Politik & Medien
Pressefreiheit

Sechzig Tagessätze für Fotojournalismus

Die Fotojournalistin Carlotta Steinkamp soll eine Geldstrafe in Höhe von 1.800 Euro bezahlen. Ihr Vergehen: Sie hat eine Waldbesetzung dokumentiert. Für das Amtsgericht Wuppertal ist das Hausfriedensbruch.
Text – Sebastian Weiermann

Ungehört blieben Appelle an das Wuppertaler Amtsgericht und den Betreiber des Steinbruchs Oetelshofen, von einer Strafverfolgung der Fotojournalistin Carlotta Steinkamp abzusehen. Am vergangenen Mittwoch stand sie vor Gericht.

Gleich zu Beginn der Verhandlung stellte Richterin Birgit Neubert die entscheidende Frage an Till Iseke aus der Geschäftsführung des Steinbruchs. Frau Steinkamp habe sich als Presse ausgewiesen und sei so auch gekennzeichnet gewesen. Ob trotzdem ein Strafverfolgungsinteresse bestehe, wollte die Richterin wissen. Dies bejahte Iseke, er habe »das Gefühl«, dass Frau Steinkamp als Aktivistin im Wald gewesen sei, sich »am Tag der Räumung eine Presseweste überziehen, macht sie für mich nicht zur Journalistin.« So die Erklärung des Steinbruchbetreibers. Iseke hätte die Möglichkeit gehabt, das Verfahren zu beenden. Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt. Ohne Strafanzeige des Steinbruchbetreibers wäre nicht prozessiert worden.

Dass Carlotta Steinkamp neben ihren Fotos auch einen Artikel in der Zeitung Junge Welt veröffentlicht hatte, wusste der Steinbruchbetreiber sogar selbst, er hatte den Artikel ausgedruckt dabei, Richterin und Staatsanwalt sahen den Text beim Verfahren offenbar zum ersten Mal, er wurde vorgelesen. Im weiteren Prozessverlauf spielte die journalistische Tätigkeit von Carlotta Steinkamp dann allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Zwei Polizist*innen wurden als Zeug*innen vernommen, an Details aus dem Einsatz konnten sie sich kaum erinnern. Wer wann wo und wie zum Verlassen des besetzten Waldstücks aufgefordert wurde, war die Hauptfrage des Gerichts. Immerhin, Steinkamps Anwalt konnte herausarbeiten, dass es keine lückenlose Überwachung des Waldstücks gab und dass Journalist*innen die Möglichkeit hatten, den Räumungsbereich zu betreten.

Carlotta Steinkamp befand sich, als in ihrem Bereich des Waldes mit der Räumung begonnen wurde, auf einer Plattform in einem Baum. Ein guter Platz zum Fotografieren, hier hatte sie die für ihre Arbeit nötige Übersicht. Als Polizist*innen sie aufforderten, die Plattform zu verlassen, kam sie dieser Aufforderung nach. Anschließend folgte, was Journalist*innen immer wieder erleben müssen, wenn sie über politischen Aktivismus berichten. Sie musste sich einer Personalienfeststellung unterziehen, ihre Tätigkeit als freie Journalistin wurde abgetan, männliche Polizisten machten sexistische Sprüche. Am Ende erhielt Steinkamp einen Platzverweis für das Waldstück und musste ihre Arbeit abbrechen.

Der Staatsanwalt in Wuppertal sah es allerdings als Tatsache an, dass Carlotta Steinkamp sich unerlaubt im Wald aufgehalten hat, dass sie einen Rucksack mit Outdoorbekleidung dabei hatte, war für ihn außerdem der Beweis, dass sie als Aktivistin und nicht zum Recherchieren im Wald war. Steinkamps Anwalt entgegnete diese Anwürfe und nannte die Einleitung, Durchführung und »nicht zuletzt das Plädoyer des Staatsanwalts« einen »Frontalangriff auf die Pressefreiheit«. Er verwies auch auf die jüngste Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, in der Deutschland für den Umgang mit Journalist*innen, die über Klimaproteste berichten, kritisiert wurde.

Richterin Neubert interessierte die Argumentation kaum, Steinkamps Tätigkeit als freie Journalistin sei keine Entschuldigung oder ein Rechtfertigungsgrund für einen unerlaubten Aufenthalt im Wald. Sie verurteilte die Fotografin zu einer Geldstrafe. Sechzig Tagessätze in Höhe von 30 Euro soll die Journalistin bezahlen. Carlotta Steinkamp wird Rechtsmittel gegen die Verurteilung einlegen.

FREELENS Vorstandsmitglied Roland Geisheimer verfolgte den Prozess im Gerichtssaal. Der Bewertung von Steinkamps Anwalt, dass das Urteil ein Frontalangriff auf die Pressefreiheit ist, schloss er sich an. »Staatsanwaltschaft und Gericht haben gänzlich ignoriert, dass unser Mitglied als Journalistin in dem frei zugänglichen Wald war«, schildert er seinen Eindruck vom Prozess. Artikel 5 des Grundgesetzes sei mit Füßen getreten worden. Den Strafantrag des Steinbruchbetreibers und dessen Aufrechterhaltung kritisierte Geisheimer, »dem Herrn ist nicht all zu sehr an einer freien Berichterstattung gelegen.« FREELENS wird Carlotta Steinkamp auch bei der weiteren juristischen Auseinandersetzung unterstützen.


Sebastian Weiermann ist Journalist und lebt in Wuppertal. Schwerpunktmäßig berichtet er für das nd über nordrhein-westfälische Landespolitik. Gerne begleitet er Proteste von sozialen Bewegungen. Woran Weiermann gerade arbeitet, lässt sich am besten auf Twitter verfolgen.
twitter.com/sweiermann