Ausstellungseröffnung
FREELENS Galerie

»Give my Regards to Elizabeth« – Vernissage mit Peter Bialobrzeski

Einführende Worte anlässlich der Eröffnung von Peter Bialobrzeskis Ausstellung »Give my Regards to Elizabeth« am 12. Mai 2022 in der FREELENS Galerie. Von Peter Lindhorst

Dear Peter,

thank you very much for your regards, which my private secretary forwarded to me! Ich möchte Ihnen als Ihre Majestät, Königin von England, aufrichtig danken, dass Sie mir Ihr Buch haben zukommen lassen, welches ich schon viele Male studiert habe. Ich muss Ihnen schon sagen, junger Mann, ich war zunächst not amused, als ich darin blätterte. Dies sollte mein vereinigtes Königreich sein, das ich da zu sehen bekam? Ein bisschen mehr Respekt hätte ich mir doch von Ihnen auserbeten, als deutscher Gast hier. Aber nach dem ersten Schock fing ich mich und ich fragte mich, warum dieser Deutsche seine Kamera ausgerechnet auf England gerichtet hatte, während in seinem eigenen Land doch gerade Geschichte geschrieben wurde. Andererseits konnte ich nicht von den Szenen, die mir da vorgeführt wurden, ablassen und so blätterte ich einmal das Buch und dann noch mal… und noch mal.

Jetzt liegt das Buch neben meinem Lesesessel. Und ich stecke am Nachmittag, wenn alle königlichen Pflichterfüllungen erledigt sind, gerne meine Nase hinein und entdecke immer neue Geschichten. Guilty pleasures. Dann sitze ich bei meinem geliebten Tee und köstlichen Scones, die Sie mal probieren müssten, und ich kann in den Porträts der vorgeführten Menschen deren Gefühlsleben und zugleich eine Empathie desjenigen, der Sie aufgenommen hat, eingezeichnet sehen.

Lieber Freund, auch wenn es nicht immer so wirkt, denn ich habe gerade auf letzterem Gebiet sicher viele Fehler in der Vergangenheit gemacht, so seien Sie dennoch versichert, auch ich bin ein Mensch, der Empathie für seine Mitmenschen hegt, auch wenn ich mich nicht unters Volk mischen konnte und ich mich dadurch -zugegeben- vielleicht etwas entfernt habe von diesem. Denn, wie Sie sich sicherlich unschwer vorstellen können, konnte ich nicht einfach in die Hinterzimmer der Pubs stiefeln, durch die Arbeiterviertel Liverpools streifen oder mich einfach mal am Strand von Blackpool auf ein Deckchen setzen und dem bunten Treiben zuschauen. Es war eine angespannte Zeit, als Ihre Bilder entstanden – aber ich fühlte mich auch zu jenem Zeitpunkt immer als Königin, die ihrem Volk verpflichtet war, auch wenn ich mich bedauerlicherweise immer weiter von diesem entfremdet hatte.

Foto: Jann Wilken
Foto: Jann Wilken

Berichte des Volkes erhielt ich tatsächlich vor allem über die wöchentlichen Lagetreffen mit der Premierministerin, die zu meinen royalen Pflichten gehören und die mich viel zu oft aufrieben. Ich sollte wohl besser nicht aus dem Nähkästchen plaudern, aber unsere Gespräche gingen so:
Sie: »Mein Ziel ist es, dieses Land von der Abhängigkeit zur Selbstständigkeit zu führen. Und ich denke, das wird mir gelingen, meine Königin.«
Und ich darauf: »Es herrschen Arbeitslosigkeit, Rezession und Krisen. Ist es nicht ein gefährliches Spiel, bei dem man sich links, rechts und in der Mitte Feinde schafft, Premierministerin?«
Und sie: »Nicht, wenn man sich wohl dabei fühlt, Feinde zu haben.«
Ich darauf: »Tun Sie das?«
Und sie atmete tief durch und rief triumphierend: »Oh, sehr, meine Königin!«

Peter, glauben Sie mir, ich war stets darauf bedacht, Harmonie zu bewahren und verteidigte gegenüber der Premierministerin die Einheit der Nation. Im Gegensatz zu ihr selbst, die verachtete, was etwa in Deutschland »Solidargemeinschaft« genannt wurde – die Vorstellung einer Gesellschaft, in der Bürger füreinander einstehen könnten und starke Schultern mehr zu tragen haben als schwache. Mich hat Maggies Ausspruch maßlos geärgert: »There is no such thing as society« – so etwas wie Gesellschaft gibt es nicht. Sie glaubte an eine neoliberale Wettbewerbsgesellschaft, ging mit eiserner Härte gegen Bergarbeitsstreiks vor und stutzte die Macht der Gewerkschaften. Sie privatisierte zahlreiche Staatsunternehmen, kommunale Wohnungen wurden verkauft. Selbst die gute Tradition der kostenlosen Milchspeisung für Grundschulkinder hat sie eingespart. »Margret Thatcher – Milksnatcher« hörte ich einmal aufgebrachte Demonstranten auf der Straße skandieren, als ich die Fenster des Buckingham Palace weit geöffnet hatte. Ich empfand ihre Politik zuweilen als gefühllos, streitsüchtig und sozial spaltend und trotzdem waren mir, der Königin von England, die Hände gebunden. Aber bei allem Verdruss versuchte ich immer, gemeinsam nach Übereinstimmung zu suchen und niemals das große Ganze aus den Augen zu verlieren.

Foto: Jann Wilken
Foto: Jann Wilken

Lieber Freund, jetzt habe ich allerdings tatsächlich ein wenig das große Ganze in meinen Zeilen an Sie aus den Augen verloren. Fast mögen Sie denken, ich sei ein wenig geschwätzig. Es tut mir aufrichtig leid, junger Mann, dass Sie damals an einen Ort gekommen sind, an dem die Auswirkungen von Thatcher noch immer überdeutlich spürbar waren und der sicherlich nicht das erfüllen konnte, was Sie sich von ihm versprochen hatten.

Auch wenn ich nicht so viel von der Fotografie verstehe, nehme ich Sie als einen Beobachter wahr, der eine genaue Antenne für die feinen Unterschiede und die Verhältnisse, in dem die Menschen lebten, entwickelt hat. Wo Sie sich nicht überall Zugang verschaffen konnten und wie selbstverständlich Sie sich zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Klassen bewegt haben! Amazing, junger Mann. Die Pferderennbahn von Epsom, die großen gesellschaftlichen Bälle in Oxford, die Paraden der British Legion, die abgehalfterten Jahrmärkte und schrabbeligen Bingohallen. Wie Sie die verschiedenen gesellschaftlichen Klassen und deren Habitus in Ihren Fotos zeigen! Die Damen in feinen Cocktailkleidern und mit Hüten, überdrüssige Jugendliche in von Arbeitslosigkeit geprägten Städten, Leute mit leerem Blick in der U-Bahn, verlorene Seelen im Pub. Anfangs hab ich mich gefragt, warum Sie in Farbe fotografierten. Aber dann habe ich erkannt, dass diese leuchtenden Farben und das Licht den Fotos trotz aller sozialer Kälte doch eine angenehme Wärme verleihen.

Foto: Jann Wilken

Peter, ich möchte Ihnen, das war der eigentliche Anlass dieses langen Briefes, danken für dieses schöne Buch, das mir mein England aus der Vergangenheit noch einmal näherbringt, ein Land, das trotz aller Zerrissenheit doch eines war, welches mir viel bedeutet und mich beim Betrachten ihrer Arbeiten letztendlich ein wenig sentimental macht. Apropos Zerrissenheit – Könnten Sie jetzt mein lautes Seufzen hören, Ihnen würde vermutlich schwer ums Herz werden, aber heutzutage hat mein Land eine für unmöglich gehaltene Uneinigkeit und eine fast selbstzerstörerische Haltung an den Tag gelegt gegenüber einem Europa, mit dem es in den Nachkriegsjahren doch recht gut existiert hat.

Ich habe viele Premiers kommen und gehen sehen und hätte mir in meinen schlimmsten Träumen nicht ausgemalt, dass es einen gibt, der eine noch größere Unverfrorenheit an den Tag legt als die Maggie. Aber junger Mann, vielleicht mag ich Ihr Buch deshalb so, weil es mir zeigt, dass wir uns als Staat und Gesellschaft in schwierigen Zeiten befanden und diese gemeistert und weiter bestanden haben – und vielleicht hilft mir Ihr Buch tatsächlich sogar ein wenig dabei, Resilienz in diesen gegenwärtigen stürmischen Zeiten zu entwickeln.
Ach, dürfte ich mich als Königin doch nur mehr in die Politik einmischen…

Ich grüße Sie herzlich,

Ihre Elizabeth the Second, by the Grace of God, of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and of Her other realms and territories Queen, Head of the Commonwealth, Defender of the Faith

 

PS: Falls Sie in nächster Zeit mal nach London kommen, würde ich Sie gerne zu Tee und meinen Scones einladen, die ich übrigens, aber bitte sagen Sie das nicht weiter, nach einem alten Windsor-Familienrezept selbst backe. Die haben mir schon oft als geheime Waffe bei schwierigen Gesprächen mit Premierministern gedient. Ich könnte Ihnen bei einem Tee viel über diesen ungehobelten Klotz namens Boris und all die stupiden Brexit-Entscheidungen erzählen, aber eigentlich würde ich viel lieber mehr über Ihre Fotografie sprechen. Und ob Sie mir bei der Gelegenheit mal erklären könnten, wie so eine Kamera funktioniert?