EU-Urheberrechtsreform
Kommentar von Mario Giordano

Locker hängen lassen

AN DIE SPD, TEILE DER GRÜNEN UND DER LINKEN,

heute ist ein guter Tag für europäische Kunstschaffende. Heute hat das Europäische Parlament für die überfällige neue EU-Richtlinie zur Reform des Urheberrechts gestimmt. Ihr nicht.

Ihr habt uns kreativ Erwerbstätige in Deutschland und Europa hängen lassen, wieder mal. Wenn milliardenschwere Konzerne zur Verteidigung der Freiheit anblasen, hättet ihr eigentlich mal stutzig werden müssen. Stattdessen habt ihr vor einem Angriff auf unser Rechtssystem gekuscht und mal eben die Existenz von europäischen Künstlerinnen, Labels, Verlagen, Filmproduktionen und Studios aufs Spiel gesetzt.

Wie ihr euch denken könnt, steht die nächste Kampagne der Internetkonzerne praktisch vor der Tür. Also gell, vielleicht schon mal warm anziehen.

AN DIE DIGITALPOLITIKERINNEN UND NETZAKTIVISTEN,

ihr habt gegen diese Richtlinie so richtig Stimmung gemacht. Durch die Bank, überparteilich. Ihr werdet nicht müde, zu wiederholen, dass ihr natürlich für faire Vergütung von Künstlern seid, aber… Und dieses »Aber« jedes Mal aufs Neue zeigt uns dann den Stinkefinger. Anstatt endlich überzeugende Alternativvorschläge auf den Tisch zu legen, wie faire Vergütung in der digitalen Welt realistisch aussehen kann, schwadroniert ihr über »Link-Tax«, »Pauschalabgaben«, »Fair Use« und »Blockchain«. Klingt alles fresh. Nur habt ihr bislang nicht erklären und noch weniger vorrechnen können, wie man Milliardenkonzerne, die sich einen Dreck um Lizenzen, Vergütung und Meinungsfreiheit scheren, überhaupt dazu bewegt, Urheberinnen angemessen zu vergüten. Aber vielleicht tragt ihr auch einfach nur einen Generationswechsel in der Politik auf unsere Kosten aus. Falls ihr zwischendurch dazu kommt, aber wirklich nur dann, so zwischen zwei Tweets, wäre es machbar, dass ihr uns bei unseren Vergütungsansprüchen gegenüber Milliardenkonzernen in den nächsten zwei Jahren nicht völlig hängen lasst? Danke.

AN DIE DEUTSCHEN TECH-STARTUPS,

hallo, wo seid ihr? Dingdong, jemand zu Hause? Da war ein Aufschrei: »Uploadfilter sind nicht perfekt, also führen Sie geradewegs in die Zensur!« Oder: »Es ist unmöglich, jedes Werk zu lizenzieren und abzurechnen!« Auch wenn das so alles nicht stimmt – aber wo seid ihr da gewesen, habt die Gunst der Stunde genutzt, die Hand gehoben und erklärt: »Ach, Filter! Das lösen wir per KI made in Germany! Lizenzen? Joa, bisschen tricky, aber dafür finden wir eine coole Blockchain-Lösung.« Vielleicht bisschen naiv, aber da könntet ihr nämlich durchaus mit unserer Neugier und Unterstützung rechnen, denn wir haben es übrigens auch so ein bisschen mit Innovation, originellen Ansätzen und kreativer Disruption.

Wenn auch eure berechtigten Interessen jetzt zwischen Gasleitungen zerrieben werden und die Politik euch hängen lässt, tut uns das sehr leid. Vielleicht sollten wir in Zukunft mal reden und überlegen, ob wir nicht eventuell doch im gleichen Boot sitzen.

AN DIE TROLLE,

wir liefern die Filme, die Texte, die Träume, den Look und den Soundtrack zu eurem Leben, und dafür verachtet ihr uns, verunglimpft uns, überschüttet uns mit Häme, Spott und Beleidigungen. Wenn wir unterhalb des Existenzminimums leben, dann lacht ihr uns aus. Wenn wir Stars sind, überzieht ihr uns mit Neid und Dreck und findet es nur recht und billig, uns zu beklauen. Aber so richtig derbe verachtet ihr uns, wenn wir durch Arbeit, Talent und Fleiß ein bürgerliches Leben bestreiten und irgendwo in der Mittelschicht ankommen. Und da auch gerne bleiben würden. Aber da wollt ihr uns nicht haben. Sobald wir anfangen, unsere Interessen zu vertreten, unterstellt ihr uns Raffgier, Lobbyismus, Faulheit und Dummheit. Ihr droht mit Bomben. Ihr pöbelt gegen Europa, die Demokratie, gegen Labels und Verlage und gegen geistiges Eigentum. Keine Ahnung, was eigentlich euer Problem ist, aber ihr könnt gerne zur Hölle fahren.

AN ALLE, DENEN »NATÜRLICH BIN ICH FÜR FAIRE VERGÜTUNG VON KREATIVEN, ABER…« SO ISIPISI VON DEN LIPPEN GEHT,

ihr werdet sowieso immer wieder neue »Abers« finden. Ihr könnt bitteschön auch zur Hölle fahren.

AN ALLE DIE, DIE GERN ÖFFENTLICH FRAGEN »WAS IST EIGENTLICH DIESES SOGENANNTE ›GEISTIGE EIGENTUM‹, HÖHÖ?«,

Antwort: eine Errungenschaft der Aufklärung und ein Grundpfeiler einer pluralistischen Gesellschaftsordnung und eures Wohlstands. Sonst noch Fragen?

AN DIE DIGITAL NATIVES UND JUGENDLICHEN,

ihr habt gegen Uploadfilter demonstriert, und ihr habt es sehr ernst gemeint. Ihr habt den Youtubern geglaubt, die euch versichert haben, dass wir euch das Internet kaputt machen wollen. Ihr habt Ängste, und für den Moment spielt es keine Rolle, von welcher Seite die geschürt wurden, sie sind ernst zu nehmen. Wir teilen eure Sorge um die Meinungsfreiheit, denn Künstler leben von Meinungsfreiheit. Viele Künstler in anderen Ländern sind dafür mit Zensur, Gefängnis und Tod bedroht. Kreativität will nicht gefiltert werden. Künstler wollen nicht blocken, Künstler wollen lizenzieren. Auch »eure« Künstler.

Denn ihr habt einen Generationenkonflikt daraus gemacht: Alte elitäre Säcke ohne Plan vom Internet gegen euch junge Digitalchecker. Okay, geschenkt. Eure Entscheidung, wie ihr Freiheit definiert und an wen ihr sie verkauft. Aber auch in eurer Generation gibt es Musikerinnen, Autoren, Songwriter, Tänzer, Schauspieler, Fotografinnen, Illustratorinnen und Filmemacherinnen. Auch die wollen Meinungsfreiheit, wollen ihre Mieten zahlen, in Urlaub fahren, sich ein Netflix-Abo leisten können, ihren Kindern Smartphones kaufen und irgendwie klar kommen. Irgendwer muss ja schließlich den Soundtrack eures Lebens liefern und eure Träume erzählen. Wenn euch das nicht egal ist, dann kommt in die Hufe und lasst wenigstens »eure« Leute nicht hängen und trollt sie nicht.

AN MEINE KLUGEN FREUNDE UND KOLLEGINNEN, DIE SICH EBENFALLS ÖFFENTLICH GEGEN DIE RICHTLINIE AUSGESPROCHEN HABEN,

es war nicht leicht, zu verstehen. Ich habe in den letzten Monaten versucht, meine Sicht der Dinge so sachlich wie möglich darzustellen und mich für etwas engagiert, an das ich glaube. Immer und immer wieder. Und das werde ich auch weiterhin tun. Ist mir nicht immer leicht gefallen mit der Sachlichkeit in der letzten Zeit bei der ganzen Polemik, geb ich zu. Aber ich habe viel gelernt. Das Thema ist komplex, hat ein paar sumpfige Stellen und hat viele von euch lange gar nicht interessiert. Erst als es in den Medien hochkochte, als Youtube mit Abschaltung und dem Ende des Internets drohte, als Wikipedia seine Neutralität verraten hat, als prominente Internetgurus Zensur und das Ende der Meinungsfreiheit heraufbeschworen haben, als Verlage durch die Bank diffamiert und mit dem Springer-Konzern in einem Lobbytopf verrührt wurden, als Verwertungsgesellschaften und deren ehrenamtliche Vertreter als nimmersatte Contentausbeuter gedisst wurden, haben sich einige von euch für mich überraschend positioniert.

Das fand ich irritierend. Aber ihr ja nun vielleicht genauso. Ich habe ja auch zum Schluss Nerven gezeigt. Die Kommunikation der Befürworter der Richtlinie, der Verbände und VG war nicht gut. Und da sitzen wir nun im selben Boot uns starren uns verwundert und gereizt an. Wir sitzen doch noch im selben Boot, oder?

Es ist noch ein langer Weg. Diese Richtlinie wird nun Gesetz werden müssen. Das wird dauern, und es wird ein harter Ritt werden. Der nächste Shitstorm zieht bereits auf. Aber vielleicht auch eine Chance für uns alle, sich mal zu berappeln, zuzuhören und gemeinsam zu überlegen, wie wir uns gegen die unerträgliche Einflussnahme von Internetkonzernen auf unsere Lebensführung, unsere Gesellschaftsordnung, unser Konsumverhalten, unsere persönlichen Daten, unsere Lebenszeit, unser Schaffen und unsere Freiheit behaupten können.

Wir sollten uns dabei gegenseitig nicht hängen lassen.

Mein Angebot kürzlich mit der Pasta bleibt bestehen, und sobald ich mit dem Buch fertig bin, werde ich auch noch mal konkreter dazu einladen.

Stay grumpy, be kind. Love, Peace, Namaste – mario


Mario Giordano
gehört zu den vielseitigsten deutschen Unterhaltungsautoren. Mit seinen »Tante Poldi«-Krimis steht er in Deutschland und den USA regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Er schrieb den Roman und das Drehbuch zu »Das Experiment«, schreibt für verschiedene »Tatorte«, Bilder- und Jugendbücher, sowie fürs Kinderfernsehen. Als Leiter Content Development hat er Serienstoffe für den Bastei Lübbe Verlag entwickelt und ist außerdem regelmäßig als Gastdozent an Filmhochschulen und für verschiedene Masterclass-Programme tätig. Mario Giordano lebt in Berlin.

www.mariogiordano.de