernstfall üben? Darauf verstecken sich die imaginären Feinde zwischen malerischen Bäumen. Als würde man irgendwo im deutschen Laubwald kämpfen und eben nicht in der baumlosen Ödnis der afghanischen Berge.

Vernissage Hello Camel von Christoph Bangert in der Freelens Galerie am 09.06.2016
Foto: Philipp Reiss

Und dann natürlich das wunderbare Bild, das dem Projekt seinen Namen gab. Die Begegnung zwischen einem irakischen Kamel und einer Einheit amerikanischer Soldaten, ein Culture Clash, wie man ihn sich nicht besser ausdenken kann. Wer sich wohl mehr erschrocken hat? Das Kamel? Oder die jungen Männer auf ihrer allerersten Auslandsreise, frisch eingeflogen aus Kentucky, Idaho oder woherauchimmer? Christoph hat mir erzählt, dass die Soldaten begeistert »Camel! Camel« geschrien haben, sobald eins auftauchte. Was ziemlich oft vorkam. Schließlich sind Kamele im Irak so verbreitet wie Kühe in Schleswig-Holstein.

Das »Hello Camel«-Foto erinnert mich in seinem Zusammenprall von Brutalität und Banalität, von Tourismus und Terror, an das zeitlos schöne Motto, das sich US-Soldaten seit dem Vietnamkrieg auf ihre T-Shirts schreiben: »Join the army, travel the world, meet interesting people and kill them.«

Ich habe Christoph Bangert vor vier Jahren bei der Arbeit am Buch »Bilderkrieger« kennengelernt. Das Buch basiert auf Gesprächen, die der amerikanische Fotoreporter Mike Kamber mit Kolleginnen und Kollegen geführt hat, die – wir er – in Kriegsgebieten gearbeitet haben. Mikes Interview mit Christoph hatte uns so beeindruckt, dass wir es ganz an den Anfang des Buches setzten. Es ging darin auch um die Ermüdung der Öffentlichkeit angesichts immer neuer Schreckensbilder, die einen täglich in den Nachrichten heimsuchen. Warum noch fotografieren, was keiner mehr sehen mag? Christoph hielt ein ziemlich energisches Plädoyer dagegen. Ich darf zitieren: »Wenn Leute uns kritisieren und sagen: »Die Menschen haben die Nase voll von diesem Fotokram, Bilder vom Krieg, es berührt sie einfach nicht mehr«, dann ist mir das egal. Ich mache das nicht, um jemandem zu gefallen. Ich mache das, weil ich es für wichtig halte, dass das dokumentiert wird. Wenn Leute sagen, sie haben die Nase voll davon – scheiß drauf!«

Vernissage Hello Camel von Christoph Bangert in der Freelens Galerie am 09.06.2016
Foto: Philipp Reiss

Das hört sich vielleicht an wie die kompromisslose Position eines unverbesserlichen Moralisten. Aber gibt es wirklich eine Verpflichtung für uns, das Publikum, Bilder anzusehen, nur weil sie Unrecht und Elend zeigen? Natürlich nicht. Gerade in diesen visuell gesättigten Zeiten, in denen jeden einzelnen Tag unfassbare 1,8 Milliarden neue Bilder online gestellt werden, bekennt sich Christoph auf beinahe altmodische Weise zum Handwerk der Reportagefotografie. Man muss es eben auch können. Geschichten in sechs Bildern erzählen, statt in 6000. Aufnahmen machen, denen sich der Betrachter einfach nicht entziehen kann, selbst wenn er will.

In dem Gespräch mit Mike Kamber hatte Christoph erklärt – ich zitiere noch einmal: »Manchmal werde ich kritisiert: Deine Bilder sind ja viel zu schön. Ich habe damit kein Problem. Muss ich ein schlechtes Foto machen, nur weil die Dinge schrecklich sind, die ich sehe? Die Menschen tendieren nun einmal dazu, eher visuell gelungene Bilder anzusehen als langweilige. Warum sollten wir ganz simple Fotos machen, wenn wir auch sehr ästhetische, vielschichtige, faszinierende machen können?«

Ich denke, dass die Bilder, die hier heute Abend ihre Weltpremiere erleben, diesen Anspruch aufs Wunderbarste einlösen. Wie bei seinem Buch »War Porn« hat Christoph auch bei »Hello Camel« eng mit seiner Frau Chiho zusammen gearbeitet. Die ist Grafikdesignerin, was für einen Fotografen schon mal grundsätzlich eine sehr gute Wahl ist. Chiho würde um ihr Leben nicht in all die Kriegsgebiete reisen, die Christoph mit seiner Kamera besucht.

Vernissage Hello Camel von Christoph Bangert in der Freelens Galerie am 09.06.2016
Foto: Philipp Reiss

Die Auswahl der Fotos für das Buch und damit auch für diese Ausstellung, die Christoph und Chiho gemeinsam vornahmen, war wohl nicht ganz einfach. Die meisten von Ihnen kennen diesen ewigen Konflikt zwischen dem Fotografen und den Betrachtern seiner Bilder. Der Fotograf verbindet mit dem Bild immer auch das Erlebte. Er hört und riecht es förmlich, oft auch noch Jahre nach der Aufnahme. Der Betrachter sieht nur das, was er eben sieht. Und das ist mitunter nicht immer ganz so intensiv wie das, was der Fotograf beim Fotografieren gefühlt hat. Jedes Bild, das Sie heute Abend hier sehen, hat letztlich also nicht nur Christoph, sondern auch Chiho überzeugt und so können Sie sichergehen, dass Sie hier wirklich nur das Allerbeste vom Besten zu Gesicht bekommen.

Für mich vermitteln diese Aufnahmen neben ihrem ästhetischen Reiz tatsächlich eine Ahnung von dem, was Kriege wie im Irak oder in Afghanistan eben auch ausmachen: Die Langeweile, die vielen kulturellen Missverständnisse, die latente Komik, die daraus erwächst. Auf sehr eindringliche Weise erzählt »Hello Camel« vom menschlichen Scheitern – im Kleinen wie im ganz Großen. Aber eben auch von der Sehnsucht der Menschen nach Ordnung und Schönheit und von ihrem Aufbegehren, sich gegen das Chaos und die Sinnlosigkeit des Krieges zur Wehr zu setzen: Die opulente Hochzeit im Bagdad des Krieges, zum Beispiel. Oder die Poster vom Paradies, die an Orten hängen, welche einen eher an die Hölle denken lassen.

Vernissage Hello Camel von Christoph Bangert in der Freelens Galerie am 09.06.2016
Foto: Philipp Reiss

Für mich zeigen diese Bilder nicht nur Christophs ganz besonderen Blick für das Absurde. Sie zeigen auch seine Suche nach Menschlichkeit mitten in den schlimmsten Zeiten, die man sich nur vorstellen kann. Das ist für mich eine Fähigkeit, ohne die kein Fotoreporter ein wirklich Großer werden kann.

Vor vielen Jahren habe ich meine Großmutter mal gefragt, wie das eigentlich so war, damals im Krieg. Und sie erzählte mir eine Geschichte, die ganz anders war als ich es erwartet hätte. Sie erzählte mir, wie sie in einer dieser Bombennächte mit meinem vierjährigen Vater auf dem Schoß im Luftschutzkeller hockte und es plötzlich so laut rummste wie sie es nie zuvor gehört hatte. Und dann noch mal und noch mal und dann war klar, die Häuser in der unmittelbaren Umgebung waren alle hin. In dem Augenblick begriff meine Großmutter, dass auch von ihrer Wohnung nichts mehr übrig war und was machte sie? Sie bekam einen Lachkrampf. Die Menschen um sie herum machten sich Sorgen. Mein Vater fing an zu heulen. Meine Oma konnte sich kaum beruhigen. War sie vielleicht verrückt geworden? Nichts da, sie musste nur über den ersten Gedanken lachen, der ihr kam, als die Bombe einschlug: »Scheiße, ich habe doch gerade erst die frisch gewaschenen Gardinen aufgehängt.«

»Entweder man lacht«, heißt es in dem Vorwort zu »Hello Camel«. »Oder man stirbt.«

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute Abend viel Vergnügen mit den Bildern von Christoph Bangert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.