Ausstellungseröffnung
Christian Frey

»The Final Whistle?« in der FREELENS Galerie

Eröffnungsrede von Peter Lindhorst

»Ich weiß nicht, ob ihnen auch so unerträglich heiß war in den letzten Tagen. Nun könnte man wohl vermuten, das liege an den Temperaturen, die derzeit auf ein Rekordniveau getrieben sind. Experten haben herausgefunden, dass dies der heißeste Mai seit 1881 ist. Ich würde noch andere Umstände für die Hitze diagnostizieren: Man nennt es Fieber. Die einen befinden sich vielleicht im Fotofieber (diese Satelliten-Ausstellung ist schon ein Vorläufer der Triennale-Ereignisse, die ihre Schatten vorauswerfen), der größere Teil mag schon von leichtem oder mittelschwerem Ballfieber befallen sein.

Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg, las aus seinem Buch »Als der Ball noch rund war«. Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25
Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg, las aus seinem Buch »Als der Ball noch rund war«. Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25
Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25

Hält der Mittelfuß von Manuel Neuer? Welcher der sechs Innenverteidiger wird noch aus dem Kader gestrichen? Ist die Diskussion um Gündogan und Özil bei den Fans vergessen? Hab’ ich schon einen gescheiten Spielplan besorgt und alle Termine im Kalender eingetragen? Passt eigentlich mein Deutschland-Trikot von vor vier Jahren noch? Wann knicke ich dieses Mal ein und kaufe mir mein erstes Panini-Tütchen…?

Das Fußballfieber steigt also und in unserer Galerie heute erst recht. Dazu habe ich mir zwei Fußballexperten und Fans eingeladen. Christian Frey stand mit 13 Jahren das erste Mal in der Kurve. Heute ist er als Fotograf tätig, macht Filme und Multimedia. Er steht schon extrem unter Temperatur, in wenigen Tagen wird er verreisen. Die Tasche ist gepackt, noch wichtiger, der Blog ist eingerichtet und lautet auf den schönen Namen »Buterbrod und Spiele«. Zusammen mit dem Journalisten Moritz Gathmann wird er diesen mit Geschichten während der WM in Russland füttern.

Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25

Es wird dann mittlerweile die vierte Meisterschaft sein, an der Christian Frey teilnehmen wird. Dort aber wird er nicht im Stadion stehen, sondern sich von Jakutien bis Moskau treiben lassen, um über Ereignisse zu berichten, die direkt oder indirekt mit dem Fußball zu tun haben und die er uns auf seinem Blog und in der Galerie in einem Live-Stream vorstellen wird.

Heute und hier sind Extrakte von seinen Teilnahmen der letzten fußballerischen Großevents zu betrachten. Eine thematische Entwicklung ist dabei deutlich erkennbar: die Ausleuchtung der Fankultur (Deutschland 2006), der Zustandsbericht eines Landes, das als Hoffnungsträger gilt und dem es als Ausrichter für das größte Sportereignis der Welt dennoch nur notdürftig gelingt, die Zerrissenheit und drängenden sozialen Probleme zu überdecken (Südafrika 2010).

Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25
Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25

Vier Jahre später reist Christian Frey schließlich nach Brasilien, um dort ein bestimmtes Lebensgefühl einer Nation einzufangen, das ebenfalls von wichtigen politischen Problemen geprägt ist und in dem der Einzelne sich mit seiner Leidenschaft für Fußball und einer Freude zur Melancholie einzurichten versucht. Das diese beiden Komponenten am 8. Juli 2014 eine ganz besondere Verbindung eingegangen sind, das haben fußballverrückte Fans nie vergessen… Vor einem halben Jahr stieg ich in ein Taxi in São Paulo oder Rio, irgendwann wurde ich gefragt, welche Nationalität ich bin… Und dann wurde der Blick des Taxifahrers traurig. Er blickte traurig auf die verstopfte Straße vor sich und er murmelte mit mantrahafter Stimme: 7:1, 7:1…

Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25

Apropos, verstopft. Ich stand im Stau irgendwo zwischen Hamburg und Hannover. Nichts ging voran und ich zermarterte mir den Kopf, wen ich für diese Ausstellung als Redner gewinnen könnte, als ich auf Radio Bremen 2 ein Interview hörte. Plötzlich wurde ich hellhörig: Da sprach jemand sehr gescheit und lustig über Fußball, über seine fußballerische Vergangenheit (Schiedsrichter), über seine Liebe (und sein Leiden) zu seinem Lieblingsverein und über sein neues Buch, in dem er schöne und schreckliche Fußballmomente erinnerte, sehr persönlich und – wie ich finde – überaus gelungen literarisch ausgearbeitet. Manchmal haben Staus also doch einen Sinn. Ja, tatsächlich, das habe ich gelernt – denn so kam ich auf die kühne Idee, Rainer Moritz, den viele von Ihnen natürlich als Autor, Literaturkritiker und als Leiter des Literaturhauses kennen, anzufragen. Eigentlich hat er heute Abend gar keine Zeit, weil er selbst noch eine Veranstaltung hat, aber er sagte trotzdem spontan zu, für uns aus seinem Buch zu lesen!

Foto: Lucas Wahl/Kollektiv25

Ich könnte zu meinen beiden Gästen jetzt noch so viel sagen, will aber keine wertvolle Zeit verlieren und freue mich stattdessen auf eine kleine Kostprobe aus dem Buch »Als der Ball noch rund war«. Worüber ich mich aber genauso freue ist, dass es mir heimlich gelungen ist, für diesen Abend einen Mia-san-Mia-Bayern-Anhänger (Christian Frey) und einen Löwen Fan (Rainer Moritz) friedlich an einem Stehtisch zusammengebracht zu haben. Herr Moritz, der Ball ist rund und eine Lesung hat 10 Minuten…«

Noch bis zum 9. August 2018 ist die Ausstellung »The Final Whistle?« von Christian Frey in der FREELENS Galerie zu sehen. Das Buch »Als der Ball noch rund war« von Rainer Moritz ist während der Laufzeit der Ausstellung für 16 Euro in der Galerie erhältlich.