Politik & Medien
Carlotta Steinkamp

Lehrbuchhafter Journalismus als Hausfriedensbruch

Auf nicht ganz konventionelle Weise über politischen Protest berichten, das kostet 1200 Euro. Das Landgericht Wuppertal verurteilte Carlotta Steinkamp als Hausfriedensbrecherin.
Text – Sebastian Weiermann

Um zu verstehen, was an diesem Dienstag mit einer Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro vor dem Wuppertaler Landgericht seinen vorläufigen Tiefpunkt fand, sollte man einige Jahre zurück blicken. Im Sommer 2019, die Klimabewegung befand sich gerade auf ihrem Höhepunkt, Fridays for Future mobilisierte Hunderttausende, besetzten in Wuppertal einige Aktivist*innen ein Stück des Osterholz im Westen der Stadt. Teile des Waldgebiets sollten einer Erweiterung des benachbarten Kalksteinbruchs Oetelshofen weichen. Die Waldbesetzung wurde erstmal hingenommen und wuchs. Carlotta Steinkamp, die in Hannover Fotojournalismus und Dokumentarfotografie studiert, wurde auf diese und weitere Waldbesetzungen in Frankfurt, bei Ravensburg und in der Altmark aufmerksam und begleitete sie dokumentarisch. Auch Ende Januar 2022, als das Osterholz von der Polizei geräumt wurde

Am 26. Januar, dem zweiten Tag der Räumung, befand sich Carlotta Steinkamp am Mittag auf einer Plattform in einem Baum. Auf einem Polizeivideo, das auch vor Gericht gezeigt wurde, ist zu sehen, wie die Polizei sie mit einem Megafon auffordert, die Plattform zu verlassen. Steinkamp packt ihr Kameraequipment zusammen und seilt sich ab. Am Boden empfangen sie einige Polizist*innen. Carlotta zeigt ihren Presseausweis, eine »Besonderheit«, wie ein Polizist, der im Prozess als Zeuge aussagte, erklärte. Sie wird befragt, für wen sie arbeitet. Die Antwort, »Als freie Journalistin«, sorgt für abfällige Bemerkungen von Seiten der Polizei. Die Arbeit im Osterholz endet für Steinkamp mit einem Platzverweis und der Androhung, wegen Hausfriedensbruchs angezeigt zu werden, wenn sie sich noch einmal im Wald blicken lasse. Hier könnte die Geschichte von Carlotta Steinkamp und dem Osterholz enden. Mit einem Eingriff in die Pressefreiheit, wie es viele gibt. Dass die Polizei freie Journalist*innen vom Protestgeschehen fernhält, passiert immer wieder. In guten Fällen entschuldigt sich die Polizeiführung dafür am Ende.

Nicht so bei Carlotta Steinkamp und dem Osterholz. Mehr als ein Jahr nach der Besetzung erhält sie einen Strafbefehl. Der Waldbesitzer Till Iseke von den Kalkwerken Oetelshofen wirft ihr Hausfriedensbruch vor, die Staatsanwaltschaft sieht das ebenso. Carlotta soll einen Strafbefehl zahlen. Das will sie nicht, nimmt sich einen Anwalt. Der bittet Iseke, den Strafantrag zurückzunehmen, weil es sich bei Carlotta Steinkamp um eine Journalistin handelt, die aus der Waldbesetzung berichtet hat. Der Steinbruchbetreiber weigert sich, Steinkamp legt Widerspruch gegen den Strafbefehl ein. Im Mai 2023 folgt ein Prozess vor dem Amtsgericht Wuppertal. Das Urteil: Carlotta Steinkamp soll 1800 Euro Geldstrafe zahlen. Sie war auf einem Baum, das sei Hausfriedensbruch. Steinkamps Rolle als Journalistin wird im Verfahren weitgehend ignoriert.

Carlotta Steinkamp, seit dem ersten Prozess von FREELENS unterstützt, legt Berufung ein. Es folgen zwei Verhandlungstermine im Dezember 2023 und Januar 2024 vor dem Wuppertaler Landgericht. Es sind zähe Prozesstage, Polizist*innen im Zeugenstand können sich, weil sie in so vielen Wäldern waren und der Einsatz fast zwei Jahre zurückliegt, kaum noch erinnern. Andere saßen nur in der polizeilichen Leitstelle, können zum Geschehen nicht mehr sagen, als dass sie Protokolle geführt und unterschrieben haben. Die Akte im Verfahren gegen Carlotta erweist sich außerdem als unvollständig. Der Richter ärgert sich zwischendurch über die Staatsanwaltschaft, sagt, so könne man ein Strafverfahren nicht führen, und stellt die Frage, ob der Aufwand des Prozesses noch zum Tatvorwurf passt. Eine Verständigung mit der Staatsanwaltschaft scheitert allerdings. Das Strafverfahren gegen Carlotta Steinkamp wird nicht eingestellt, und der Berufungsprozess muss wegen einer Erkrankung des Richters abgebrochen werden.

Am zweiten September also ein neuer Anlauf für die Berufung. Der selbe Richter, die gleichen Zeug*innen und ein beinahe zehnstündiger Prozess. Wieder geht es um viel, das mit Pressefreiheit nicht viel zu tun. War das Waldstück wirklich komplett umzäunt? Ist es legal einen Zaun zu bauen, nur um den Waldbesetzer*innen dann Hausfriedensbruch vorzuwerfen? Hat Carlotta Durchsagen des Waldbesitzers gehört, dass »Unberechtigte« sich entfernen sollen? Am Ende bleiben Unsicherheiten. Am Ende bleibt auch der Steinbruchbetreiber Till Iseke, der an seinem Verfolgungsinteresse festhält. Carlotta ist für ihn Aktivistin, nicht Journalistin. Beweis genug dafür ist ein Artikel von ihr in der linken Tageszeitung »Junge Welt«, in der sie schildert, wie im Wald Baumhäuser gebaut wurden und sie klettern lernte. Auch Gericht und Staatsanwaltschaft sehen Steinkamp nicht als Journalistin an. Auch eine Entscheidung aus Hannover, die besagt das Journalist*innen bei einer Waldbesetzung der freie Zugang zu gewähren war, kommt beim Gericht nicht an. Im Urteil heißt es, Carlotta hätte mit der Polizei Kontakt aufnehmen und sich wie andere Journalist*innen auch, in einem extra für sie abgesperrten Pressebereich aufhalten müssen. Carlotta Steinkamps Berufung wird abgelehnt. Lediglich die Geldstrafe wird aufgrund des niedrigen Einkommens der Studentin angepasst. Sie soll nun 1200 Euro bezahlen.

FREELENS Vorstandsmitglied Roland Geisheimer hat alle Gerichtstermine in der Sache verfolgt. Mit dem Urteil ist er unzufrieden: »Carlotta Steinkamp hat nichts anderes getan, als ihren Job ordentlich zu machen.« Es sei »lehrbuchhaft« gewesen, wie sie nah an den Protestierenden war, immer wieder Zeit in Baumhäusern verbracht habe und sich ein Bild von den Menschen hinterm Protest gemacht habe. »Der Staatsanwaltschaft wie auch dem Gericht sind solch eine nahe Berichterstattung scheinbar fremd oder ein Dorn im Auge. Undenkbar für den Vorsitzenden Richter ist es, dass man als Journalistin in ein Baumhaus klettert und dort seiner journalistischen Arbeit nachgeht«, erklärt Geisheimer. Staatsanwaltschaft und Gericht hätten sich zum »Erfüllungsgehilfen« eines Waldbesitzers gemacht, der »eine sehr eigene Interpretation von Pressefreiheit vor Gericht präsentierte.« Was Roland Geisheimer sagt, passt gut zu den Schlussworten von Carlotta Steinkamp. Sie verweist auf sogenannte Slapp-Klagen, die Unternehmen oft tätigen, um Kritiker*innen einzuschüchtern. Steinkamp fragt sich, ob es auch darum geht, sie einzuschüchtern, ob eine politische Motivation hinter dem Verfahren steht.

Was für sie nicht in Frage steht, ist der Kampf um die Pressefreiheit. »Ich werde weiterhin für meine Pressefreiheit einstehen, so wie für die aller Journalist*innen.« Carlotta Steinkamp ist seit Juni im Vorstand von FREELENS, leitet die Young Professionals, im Oktober beginnt sie eine Hospitanz als Redaktionsfotografin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zeit, um vor Gericht darüber zu debattieren, ob sie wirklich Journalistin ist, hat sie eigentlich nicht mehr. Aber eine Revision ist möglich.