Grußwort zur Eröffnung von »Bitte warten…«
Grußwort von Wiebke Krause, Referentin für Flüchtlingshilfe, Paritätischer Wohfahrtsverband Hamburg e.V. anlässlich der Eröffnung von »Bitte warten…« in der FREELENS Galerie.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vielen Dank für die Einladung, über die ich mich sehr gefreut habe.
Als ich die Einladung angenommen habe, kannte ich die Fotos noch nicht. Was ich allerdings kannte, war der Titel: »Bitte warten…« Den Titel fand ich passend für all das, was ich an Realität in Hamburg erlebe. Mir war klar, dass eine gute Ausstellung dabei herauskommen kann, wenn die Bilder diesem Titel folgen. Bitte warten, das heißt für geflüchtete Menschen in Hamburg: Warten auf die Registrierung, warten auf einen Platz in der Unterkunft, warten auf das tägliche Essen, warten auf den Arzt, warten auf die Befragungen des Bundesamtes. Die hier ausgestellten Bilder zeigen eindrucksvoll, was warten bedeutet.
Im vergangenen Jahr sind 65.000 Menschen in Hamburg angekommen, 22.000 davon wurden aufgenommen. Nach dem Königsteiner Schlüssel nimmt Hamburg 2,5 % aller Flüchtlinge auf, die nach Deutschland kommen. 65.000 Menschen wurden registriert, medizinisch versorgt und die ersten Tage untergebracht. Das ist eine riesige Zahl. Und für uns alle ebenso wenig greifbar wie 22.000. Die 22.000 allerdings, die geblieben sind, sind auf 4.000 Unterbringungsplätze getroffen, es gibt also nicht einmal für jeden Vierten ein Bett. Zurzeit leben in Hamburg noch 750 Menschen in Zelten und ungefähr 7.000 Menschen in umgebauten Lagerhallen. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 sind insgesamt 6.600 Menschen nach Hamburg gekommen und im Jahr 2009 waren es sogar nur 700.
Um Ihnen die Situation begreifbar zu machen, würde ich Sie bitten, sich in 20er-Gruppen zusammenzustellen. Wenn Sie sich nun vorstellen, Sie wären in einer Erstunterkunft untergebracht, dann wären das jetzt Ihre Zimmergenossen und zwar genauso willkürlich zusammengewürfelt, wie wir das gerade zusammen gemacht haben. Sie würden mit diesen Leuten in einem Zimmer hocken, in dem die Ausstattung nur aus Betten besteht. Es gibt keine Stühle, keine Schränke und für jeden von Ihnen ein Bett. Das ist Ihre gesamte Privatsphäre. Wie gesagt, keinen Schrank, um irgendwas vor den Blicken der anderen zu verbergen. Sie haben sich und ihr Bett. Sie werden über Wochen miteinander in diesem Zimmer wohnen und Sie werden alles voneinander mitbekommen. Sie werden mitbekommen, ob jemand nachts weint. Sie werden mitbekommen, ob jemand schnarcht. Sie werden mitbekommen, ob jemand krank ist. Sie werden mitbekommen, ob jemand in Streit gerät. Sie werden mitbekommen, ob jemand glücklich ist.
Die Menschen, die jetzt um Sie herumstehen, werden die sein, die Sie trösten oder die sein, die Sie angreifen. Das werden die Menschen sein, die mit Ihnen Schokolade teilen und das werden die Menschen sein, vor denen Sie Angst haben, dass sie Ihnen etwas stehlen. Sie werden mit Ihren Wertsachen in einer Plastiktüte in die Dusche gehen, denn einen abschließbaren Schrank gibt es nicht und auch sonst keine Möglichkeit, Ihre Sachen irgendwo zu verwahren. Sie werden mit all diesen Menschen nicht unbedingt eine gemeinsame Sprache haben, sie werden auch alle unschönen Dinge mitbekommen, die das menschliche Leben ausmacht. Sie werden versuchen, Ihre Privatsphäre vor den anderen zu verbergen – es wird Ihnen nicht gelingen. Mit diesen Menschen zusammen werden Sie warten, auf das was kommt. Ungewiss, ob Sie bleiben dürfen. Ungewiss, wie lang Sie miteinander das Zimmer teilen und wie lange Sie in die Betten der anderen schauen können. Einige warten geduldig, andere warten lethargisch. Manche warten deprimiert, viele andere warten hoffnungsvoll. Einige sind dankbar, einige sind einfach nur müde. Manche sind sehr ungeduldig oder fordernd.
Wie würden Sie warten?
Ich habe mich das gefragt, und ich denke, ich wäre eine von den Fordernden, eine von denen, die in den Unterkünften sehr unbeliebt sind. Eine von denen, die – wenn mir die Flucht noch Kraft gelassen hätte – fordern würde, dass sich Bedingungen verbessern. Ich würde nach Klopapier fragen, wo keines ist, ich würde um Rückzugsmöglichkeiten bitten, ich würde Deutschkurse einfordern. Ich würde versuchen, Herrin der Lage zu werden, irgendwas für mich entscheiden zu können. Und sei es nur, was ich gerne essen möchte. Ich habe solche Leute in den Unterbringungen gesehen und ich weiß, dass sie nicht besonders beliebt sind, weil sie Schwierigkeiten machen und den reibungslosen Ablauf stören. Aber ist dieses Verhalten nicht verständlich?
Wie wären Sie?
Ich sollte heute darüber sprechen, was gut läuft und was schlecht läuft. Die Unterbringung ist ein aktuelles Thema – das kleine Experiment sollte das verdeutlichen. Es ist das aktuelle Thema und es ist das aktuelle Problem. Ich könnte jetzt mich hinstellen, Verantwortliche suchen und versuchen, den schwarzen Peter irgendjemanden in die Schuhe zu schieben und zu sagen, die sind schuld oder die sind schuld. Ich könnte sagen, man hätte vorbereitet sein sollen, die Verwaltung, die Politik. Das mache ich aber nicht, weil ich nicht weiß, ob ich es in deren Lage besser hinbekommen hätte. Weil ich die Entscheider getroffen habe und gesehen habe, dass alle ihr Bestes versuchen. Trotzdem finde ich es oft unzureichend.
Also was heißt »gut«?
Genau aus dieser unzureichenden Unterbringung ist durch bürgerschaftliches Engagement ein ganz tolles Projekt entstanden: die Hamburger Wohnbrücke. Hier engagieren sich Bürgerinnen und Bürger, die gesehen haben, wie geflüchtete Menschen in Hamburg untergebracht sind, die gesagt haben, dass wir den privaten Wohnungsmarkt dafür öffnen müssen. Ein halbes Jahr hat es gedauert, das Projekt auf die Beine zu stellen. Jetzt läuft es und die ersten Menschen haben Wohnungen. Es ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Bei Interesse finden Sie weitere Informationenunter www.wohnbruecke.de. Dort erfahren Sie auch, wie Sie dabei sein können. Ich bin auf jeden Fall froh, dieses Projekt begleiten zu dürfen.
Was läuft noch gut?
Das bürgerschaftliche Engagement ist unglaublich groß. Hamburg hat es geschafft, mit »Hanseatic Help« die größte Kleiderkammer Europas, die nur durch den Einsatz von Freiwilligen entstanden ist, auf die Beine zu stellen. Ehrenamtliche haben es geschafft, damit ein Logistikunternehmen zu schaffen – mit 40 Stationen in der Logistikkette – das im Moment 65 Standorte und Einrichtungen versorgt.
Das Engagement, das ich überall in der Stadt sehe, spüre und merke, bewegt mich immer wieder. Jede Einrichtung hat, sobald sie entsteht eigentlich auch eine Unterstützergruppe. Nicht nur eine Gruppe, die dagegen ist. Das freiwillige Engagement wird aber auch weiter händeringend gebraucht und wenn Sie gucken wollen, was in Ihrem Stadtteil dazu läuft, schauen Sie mal unter www.hamburg.de/hh-hilft.
Trotzdem habe ich auch an dieses Engagement noch Wünsche. Die Menschen helfen, finden sich zusammen, um für Flüchtlinge etwas zu tun. Das ist großartig und das wird gebraucht. Jede Kleiderspende wird gebraucht. Hierbei möchte ich nochmal an alle Männer appellieren: Bitte gucken Sie nochmal in Ihren Kleiderschrank. Sollten Sie doch noch die Winterjacke da haben, die Sie noch für »vielleicht« aufbewahren, wäre es jetzt ein guter Zeitpunkt, sich davon zu trennen.
Menschen spenden – das ist toll. Aber es reicht mir nicht ganz. Mein Wunsch wäre, dass wir mehr mit Flüchtlingen tun – und nicht für Flüchtlinge. Daher sprechen mich in der Ausstellung auch die Bilder am stärksten an, die genau dieses gemeinsame Engagement abbilden. Es gibt schon viele Projekte mit Flüchtlingen – es könnten aber mehr sein.
Mit Flüchtlingen zusammen ist es auch nicht immer leicht. Wir vom PARITÄTISCHEN führen eine Tagesstätte für Transitflüchtlinge am Hauptbahnhof im Bieberhaus, – also für Flüchtlinge, die gar nicht in Hamburg bleiben wollen, sondern zumeist nach Skandinavien weiterreisen. Dieses Projekt stellen wir gemeinsam, auch mit geflüchteten Menschen, auf die Beine. Und in diesem Miteinander, das erleben wir hautnah, ist es nicht immer leicht. Es gibt Konflikte und Probleme, aber meine Kollegin, die die Tagesstätte leitet, Sidonie Fernau macht da einen ganz tollen Job. Und die schönen Momente überwiegen auf jeden Fall.
Ich will Sie gar nicht länger davon fernhalten, sich die Fotos weiter anzugucken und Getränke zu bestellen, denn die Erlöse gehen an ein Projekt, das ich noch kurz vorstellen möchte, bei dessen Entstehung ich dabei sein durfte. Das Projekt ist eine Initiative des Mädchentreffs Schanzenviertel, zusammen mit Frauenperspektiven e.V. Als die ersten Flüchtlinge in der Messehalle ankamen, haben sie Mädchen gesehen, die ganz alleine unterwegs waren, Mädchen, die mit ihrer Familie da waren, aber keinen Ansprechpartner hatten, keinen Raum, um sich miteinander irgendwo auszutauschen, die wie alle anderen verloren wirkten. Die Mitarbeiterinnen haben diese Mädchen in ihrer Muttersprache angesprochen, Räume aufgemacht und ein Projekt auf die Beine gestellt. Dabei haben sie gemerkt, dass die Mädchen gerne die deutsche Sprache lernen würden. Sie haben Deutschkurse auf die Beine gestellt und treffen sich regelmäßig in den Räumen des Mädchentreffs. Es fehlt an Geld für Material und für die Fahrkarten der Mädchen, die jetzt in anderen Erstaufnahmeeinrichtungen sind, um zu diesem Projekt zu kommen. Deshalb trinken Sie heute für die Fahrkarten der Mädchen und für die Deutschbücher – es lohnt sich.*
Wir haben schon viel Politisches gehört und da will ich gar nicht so viel nachreichen. Außer, dass nicht nur ich, sondern auch der Arbeitgeber, für den ich heute hier stehe, der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband, scharfer Kritiker des Asylpakets 2 ist. Wir halten einen verminderten Familiennachzug für inhuman und herzlos. Auch der Kompromiss, der heute gefunden wurde, der die Einzelfalllösung propagiert, findet nicht unsere Zustimmung. Er verstärkt auf ungute Weise den Druck auf den Einzelnen oder die Einzelne und wird der Problematik nicht gerecht.
Außerdem lehnen wir es ab, dass die Menschen von dem wenigen, das sie im Asylbewerberleistungsbezug bekommen, auch noch für ihre Deutschkurse selber zur Kasse gebeten werden sollen. Und deshalb möchte ich jetzt mit einem Zitat von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des PARITÄTISCHEN Gesamtverbandes, schließen: »Das Existenzminimum ist genauso wenig teilbar, wie die Würde des Menschen nach Artikel 1 des Grundgesetzes.«
Haben Sie einen schönen Abend und vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
*Es hat sich gelohnt! Bei der Eröffnung kamen knapp 850,– Euro zusammen, die FREELENS jetzt an das Projekt weitergibt. Vielen Dank noch einmal dafür an alle Gäste!