Ausstellungseröffnung
Robert Lebeck

Vernissage von »Deutschland im März« in der FREELENS Galerie

Einführende Worte zur Eröffnung der Robert Lebeck Ausstellung »Deutschland im März« am 21. März 2019 in der FREELENS Galerie: »A Man With a Mission« von Harald Willenbrock

»Deutschland im März«, jene Großreportage von Robert Lebeck und Heinrich Jaenecke, deren Bilder Peter Lindhorst und das FREELENS-Team uns hier heute zeigen, erschien am 3. März 1983 im Stern. Ihr Titel war kein zufällig gewählter, sondern eine Anspielung auf den Episodenfilm »Deutschland im Herbst« aus den siebziger Jahren, der ein Land im Trauma des RAF-Terrors zeigte. Und auch die Bundesrepublik, die Robert Lebeck in seiner Reportage zeigt, scheint irgendwie schwer im Verfall begriffen. Es war ja auch nicht irgendein März, sondern der März des Jahres 1983 – eines, so scheint es im Rückblick, ziemlich tristen Jahres.

– Westdeutschland steht damals vor der Stationierung von Mittelstreckenraketen. Aus dem Osten drohen SS20-Sprengköpfe. Die Bundesbürger fürchten ein Wettrüsten.

– In Bremen macht die traditionsreiche Werft »AG Weser« dicht. Die Arbeitslosigkeit steigt auf 2,3 Millionen Menschen und erreicht damit den höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik.

– Das Bundesverfassungsgericht stoppt erst in letzter Minute eine Volkszählung, die viele Bundesbürger als massiven Ausforschungsversuch empfunden hatten.

– In einer Lagerhalle in Nordfrankreich findet man 51 Fässer mit Gifterde aus Seveso. In Deutschland sterben die Wälder – kein Wunder, dass die noch junge Partei der Grünen massiv Zulauf erhält.

Im Herbst zuvor war Bundeskanzler Helmut Schmidt durch ein Misstrauensvotum seines Amtes enthoben worden. Damit endete unwiderruflich die sozialliberale Ära, die mit dem Namen Willy Brandt und der Entspannungspolitik verbunden gewesen war. Die Neuwahlen, mit denen sich Helmut Kohl als Bundeskanzler bestätigen lassen will, werden auf den 6. März 1983 festgelegt.

Peter Lindhorst, Kurator der FREELENS Galerie (rechts), bei der Begrüßung von Cordula Lebeck (links) und Harald Willenbrock (Mitte). Foto: Lucas Wahl

Zwei Monate vor der Wahl schickt die Stern-Redaktion ihren Fotografen Robert Lebeck auf eine wochenlange Erkundungsreise durch Deutschland.

Wir wissen leider nicht, ob und wenn ja: welches Briefing Robert mit auf den Weg bekommen hatte. Mir erzählte er nur, er habe zu Anfang nicht gewusst, was und wen er fotografieren sollte, denn das Ungewöhnliche vor der Haustür einzufangen sei naturgemäß schwieriger als exotische Motive. Also sei er einfach losgefahren, ohne Ziel und Plan, bis sich schließlich ein Motiv nach dem anderen ergeben habe.

Interessant ist, dass Robert bei dieser Reise Schwarzweißfilme in seine Leica einlegte. Eigentlich fotografierte er nämlich bereits seit den sechziger Jahren in Farbe. In schwarzweiß aber wirkten die Bilder deutscher Wirklichkeit – beziehungsweise dem, was der Stern als deutschen Alltag präsentierte – noch einmal deprimierender. Kein Wunder, dass viele Deutsche, als die Reportage erschien, in Lebeck einen »Nestbeschmutzer« zu erkennen meinen. Selbst die Bild-Zeitung empörte sich: »Das hat Helmut Schmidt nicht verdient«, kommentierte das Blatt.

Tatsächlich sehen wir hier sterbende Wälder, das Ende der saarländischen Stahlkocher, Obdachlose, die Müll durchwühlen und Rosenmontagszügler, die ans Portal des Kölner Doms pinkeln. Alles ziemlich trostlos. Lebeck zeigt aber auch livrierte Kellner, die beim, vom Kaufhauskönig Neckermann gesponserten, »Ball des Sports« Desserts auftragen. Dicke Luxuskarossen, die vor der Berliner Mauer parken – Westseite, natürlich. Auf dem Mauerabschnitt im Hintergrund ist das Graffiti »Das Schlaraffenland geht kaputt« zu erkennen, und das könnte man durchaus für die zentrale Botschaft dieser Reportage halten.

Robert Lebeck aber, das ist das Kuriose, hatte keine Botschaft.

»Ein Fotograf ist Auge plus Gedächtnis, mehr nicht«, das war sein Credo. »Falls ein Foto irgendjemand bewegt oder etwas bewirkt: gut. Wenn nicht: auch gut.« Er habe jedenfalls nie fotografiert, »damit andere das Taschentuch rausholen.«

Harald Willenbrock spricht zur Einführung über das Vergnügen, mit Robert Lebeck unterwegs gewesen zu sein. Foto: Lucas Wahl
Kontaktbögen und Originalausgaben der im Stern veröffentlichten Reportage. Foto: Lucas Wahl

Robert Lebeck war vielmehr jemand, der einen Blick für die schönen Dinge und für schöne Menschen hatte. Er ging mit einem Lächeln durchs Leben, und das auch ganz buchstäblich. In der Schule verpasste ihm ein Lehrer einmal eine Ohrfeige, weil er glaubte, Lebeck habe über ihn gelacht. In Wirklichkeit hatte Robert einfach diesen charmant-sympathischen Ausdruck im Gesicht, was ihm später die Arbeit enorm erleichterte. Wo auch immer er auf der Welt hinkam, ließ es ihn nicht als Eindringling oder Bilderdieb, sondern als freundlich-lächelnden Besucher erscheinen, der zufällig eine Kamera in der Hand hat.

So war es auch in Monaco, wo Robert und ich Mitte der neunziger Jahre zusammen unterwegs waren, und wo er immer dafür sorgte, dass wir gut wohnten und noch besser zu essen bekamen. Ich arbeitete damals ein bisschen für den Stern, Robert produzierte gerade seine letzten Reportagen als festangestellter Fotograf des Magazins. Unterwegs erzählte er von seinen Erlebnissen, und so entstand der Gedanke, gemeinsam sein ungemein ereignisreiches Fotografenleben aufzuschreiben. Das war auch deshalb eine wunderbare Idee, weil Robert bald danach mit Frau und Kindern von Hamburg in ein Landhaus an der französischen Atlantikküste umzog, wo wir unsere Interviews für sein Buch führten.

Robert ließ es sich dort gut gehen, insofern war der Ruhestand für ihn kein großer Bruch zum Arbeitsleben davor. Mit dem Fotoreporter Robert Lebeck unterwegs zu sein, war ja auch deshalb ein so großes Vergnügen gewesen, weil ihm alles mit scheinbar großer Leichtigkeit und Eleganz von der Hand ging. »Ich fotografiere so, wie der Jazzer Oscar Peterson spielt: Mit möglichst wenig Aufwand und möglichst wenig Bewegung«, so beschrieb er seinen Stil.

Ihm wäre es auch nie in den Sinn gekommen, sein Leben für ein Bild zu riskieren, auch wenn er wie all die anderen Stern-Fotografen seinen aktuellen Status natürlich an der Zahl der Doppelseiten ablas, mit denen Art Director Rolf Gillhausen ihre Reportagen im Magazin »einschenkte«, wie man damals sagte. Seinen Ehrgeiz aber hat Robert selten gezeigt. Beim Stern war er nach eigener Einschätzung der Fotograf mit den geringsten künstlerischen Ambitionen. »Die anderen plagten Probleme mit ihrer ›Handschrift‹, ich dachte über meine überhaupt nicht nach. Ich verstand mich als Handwerker.«

Cordula Lebeck im angeregten Gespräch mit Ausstellungsbesuchern. Foto: Lucas Wahl

Diesen Handwerker allerdings begleitete Zeit seines Berufslebens ein »unverschämtes Glück«, wie er immer wieder behauptete. Das war seine tiefstapelnde Erklärung für die fette Bilderbeute, mit der er in die Redaktionen zurückzukehren pflegte.

Und in der Tat: Gleich sein erstes berühmtes und zeitlebens vermutlich meistpubliziertes Bild entstand durch etwas, das im Nachhinein wie schwerer Dusel anmutet. Im Juni 1960, bei einer Parade anläßlich der Unabhängigkeit der Kolonie Belgisch-Kongo, fotografierte Lebeck aus nächster Nähe, wie ein junger Kongolese dem belgischen König seinen Degen aus der Limousine klaute. Dieses Bild strotzte natürlich nur so vor Symbolkraft, und Lebeck hatte es als einziger – aber nur, weil er im Hotel noch gemütlich zu Ende gegessen und den Bus verpasst hatte, mit dem der übrige Fotografentross zur offiziellen Besuchertribüne kutschiert worden war. Lebeck musste sich also selbst seinen Weg Richtung Limousine bahnen, als ihm der Degendieb in die Arme lief.

Oder, bei der Beerdigung Robert Kennedys, im Juni 1968 in New York: Die Stadt war voller Reporter und Fotografen – aber es war Robert Lebeck, der nachts auf dem Weg zum Hotel zwei Frauen in der St. Patricks Cathedral verschwinden sah, ihnen folgte und Lee Radziwill und Jackie Onassis am Sarg betend erwischte. Und so ging es weiter. Am nächsten Tag, bei der Beerdigung auf dem Heldenfriedhof in Arlington, verliefen sich die Sargträger und wichen mit dem Sarg auf den Schultern von ihrer vorgesehenen Route ab – ausgerechnet auf Robert Lebeck und seine Kamera zu.

Man hätte daher leicht den Fehler machen können, ihn für einen Leichtfuß zu halten, für »easy Bob«, wie man ihn beim Stern nannte. Ein Fotokritiker bezeichnete ihn einmal als »Flaneur«, was ihn ärgerte. Es stimmt auch einfach nicht.

Romy Schneider, Willy Brandt mit Günter Guillaume, Joseph Beuys auf dem Sofa, Lyndon B. Johnson in völliger Entspannung – Bildikonen wie diese fallen einem nicht einfach zu, und schon gar nicht auf einem derart kontinuierlich hohen Niveau, wie Robert Lebeck es über Jahrzehnte hinweg ablieferte. Ein Glück wie dieses muss man sich hart erarbeiten. In Roberts Fall war eine Voraussetzung dafür eine Kindheit und Jugend, die nach heutigen Maßstäben als ziemlich hart gelten muss.

Mit etwas Geduld ließ sich auch ein ruhiger Moment zum Bilder ansehen finden. Foto: Lucas Wahl
Die Ausstellung ist noch bis zum 16. Mai 2019 in der FREELENS Galerie zu sehen. Foto: Lucas Wahl

Robert Lebeck wurde heute vor genau 90 Jahren in Berlin geboren. Seine Eltern trennten sich, als er noch ein kleiner Junge war, sein Vater erkrankte an Multipler Sklerose und starb früh, seine Mutter kümmerte sich wenig. Robert wuchs deshalb bei seiner Großmutter Olga auf, bis er im Alter von 16 Jahren als Flakhelfer an die Ostfront geschickt wurde. Von dort floh er unter Beschuss der heranrückenden Roten Armee, entkam mit viel Glück den Kettenhunden der Wehrmacht und schlug sich fortan alleine durch das zusammenbrechende Dritte Reich. Genug Grund also eigentlich, um gebeugt durchs Leben zu gehen. Lebeck aber tat es lächelnd.

In der Kriegszeit, sagt er, habe er eines gelernt: Dass »man sich nie etwas vorschreiben lassen darf und dass, wenn es doch Vorschriften gibt, man sie in jedem Fall umgehen muss.« Wenn Lebeck ein gutes Motiv witterte, erwachte bei diesem so entspannt wirkenden Reporter der Jagdtrieb. Dann war er dreist und unaufhaltsam bis zur Rücksichtslosigkeit. Motto: »Erst kommt das Foto, dann die Moral.«

Seine desillusionierenden Kriegserfahrungen erklären möglicherweise auch sein konsequentes Desinteresse an Organisationen, Vereinen, Parteien, politischen Programmen und Bewegungen. Deshalb ist »Deutschland im März« eine zwar außergewöhnliche, aber ziemlich untypische Lebeck-Story, jedenfalls wenn man sie als Sozialreportage liest. Cordula Lebeck sagt, sie habe ihren Mann nie wählen gehen sehen. Dabei war Robert unglaublich gut informiert, er verfügte über ein phänomenales Wissen um historische und politische Zusammenhänge – allein schon dadurch, dass er auf seinen Reisen Daguerrotypien, Magazine und Fotoreportagen sammelte und all die Geschichten hinter ihnen kannte.

Lebeck aber bildete sich nicht ein, mit seinen Fotos etwas bewirken zu können. Nicht als Fotoreporter für die Springer-Zeitschrift Kristall, nicht als fester Reporter beim Stern, auch nicht als Chefredakteur von Geo, der er zwei Jahre lang war. Robert Lebeck wollte zeigen, was ist. Nicht mehr und nicht weniger. Als Fotoreporter hatte er zwar keine Botschaft, aber eine Mission: Die denkbar besten Bilder zu kriegen. Auf dieser Mission war seine Kamera für ihn eine Art Freiflugticket. Eines mit unbegrenzter Reichweite, das ihn durch die ganze Welt trug.

Das war für ihn, der eigentlich Naturforscher werden wollte, in der Tat ein unverschämtes Glück. Das ist es aber auch für uns, denn Robert Lebeck hat uns einen unglaublich reichhaltigen Fundus an herausragenden Fotografien und Zeitdokumenten hinterlassen. Einige von ihnen sind hier heute zu sehen.

Schade, dass er sie uns nicht mehr selbst erklären kann. Aber, wie gesagt: Robert fand immer irgendeinen Weg, hineinzukommen, wenn er irgendwo hineinkommen wollte. Gar nicht mal so abwegig also der Gedanke, dass er auch heute Abend hier irgendwie dabei sein könnte. Auf irgendeinem Wege, auf irgendeine kuriose Weise. In jedem Fall aber verschmitzt lächelnd, wie immer.

Sollte dem so sein: Happy Birthday zum 90., lieber Robert!

Die Ausstellung »Deutschland im März« von Robert Lebeck ist noch bis zum 16. Mai 2019 in der FREELENS Galerie in Hamburg zu sehen.