Ausstellungseröffnung
FREELENS Galerie

Vernissage »The Potemkin Village« mit Gregor Sailer

Einführende Worte von Peter Lindhorst und Künstlergespräch zwischen Gregor Sailer und Peter Bialobrzeski anlässlich der Eröffnung von »The Potemkin Village« in der FREELENS Galerie.

 

Peter Lindhorst: Gregor Sailer präsentiert uns heute seine Potemkinschen Dörfer, die aus Fakes, Kopien und Kulissen bestehen. Geklonte afghanische Dörfer in den USA, die als militärische Gefechtsanlagen dienen, Eins-zu-eins-Kopien deutscher Städte in China, amerikanische Ladenzeilen, die Autoteststrecken in Schweden flankieren und während eines Treffens Putins mit ausländischen Gästen hinter riesigen Planen versteckte heruntergekommene Gebäude.

Gregor ist dafür viel gereist, war lange unterwegs, hat lange recherchiert und sich Genehmigungen einholen müssen, um schließlich mit seiner Plattenkamera zu fotografieren. Daraus sind sehr präzise Bilder entstanden, die das kulissenhafte herausstellen, täuschende Oberflächen und das, was dahinter ist. Und die als Spiegel wirken, um uns letztendlich die ganze Absurdität unseres Seins vorzuführen.

Und da gibt es für mich auch die Schnittmenge zu meinem anderen Gast, der den meisten natürlich wohlbekannt ist und hier heute auch ein Heimspiel hat: Peter Bialobrzeski, der in seiner Fotografie ebenfalls immer wieder das Kulissenhafte des Urbanen herausarbeitet. Ich glaube, von Peter stammt das Zitat »Der Stadtraum als Faszinationsraum«, was sich vor allem auf seine Erfahrungen in Asien bezog. Megacities, die eine Utopie vorgeben, in der sich ein gesellschaftlicher Wandel im Stadtbild durch seine extreme Kulissenhaftigkeit ausdrückt oder manifestiert. Aber es zieht sich auch weiter durch seine jüngeren Arbeiten, die in europäischen Städten entstanden sind. Peter nutzt den Stadtraum, das Architektonische, die Urbanität, um gesellschaftliche, ökonomische Entwicklungen aufzuzeigen und eine bittere Absurdität darin einzuweben.

Während der Betrachter bei Gregor das Gegebene als tatsächlich real annimmt, könnte der Betrachter bei Peter Bialobrzeski das Reale als Reales anzweifeln. Ich glaube, es gibt relativ viele thematische Fäden, die sich zwischen euren Arbeiten spinnen lassen – aber da seid ihr jetzt dran, das aufzuzeigen. Ich danke euch beiden.

Foto: Jelca Kollatsch

Peter Bialobrzeski: Jetzt hast du ja schon fast zu viel gesagt und mir beinahe meinen Einstieg vermasselt. Ich habe mich natürlich vorbereitet, ich habe im Internet recherchiert und hatte das Glück, vor kurzem einem Künstlergespräch von Gregor in Berlin beizuwohnen – also, das heißt, ich habe das Ganze frei Haus geliefert bekommen. Und was ich interessant fand bei meinen Recherchen: 2016 fuhr Gregor nach Susdal im Norden Moskaus, wenn das richtig ist. Ist das richtig?

Gregor Sailer: 400 Kilometer nordöstlich.

Peter Bialobrzeski: Okay, also das Internet hat gesagt – das Internet, man darf dem Internet nicht glauben – nördlich von Moskau. Gregor fand falsche Hausfronten, aufgehübschte und halb verfallene Holzhütten und das Ganze wurde für einen Besuch von Wladimir Putin mit Fassaden versehen. Und das ist interessant, weil zu früheren Zeiten, im 18. Jahrhundert, hieß Putin Katharina die Große und als diese die Krim besuchte, wurden von einem Herrn Potjomkin, Grigori Alexandrowitsch – toller Name: Gregor – ganze Dörfer errichtet, angeblich, damit die Kaiserin einen positiven Eindruck gewinnen konnte. Deswegen also die Potemkinschen Dörfer. Du sagst, du glaubst gar nicht, dass das so war. Warum?

Gregor Sailer: Na ja, es ist eine Legende, dieser Begriff der Potemkischen Dörfer und das war der Reiz bei der ganzen Geschichte. Dem vorhergegangen ist ein grundsätzliches Interesse an Illusionen, Kulissenhaftigkeit, an dem Spiel, wo Realität ihre Grundzüge verliert. Relativ rasch bin ich dann im Zuge der Recherche auf diese Begrifflichkeit gestoßen und für mich war es spannender zu recherchieren, ob es noch aktuelle Potemkinsche Dörfer gibt, wenn wir denn bei der klassischen Bedeutung bleiben. Dörfer, in denen eben Straßenzüge oder Gebäude aus politischen Gründen kaschiert werden, um über deren eigenen schäbigen Zustand hinwegzutäuschen.

Das war eigentlich der Start von dem ganzen Projekt und da bin ich relativ rasch auf diese zwei Beispiele aufmerksam geworden: Susdal, 400 km nordöstlich von Moskau und Ufa, das ist eine Millionenstadt im Uralgebirge, wo das Ganze im Zuge eines Dreifachgipfels der BRICS-Staaten in 2015 in einem noch größeren Ausmaß zelebriert worden ist. Ich habe aber zu Beginn nicht wirklich gewusst, ob es tatsächlich existiert oder ob das auch ein Mythos ist, der durch das Netzt geistert. Dort bin ich also mehr oder weniger auf gut Glück hingefahren und habe diese Beispiele suchen müssen. Sie haben nach wie vor existiert, ich habe das dokumentiert, das war aber somit dann für mich abgearbeitet.

Für mich war es aber spannend, und das zieht sich generell durch in der Arbeit, ein möglichst großes Spektrum aufzuzeigen, was diese Thematik betrifft. Also, kann man dieses Potemkinsche Dorf als Begriff erweitert interpretieren? Gibt es andere aktuelle Ausformungen zu dieser Begrifflichkeit? Und ich bin dann eben weitergegangen… oder möchtest du auch noch weiter fragen?

Foto: Jelca Kollatsch

Peter Bialobrzeski: Die kannst es im Prinzip alles selber erzählen, aber… Also, ich tu’ jetzt so, als ob ich eine Frage stelle und du machst einfach da weiter, wo du eben aufgehört hast. Genau das hat mich natürlich interessiert, weil die Erweiterung des Projektes geht ja dahin, das du auch die deutsche Stadt Anting, die von einem deutschen Architekturbüro in China errichtet wurde, fotografiert hast, so wie auch Supermarktruinen und Bauruinen und vor allen Dingen Orte, die für militärisches Training genutzt werden. Wo siehst du da die Verbindung?

Gregor Sailer: Ziel war schon, diese absurden Ausformungen unserer Gesellschaft zu zeigen und ich habe mir aus künstlerischer Sicht erlaubt, diesen Begriff erweitert zu interpretieren. Dieser militärische Aspekt, das stimmt, nimmt einen großen Teil meiner Arbeit ein. Das ist eine globale Tendenz. Verschiedene Armeen dieser Erde bauen mit einem Riesenaufwand künstliche Städte, um ihre Soldaten für den Häuserkampf vorzubereiten. Ich habe mit vier verschiedenen Armeen zusammengearbeitet – der US-Armee, der deutschen Bundeswehr, aber auch der französischen und britischen Armee. Und die einzelnen Orte unterscheiden sich in deren Architekturen, je nachdem mit welchem Land die Armeen sich im Konflikt befinden.

Deswegen auch dieses Spektrum, welches ich vorher erwähnt habe: Beeinflussen Konflikte und politische Situationen die Architekturen? Kann man über die Architektur diese politische Konfliktsituation übertragen? Und da braucht es auch einen gewissen Vergleich. Es gibt natürlich noch mehr Beispiele, das ist ganz klar. Man kann in so einem Projekt natürlich noch viel länger daran arbeiten. Irgendwann ist man aber an dem Punkt, wo die Aussage nicht mehr aussagekräftiger wird und muss einen Schlussstrich ziehen. Das ist also dieser eine militärische Aspekt.

Dazu kommt aber noch der chinesische Aspekt der europäischen Stadtrepliken. Nicht unbedingt ein neues Thema, man kennt Paris zum Beispiel oder das österreichische Hallstatt, das sind bekannte Beispiele. Mir war es wichtig, Beispiele herauszuarbeiten, die unbekannter sind und ich bin dann unter anderem eben auf Anding gestoßen, diese Interpretation einer deutschen Stadt durch ein deutsches Architekturbüro in China. Zusätzlich zeige ich eine britische, eine holländische und eine skandinavische Stadtnachbildung – auch wieder, um den Vergleich zu ziehen, wie funktioniert das vor Ort. Diese Stadtnachbauten sind als realer Wohnraum geschaffen worden. Nur ist das Problem dort, dass aufgrund von fehlender Infrastruktur die Bewohner ausgeblieben sind. Das heißt, zum Beispiel Anding ist konzipiert für etwa hunderttausend Einwohner – und nur zu fünfzehn Prozent bewohnt. Im Grunde genommen bewohnen die also eine Geisterstadt und das schafft einen sehr surrealen Charakter, wenn man da mit der Kamera durchwandert, über riesige menschenleere Plätze. Das Ganze wird zu einer Kulisse. Das ist auch irgendwo ein politisches Beispiel, aber auch ein Beispiel für wirtschaftliches Versagen.

Und dann auch noch eine weitere Geschichte zu einer kleineren Serie: dieser Forschungs- und Testaspekt, die Bilder von Fahrzeugteststädten aus Schweden, wo für selbstfahrende Autos oder Sicherheitssysteme Stadtanlagen gebaut worden sind, um diese Vehikel dort zu testen.

Das waren für mich eigentlich die vier Hauptaspekte, um dieses Potemkinsche Dorf zu bearbeiten. Mir wäre es zu wenig gewesen, nur verpackte Gebäude zu dokumentieren. Das könnte man auch hier in den Städten – wenn irgendwo eine Baustelle ist, wird der Bauplatz mit Planen kaschiert, um diese dahinter zu verstecken. Aber das ist mit zwölf Bildern erzählt, da gibt es dann nicht mehr an Geschichte drüber. Und dementsprechend war ich dann so frei und hab das Ganze weitergefasst und untersucht.

Foto: Jelca Kollatsch

Peter Bialobrzeski: Das Wesentliche, also die Verbindung zwischen all den Sachen, ist für dich, dass es etwas Surreales hat?

Gregor Sailer: Ja. Weil du sagst surreal: Der Hauptantrieb war, diese Gratwanderung zwischen Illusion und Realität zu untersuchen. Wo verliert die Realität ihre realen Züge, wo wird sie zur Illusion, wie kann man es auseinanderhalten, kann man es überhaupt auseinanderhalten? Wie schaut es mit dem Wahrheitsgehalt im Bildhaften aus? Wenn ich zum Beispiel den Bildtitel bei den Bildern aus der Mojavewüste ändere, dann kann das durchaus ganz plötzlich zum Kundus werden oder irgendeinem anderen Ort in der Wüste. Dieses Prinzip funktioniert relativ gut und vor allem diese spielerische Auseinandersetzung damit.

Peter Bialobrzeski: »The Potemkin Village« und auch dein letztes Projekt »Closed Cities« sind etwas, was unglaublich viel Recherche erfordert. Das heißt, man fährt nicht einfach mal hin und fotografiert, sondern das ist wahnsinnig aufwendig. Ich möchte jetzt von dir nicht wissen, wie aufwendig es ist, ich möchte eigentlich nur wissen, wie das Verhältnis ist, ob du da so eine perverse Lust am Graben hast und wie wichtig dir das Bild eigentlich ist?

Gregor Sailer: Pervers ist vielleicht ein bisschen überzogen – aber die Phase der Recherche und Organisation nimmt einen wesentlichen Teil in den meisten meiner Projekte ein. Der eigentliche fotografische Prozess vor Ort ist im Verhältnis relativ kurz, das muss alles im Vorfeld durchgeplant sein. Gerade wenn man mit Militärs arbeitet, braucht man natürlich Genehmigungen dafür. Man kann sich auch nicht unbegleitet da durch bewegen. Das sind alles Sperrgebiete, dementsprechend bekommt man ein gewisses Zeitfenster vorgesetzt – da muss man dann höchst konzentriert arbeiten.

Was dann auch nicht immer simpel ist, gerade bei der statischen Arbeit mit einer Fachkamera, und zusätzlich eben mit meinem Prinzip von einem Bild pro Motiv. Aber es schärft die Sinne. Man geht natürlich auch ein gewisses Risiko ein – wenn man dieses Bild versemmelt oder das Labor später irgendeinen Mist baut, dann ist das Bild verloren.

Auf der anderen Seite nähert man sich dem Raum viel bewusster, man durchschreitet den Raum, man entscheidet direkt vor Ort, welche Aspekte, welche Charakterzüge des Ortes wesentlich sind, um ein überzeugendes architektonisches Porträt schaffen zu können. Und dann gibt es dieses Bild und dann wartet man ab und hofft, dass was drauf ist…

Foto: Jelca Kollatsch

Peter Bialobrzeski: Wir könnten daraus ja schließen, dass Gregor im richtigen Leben auch keine Versicherungen abschließt. Ich habe ja auch sehr viel mit der Großformatkamera gearbeitet und tatsächlich nur eine Belichtung zu machen, bedeutet ja ein bisschen, keine Versicherung zu haben. Was ist der Grund dafür? Ist es etwas, was dir einen Kick gibt, dass du denkst, wenn das jetzt nicht klappt…?

Gregor Sailer: Wie gesagt, es schärft die Aufmerksamkeit, es schärft das Bewusstsein. Es ist meine individuelle Herangehensweise. Viele können das natürlich schwer nachvollziehen, gerade bei dem Aufwand, der im Vorfeld schon passiert ist. Auf der anderen Seite bleibt es dadurch auch wirtschaftlich. Mit den Jahren hat man schon eine gewisse Erfahrung und Fehler passieren – aber eher selten. Dazu unterstützt mich auch meine persönliche Annäherung an den Raum und an die Architektur, dieses statische Arbeiten überträgt sich natürlich auch auf die Bildsprache.

Es ist eine ruhige Bildsprache, auch wenn die Inhalte dahinter viel spektakulärer sind als die Bilder selber. Das wiederum aber hat zur Folge, dass relativ wenig Material in der Zensur verloren geht. Die künstlerische Annäherung und auch dieses Weglassen von Menschen, die Konzentration auf menschliche Spuren und Zeichen und nicht auf das menschliche Abbild selbst hilft mir, das gewünschte Material dann auch aus diesen Sperrgebieten herauszubekommen und zu veröffentlichen.

Peter Bialobrzeski: Okay, danke. Zum Abschluss wollte ich dich fragen, ob  Vorbilder für dich eine Rolle gespielt haben. Also, es gibt ja »Red Land, Blue Land« von Claudio Hils, der auch so einen Truppenübungsplatz der Briten fotografiert hat, wo das Ganze eine Inszenierung englischer Dörfer für den Straßenkampf ist und vor allem »Falsche Chalets« von Christian Schwager. War dir das bekannt?

Gregor Sailer: Die sind mir bekannt. Natürlich muss man so gut wie möglich recherchieren, welche Positionen bereits existieren, dass man sich da nicht unter Umständen auch unbewusst wiederholt. Das wäre dann fatal. Meine Möglichkeit, mich abzugrenzen, ist dann auch dieses Spektrum, mich nicht nur auf einzelne Orte zu konzentrieren, sondern Orte und auch Themen in den Vergleich zu stellen. Das macht das Ganze umfangreich und viel aufwendiger, aber dadurch, denke ich, nimmt auch der Inhalt an Gewicht zu.

Und das ist das, was mich persönlich reizt. Was die fotografische Herangehensweise betrifft, bin ich natürlich schon von meinem Studium in Deutschland und von der deutschen Fotografie stark beeinflusst, das sieht man – auch am deutschen Himmel, am sogenannten. Und dieses Licht, das ist auch ganz wesentlich, weil das verbindet die ganz unterschiedlichen Orte auf den unterschiedlichen Kontinenten und beruhigt dann wieder die Bilder und nimmt dieses Spektakuläre raus, das ich nicht haben will.

Foto: Jelca Kollatsch

Peter Bialobrzeski: Das provoziert mich jetzt zur allerletzten Frage, weil du arbeitest ja analog, aber du scannst die Negative und greifst dann, wie ich das so sehen kann, relativ radikal in die Bilder ein. Warum ist das so?

Gregor Sailer: Also, radikal stimmt nicht. Ich weiß jetzt nicht, was du genau meinst. Das einzige, was ich bei den Bildern mache ist, dass ich teils ein bisschen die Sättigung raus nehme. Das würde ich nicht als radikal bezeichnen. Das Ausgangsmaterial ist analog, das stimmt. Es gibt dann Highend-Scans, weil die Negative, grad wenn bei einem Schneesturm oder Sandsturm fotografiert wurde, in einem wüsten Zustand sind und da analog anzufangen zu retuschieren, da bleibt das Ganze nicht mehr wirtschaftlich. Außerdem brauch ich’s dann für Buch- und Medienarbeit ohnehin digital. Es sind aber dann wieder Ausbelichtungen, keine Drucke, sondern Ausbelichtungen. Das einzige, was sich ändert ist, dass es statt dem Film dann die digitale Datei gibt. Die Oberfläche des Films wird transportiert und mit diesem Kompromiss kann ich dann eigentlich ganz gut leben.

Peter Bialobrzeski: Das ist auch völlig in Ordnung. Ich wollte es einfach nur nochmal von dir hören. Die Sättigung spielt da ja schon eine Rolle und das ist auch genau das, was diese Bilder dann zusammenbringt. Dass eben dieses Blau dann mit diesem Grau einfach wunderbar funktioniert. Das ist natürlich auch eine ästhetische und eine künstlerische Entscheidung. Und in alter Spiegel Manier sage ich: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Peter Lindhorst: Herzlichen Dank ihr beiden, ich habe eine Menge gelernt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und jetzt wünsche ich einen schönen Abend!

Die Ausstellung »The Potemkin Village« von Gregor Sailer ist noch bis zum 8. März 2019 in der FREELENS Galerie zu sehen. Das gleichnamige Buch ist während der Laufzeit der Ausstellung für 58,– Euro ebenfalls in der Galerie erhältlich.