Reporter ohne Grenzen
Jahresbilanz 2015

Erschreckend hohe Zahl entführter Journalisten

Weltweit sind derzeit 54 Journalisten entführt, ein Drittel mehr als zum gleichen Zeitpunkt Ende 2014. Das geht aus dem heute veröffentlichten ersten Teil der Jahresbilanz der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hervor. Die Entführungen konzentrieren sich auf die arabischen Bürgerkriegsländer Syrien, Jemen, Irak und Libyen, wo bewaffnete nichtstaatliche Gruppen auf diese Weise ihren Herrschaftsanspruch durchsetzen und kritische Stimmen zum Schweigen bringen wollen.

Die größte Zahl (18 Fälle) der aktuellen Entführungen geht auf das Konto der Dschihadistengruppe Islamischer Staat, gefolgt von den Huthi-Rebellen im Jemen (neun Fälle) und der Al-Nusra-Front in Syrien (vier Fälle). 95 Prozent der momentan Entführten sind Journalisten aus den jeweiligen Ländern, nur fünf Prozent sind ausländische Reporter. Im Verlauf des gesamten Jahres 2015 wurden weltweit 79 hauptberufliche Journalisten entführt, 34 Prozent weniger als im Vorjahr. Ein wichtiger Grund für diesen Rückgang ist die veränderte Lage im Osten der Ukraine: Dort wurden 2014 die weltweit meisten Journalisten entführt, 2015 aber kein einziger.

Erstmals dokumentiert die Jahresbilanz der Pressefreiheit auch die Zahl verschwundener Journalisten. Die Ungewissheit über ihr Schicksal hat eine erhebliche abschreckende Wirkung auf andere Journalisten. Die meisten solcher Fälle – fünf von acht weltweit – gab es im Laufe des Jahres 2015 in Libyen.

Im Gefängnis sitzen wegen ihrer Arbeit derzeit 153 hauptberufliche Journalisten (Ende 2014: 178), die meisten davon in China, Ägypten, Iran, Eritrea und der Türkei. Betrachtet man die Gesamtzahl der Verhaftungen im Jahresverlauf, sticht die Türkei als das Land mit den meisten Fällen (elf Prozent aller Verhaftungen weltweit) heraus – ein deutlicher Beleg für die Zunahme der staatlichen Repressionen dort. Zusätzlich zu den weltweit 153 hauptberuflichen Journalisten sind derzeit 161 Bürgerjournalisten (Ende 2014: 178) und 14 Medienmitarbeiter inhaftiert.

»Die erschreckend hohe Zahl von Entführungen zeigt, dass bewaffnete Gruppen gerade in den arabischen Krisenstaaten vor nichts zurückschrecken, um Kritik und unabhängige Informationen zu unterdrücken«, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. Bezeichnend seien auch die Zahlen der Journalisten, die wegen ihrer Arbeit in Haft sind: »Dass die Hälfte aller weltweit inhaftierten Journalisten in den Gefängnissen Chinas, Ägyptens, des Iran und Eritreas sitzen, spricht Bände über den verheerenden Zustand der Pressefreiheit in diesen Ländern.«

Die vollständige ROG-Jahresbilanz 2015 finden Sie hier

NEUE AUFLAGE DES SICHERHEITSLEITFADENS FÜR JOURNALISTEN

Zusammen mit den heutigen Zahlen legt Reporter ohne Grenzen eine neue Auflage des »Sicherheitsleitfadens für Journalisten« vor. Dieses gemeinsam mit der Unesco herausgegebene Handbuch gibt praktische Hinweise für Reporter, die aus Krisen- und Konfliktregionen berichten. Es enthält zahlreiche Tipps zur Arbeit in Kriegsgebieten, bei Demonstrationen und Unruhen sowie nach Naturkatastrophen und Epidemien. Ebenso gibt es Empfehlungen zum Schutz digitaler Daten und Kommunikationswege bei Recherchen in heiklen Umgebungen. Der Sicherheitsleitfaden liegt auf Englisch, Französisch, Spanisch und Arabisch vor.

Mehr zum Thema Sicherheit für Journalisten unter: www.reporter-ohne-grenzen.de/hilfe-schutz/sicherheitstipps/

FREELENS ist Fördermitglied von Reporter ohne Grenzen.