Wunderliche Spartricks
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten versuchen alle zu sparen – auch Verlage. Doch was sich ein Würzburger Buchverlag darunter vorstellt, überschreitet Grenzen. Und das juristische Nachspiel ließ nicht auf sich warten.
Text – Lutz Fischmann
Seit vielen Jahren versucht sich der Würzburger Stürtz-Verlag mit wechselndem Erfolg im Fotobuchmarkt. 1996 startete hier die Münchener Fotografenagentur LOOK eine anspruchsvolle Bildbandreihe, und auch Fotograf und Verleger Karl Johaentges hatte im selben Jahr seine KaJo-Reisebildbandreihe an diesen Verlag verkauft. In den Folgejahren kam es mit dem Verkauf der Stürtz AG (Druckerei) an Bertelsmann dann zu Umstrukturierungen und Problemen in der Vertragsauslegung zwischen dem Verlag und seinen Fotografen.
Um eine im Rahmen des Verkaufs an Bertelsmann drohende Firmenauflösung zu vermeiden, hatten die drei verbleibenden Angestellten des Stürtz-Verlags im Management-Buy-out das »Verlagshaus Würzburg« gegründet. Im weiteren Verlauf kauften die neuen Geschäftsführer der Stürtz AG die alten Buchlagerbestände des Stürtz-Programms als Kommissionsware auf. Neue Bände würde man – so das Geschäftsmodell – selbst finanzieren. So weit, so gut.
Zunächst kündigte der Stürtz-Verlag 1999 die Herausgeberverträge mit Karl Johaentges. Mit dem klar formulierten Ziel, ihn zur Halbierung seiner Honorare zu zwingen. Ohne Erfolg. Doch ab 2000 sahen sich KaJo und die anderen Fotografen bzw. Autoren mit einem juristischen Winkelzug konfrontiert, der ihre Tantiemen radikal reduzierte.
Die Stürtz AG ist mit zahlreichen Text- und Bildautoren durch Standard-Verlagsverträge verbunden, denen zufolge sie pro verkauftem Exemplar einen bestimmten Prozentsatz des mit den Werken der Urheber erzielten Nettoladenpreises an diese abzuführen hat. In § 2 Absatz 2 c dieser Standardverträge haben die Autoren Stürtz auch »das Recht zur Vergabe von Lizenzen für deutschsprachige Ausgaben in anderen Ländern sowie für Taschenbuch-, Volks-, Sonder-, Reprint-, Schul- oder Buchgemeinschaftsausgaben« eingeräumt. In § 5 Absatz 3 der Standard-Verlagsverträge ist vorgesehen, dass die Erlöse aus den in § 2 genannten Nebenrechten zwischen dem Autor und Stürtz im Verhältnis 50:50 zu teilen sind.
Die Stürtz AG und das Verlagshaus Würzburg – wirtschaftlich formal ein eigenständiges Unternehmen, aber auf dem gleichen Flur in der Beethovenstraße 5 beheimatet – dachten sich folgendes Modell zur ökonomischen Sanierung aus: Alle alten Buchlagerbestände wurden weiter vertragsgemäß abgerechnet. Nachdrucke würden allerdings nicht mehr als Folgeauflagen, sondern als Lizenz behandelt. Lizenz?
Stürtz übertrug im Weiteren den Vertrieb des vorhandenen Buchlagers sozusagen als Kommissionsware an das Verlagshaus Würzburg, das die Bücher nach den vereinbarten Honorarsätzen abrechnete. Für Nachdrucke der Werke erteilte die Stürtz AG nun aber eine »Lizenz« und rechnete den Autoren gegenüber dann die Honorare aus Nebenrechten ab, weil ja angeblich nur noch »Lizenzausgaben« vertrieben wurden.
Lizenzvergaben sind in den Verträgen mit den Fotografen klar geregelt. Wie verwandelt man also einen Nachdruck in eine Lizenz? Da die Bücher nicht in fremden Sprachen erschienen, sondern mit gleicher ISBN in den gleichen Buchhandelsregalen standen wie bislang, blieb nur noch die Kategorie »Reprint«. Dieser Begriff steht zwar in jedem Fotografenvertrag, bezieht sich allerdings auf eine mechanische Faksimilereproduktion von Buchausgaben, deren Urheberrechte abgelaufen sind oder von denen es keine originalen Druckvorlagen mehr gibt. Und tatsächlich wurden die Umschläge der neu gedruckten KaJo-Bände von den ursprünglichen Einbänden reproduziert – die Titelbilder waren nun deutlich unschärfer als beim Original. Für den Buchblock wurden natürlich die originalen Druckfilme verwendet, und die Bände unterschieden sich im Impressum nur darin, dass sie als »genehmigte Lizenzausgabe« bezeichnet wurden. Cover wie auch ISBN blieben gleich. Von den Urheberrechten mal ganz abgesehen.
Abgerechnet wurden die Honorare der betroffenen Fotografen und Autoren dann von der gleichen Buchhalterin (mit Büro auf dem gemeinsamen Flur), die sowohl für Stürtz als auch für das Verlagshaus Würzburg tätig ist. Für die Neuauflagen wurde allerdings nur noch ein Fünftel der vereinbarten Honorare gezahlt.
Karl Johaentges führte 2003 zusammen mit Rechtsanwalt Dirk Feldmann einen Prozess gegen diese Praktiken, und das Landgericht Nürnberg-Fürth gab dem Bildautor und Herausgeber vollumfänglich Recht. Stürtz wurde zu vertragsgemäßer Abrechnung verurteilt. Da sich das Landgericht in seiner Begründung dieses Entscheids jedoch vor allem auf den mit Johaentges abgeschlossenen Herausgeber- und Kaufvertrag bezog, glaubten sich Stürtz und das Verlagshaus Würzburg sicher und setzten die vertragswidrige Abrechnung gegenüber den anderen Fotografen und Autoren einfach unverändert fort.
In dieser Sache lief nun ein weiterer Musterprozess am Landgericht. Es ging darin nicht nur um diese so genannten »Lizenzhonorare«, sondern auch um Ramschverkäufe. Und das lief am Beispiel des Bildbandes Neuseeland von Karl Johaentges so: Das Buch war im Herbst 1997 in erster Auflage gedruckt worden und hatte sich auch recht gut verkauft. Im Jahre 1999 erhielten Johaentges und andere LOOK-Fotografen dann einen Brief, in dem mitgeteilt wurde, dass der Verlag wegen schlechter Absatzzahlen einen Teil der Erstauflage – der noch als unaufgebundene Rohbögen auf Palette lag – an den Bertelsmann-Buchclub verramschen musste. Zitat: »Die Bücher wurden mit einem neuen Einband versehen, die Inhalte sind unverändert. Abnehmer ist der Bertelsmann-Buchclub […] Diese Maßnahme war leider nötig, um eine beträchtliche Abschreibung zum Jahresende zu vermeiden, da die Bestände zum Teile eine Reichweite von über 10 Jahren hatten. Da der Teilausverkauf zu Sonderpreisen unter dem Herstellungspreis stattfand, können die verkauften Bücher nicht honoriert werden.«
Was haben Fotografenhonorare nun aber mit den Abschreibungsproblemen eines Buchverlags zu tun? Zumal das mit den zehn Jahren Reichweite der Bestände – siehe unten – an den Haaren herbeigezerrt war.
Die Autoren wurden damals nicht einmal – wie der Vertrag es verlangt – vorab gefragt. Als der Brief die Autoren erreichte, hatte Stürtz schon zwei Monate zuvor die Rechnung geschrieben. Kaum zehn Tage nach Abfassung des Briefs an die Fotografen waren die verramschten neun Buchtitel, insgesamt 35.556 Bücher, schon vom Bertelsmann-Buchclub bezahlt – über 35.000 Bücher, abgesetzt über den Buchclub, für die kein einziger Cent Honorar gezahlt wurde. Wohl gemerkt: Stürtz gehörte seinerzeit zu Bertelsmann.
Aber damit noch nicht genug: Im Jahr 2000 wurden einige der gerade erst verramschten Bände – so auch Neuseeland – flugs nachgedruckt und der bizarren »Lizenz«-Logik folgend dann nur noch als »Reprint« abgerechnet. Ähnlich ging es auch anderen LOOK-Fotografen.
Diesem Geschäftsgebaren musste einfach ein Riegel vorgeschoben werden. Wo kommen wir hin, wenn Hauptrecht nach Gutdünken in Nebenrecht umgewandelt wird? Fotograf KaJo erhob Klage, und am 24. März 2004 fällte das Landgericht Nürnberg-Fürth ein eindeutiges Urteil.
In der Anhörung hatten die beiden Verlage als Grund für die Verramschung noch kleinlaut Verlagsumstrukturierungen, Lagerprobleme und existenzgefährdende Abschreibungsprobleme vorgebracht. Aus den Einlassungen der Verleger war zu entnehmen, dass die durch den Ramschverkauf erzielte Summe quasi eine Anschubfinanzierung für das neue Verlagshaus Würzburg war. Das Gericht machte aber klar, dass auch bei schwerwiegenden wirtschaftlichen Gründen verlagsinterne Probleme nicht auf die Autoren abgewälzt werden können und dass – wenn mit den Autoren vor solchem Hintergrund nichts anderes vereinbart wurde – die geschlossenen Verträge eingehalten werden müssen. Der Ramschverkauf hätte vorab mit den Rechteinhabern auf Grundlage der geschlossenen Verträge abgesprochen werden müssen. Alle »Ramschbände« der aus Rohbögen der ersten Auflage produzierten Bände für den Bertelsmann-Buchclub müssen demnach wie vertraglich vereinbart honoriert werden.
Auch bezüglich der »Lizenzen« war das Urteil des Gerichts eindeutig. Hauptrecht darf nicht einfach in Nebenrecht umgewandelt werden. Da es sich weder um Sonderausgabe noch Taschenbuch handele, sei der bemühte § 2 nicht anzuwenden gewesen, sondern die Nachdrucke waren eindeutig Nachdrucke und müssten folgerichtig auch als solche behandelt werden. Fazit: Die vermeintlichen Ramschexemplare müssen entsprechend der vereinbarten Prozentzahlen honoriert werden. Punkt.
Die Beklagten erkannten – nach Rücksprache mit ihrer Anwältin – noch im Gerichtssaal das Urteil an, das somit Rechtskraft erlangte. Da die Verlage noch einer Reihe weiterer Fotografen gegenüber so eigenwillig abgerechnet haben, können alle betroffenen Urheber der LOOK-Reihe und KaJo-bei-Stürtz-Bände Nachhonorierungen einfordern.
Jeder kann nun auf eigene Faust vorgehen oder mit einem Anwalt seiner Wahl versuchen, sein Recht und damit ausstehende Honorare zu bekommen. Die Forderungen müssen allerdings noch in diesem Jahr angemeldet werden, denn in 2005 werden einige der Ansprüche verjähren.