Politik & Medien
David Klammer

Keine Pressefreiheit im Baumhaus

Für einen Dokumentarfilm begleitete David Klammer die Proteste im Dannenröder Wald. Jetzt soll er dafür bezahlen, zweimal aus Baumhäusern abtransportiert worden zu sein. Ein Unding, finden Klammer und sein Anwalt. FREELENS unterstützt seine Beschwerde.
Text – Sebastian Weiermann

So nah am Protest wie in David Klammers, mit internationalen Preisen ausgezeichnetem, Dokumentarfilm »Barrikade« ist Journalismus nur selten. Von September bis Dezember 2020 hat der Foto- und Videojournalist viele Wochen im Dannenröder Forst verbracht. Der Wald war besetzt, linke Klimaaktivist:innen wollten so gegen den Weiterbau der Autobahn 49 protestieren. Im Herbst 2020 begann einer der größten Polizeieinsätze der hessischen Landesgeschichte.

In seinem Film begleitet Klammer den Protest hautnah. Besetzer:innen schildern darin ihre Motive, in Dialogen treffen Gegner:innen und Befürworter:innen des Autobahnprojekts aufeinander. Und immer wieder ist zu sehen, wie Polizist:innen und Besetzer:innen miteinander interagieren. Besonders eindrücklich ist das bei der Räumung eines Baumhauses. Ein SEK-Beamter erklärt den Baumbesetzer:innen sein Verständnis für den Protest, die Besetzer:innen fragen ihn, wie er sein Handeln vor späteren Generationen rechtfertigen wird. Der Beamte sagt, er setze das Recht durch. Die ganz großen Fragen, nach Moral, Recht und Unrecht. Gestellt in einem Baumhaus in der hessischen Provinz.

Ohne Journalist:innen würden solche Szenen nicht an die Öffentlichkeit dringen. Bei umstrittenen Themen, emotionalen Protesten versucht jede Seite, Deutungshoheit über die Ereignisse zu erlangen. Da schreiben die einen gerne nur über Polizeigewalt, die anderen schildern, wie uneinsichtig und gewalttätig die Aktivist:innen gewesen seien.

Besetzung durch Klimaaktivist:innen im Dannenröder Wald: Das Baumhausdorf »Nirgendwo«. Foto: David Klammer/laif

Anfang August 2021 hat David Klammer Post vom »Hessischen Polizeipräsidium für Technik« bekommen: Kostenerhebungen, er soll 442,70 und 793,46 Euro bezahlen, weil er aus Baumhäusern entfernt wurde. Die Schreiben waren eine Überraschung für den Dokumentarfilmer und Fotografen. Schon wenige Wochen nach der Räumung hatte ihm die Polizei einen Anhörungsbogen geschickt, in dem er zum Polizeieinsatz gegen ihn Stellung beziehen sollte. Klammer schilderte der Polizei, wer er ist. Ein Journalist, der für renommierte Medien wie den »Stern« und den »Spiegel« fotografiert. Dass er in den Baumhäusern war, um eine »ausgewogene Berichterstattung nah an den Menschen« möglich zu machen, und dass er sich nicht den Aufforderungen der Polizei widersetzt habe, die Baumhäuser zu verlassen. Im Gegenteil.

Am Morgen vor einer der Räumungen hatte Klammer sogar bei der Pressestelle der Polizei angerufen und mitgeteilt, wo er ist. Bei einer anderen Räumung hatte er nicht mehr die Möglichkeit, das Baumhaus zu verlassen. Aktivist:innen hatten den Zugang zum Baumhaus verbarrikadiert, während er sich im oberen Stockwerk des Baumhauses aufhielt. Dem Journalisten blieb keine andere Möglichkeit als sich von der Polizei abseilen zu lassen.

Klammers Anwalt, der Düsseldorfer Medienrechtler Jasper Prigge, beurteilt die Vorgänge kritisch. Aktivist:innen seien als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus den Bäumen geholt worden. Auf David Klammer treffe das nicht zu. »Er war als Pressevertreter vor Ort«, so Prigge. In den Aufenthaltsverboten, die es für die Räumungsbereiche gab, seien Jornalist:innen zwar nicht explizit ausgenommen worden, trotzdem ist sich Prigge sicher, dass der Dokumentarfilmer sich dort aufhalten durfte. »Bei einem Vorgang von öffentlichem Interesse muss es auch die Möglichkeit geben, darüber zu berichten«, erklärt Prigge. Wesentliche Vorgänge könnten nur über diesen Weg der Öffentlichkeit bekannt werden. Die Polizei sei »verpflichtet, Berichterstattung zu ermöglichen«, erläutert Prigge den Sachverhalt. Das sei in diesem Fall nicht geschehen.

Auch an den Kostenerhebungen hat Prigge Zweifel. Für beide Räumungen sei jeweils eine viertelstündige »Vor- und Nachbereitung« veranschlagt worden. Es sei nicht belegt, worin diese bestand, und dass sie in diesem Zeitrahmen stattfand. Zahlreiche Aktivist:innen, die im Dannenröder Forst geräumt wurden, hatten Kostenerhebungen mit gleichlautenden Texten wie der Journalist bekommen. Jasper Prigge kritisiert, nicht nur die Kostenerhebungen, sondern den ganzen Vorgang betreffend, dass es »nicht sein« könne, dass die »Journalisteneigenschaft« seines Mandanten »bisher nicht berücksichtigt« wurde.

Die Aktivist:innen der »Swing Force« versuchen, die Räumung zu verzögern, indem sie sich mit Schaukeln an Bäume hängen oder sich an Stämme klammern. Sie müssen einzeln von Spezialisten von den Bäumen heruntergeholt werden. Foto: David Klammer/laif
Aktivist auf einem Baumstumpf im Dannenröder Forst. Foto: David Klammer/laif

Der Vorgang im Dannenröder Forst ist ein, sehr teures, Beispiel für polizeiliches Vorgehen gegen Journalist:innen – aber längst kein Einzelfall. Im Umfeld von Protestereignissen kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zum Einschreiten der Polizei gegen Journalist:innen, das diese massiv an ihrer Arbeit hinderte.

Als Mitte August Klimaaktivist:innen den Sitz des Wirtschaftsrats der CDU in Berlin symbolisch besetzten, wurde ein Fotograf, der FREELENS Mitglied ist, von der Polizei abgeführt und mit dem Vorwurf, Hausfriedensbruch begangen zu haben, in Gewahrsam genommen. Anfang Juni hinderte die Berliner Polizei gleich eine ganze Gruppe von Journalist:innen an der Arbeit. Auch sie wollten eine Aktion von Klimaaktivist:innen dokumentieren, die Besetzung einer Baustelle der Autobahn 100 in der Hauptstadt. Auch ihnen wurde Hausfriedensbruch vorgeworfen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken heißt es, dass die Identitäten der Journalist:innen »priorisiert« festgestellt wurden und sie danach nicht von »einschränkenden Maßnahmen« betroffen gewesen seien.

»Reporter ohne Grenzen« beschreibt im Jahresbericht 2020 unter der Überschrift »Auch Polizei behinderte journalistische Arbeit« einen Fall aus dem November 2020. Journalist:innen die über eine Demonstration von Corona-Leugner:innen berichten wollten, wurden am Leipziger Hauptbahnhof festgesetzt, ihre persönlichen Daten von der Polizei aufgenommen. Ein Journalist, der von Querdenker:innen bedrängt wurde, wurde dabei sogar von der Polizei abgeführt, die ihn belehrte, er habe sich »unjournalistisch« verhalten. Polizist:innen sollen ihm sogar gedroht haben, dass sie dafür sorgen können, dass er in Zukunft keinen Presseausweis mehr bekomme.

Keine guten Aussichten für freie und gefahrlose Berichterstattung. FREELENS hat sich entschlossen, David Klammer in seinem Rechtsstreit mit dem Land Hessen zu unterstützen. Klammer und sein Anwalt Jasper Prigge sehen der juristischen Auseinandersetzung optimistisch entgegen. David Klammers Dokumentarfilm »Barrikade« aus dem Dannenröder Forst ist kürzlich fertig geworden. Ende dieses Jahres feiert er auf einem großen Filmfestival Premiere. Dann kann sich jede:r selbst ein Bild davon machen, warum es sich lohnt, dass Journalist:innen Ereignisse aus nächster Nähe begleiten.


Sebastian Weiermann ist freier Journalist und lebt in Wuppertal. Schwerpunktmäßig berichtet er für das nd über nordrhein-westfälische Landespolitik. Gerne begleitet er Proteste von sozialen Bewegungen.
Woran Weiermann gerade arbeitet lässt sich am besten auf Twitter verfolgen.
twitter.com/sweiermann