Magazin #04

Was für eine Show

Jeder wird eingeladen, keiner kennt sie – die VG Bild-Kunst Jahreshauptversammlung. Ja genau, das sind die, die ihren Urhebern jedes Jahr so nette Einladungen schreiben. Funktionäre entscheiden dort über Fotografeninteressen. Richtige Fotografen werden auf dieser Veranstaltung kaum gesichtet. Schade, denn was da läuft, ist eine tolle Show. Unser FreeLens-Vertreter war dabei

Text – Heiko Haupt

Pavarotti singt mit den Wildecker Herzbuben – grausam. Das Phantom der Oper in der Dekoration vom Glücksrad? Bloß nicht. Nein, wer heute im Showgeschäft Erfolg haben will, der darf sich solche Schnitzer nicht erlauben. Drehbuch, Mitwirkende, auf die Sekunde einsetzender Beifall – alles muß stimmen. Planung ist gefragt, Organisation.

Im normalen Leben allerdings, da hat sich dieses Wissen noch immer nicht durchgesetzt. Da werden Diskussions-Runden veranstaltet, bei denen den Teilnehmern vor lauter unnützem Gerede das Hirn aufquillt. Sitzungen, die sich ohne Spannungsmomente über den Tag robben. Manchmal aber gibt es Lichtblicke im trostlosen Alltag. Vermeintlich ödes Tagesgeschäft mutiert plötzlich zum Unterhaltunsgprogramm. Ratespiele statt Fragemarathon, Überraschungsgäste lockern die Auftritte bekannter Gesichter auf. Der 13. Juli war so ein Tag.

Wenn es denn ein wenig Kritik zu geben hat, dann nur an einem Punkt. Der Titel der Veranstaltung gleicht zwischen Titeln wie Glücksrad oder Wetten daß einem Dinosaurier: »VG Bild-Kunst Jahreshauptversammlung.«

Aber es kommt schließlich auf die Show an sich an. Allein schon die Spielregeln: Genial durch Besinnen auf das Einfache. Auf der Bühne sitzt – wie einst bei Robert Lembke – eine Reihe alteingesessener Mitspieler: Frauke Ancker, Anatol Buchholtz, Roland Klemig, Verwaltungsleiter Reinhard Meyer und Geschäftsführer Gerhard Pfennig.

Das ist die eine Gruppe. DJV, IG-Medien, BFF und BVPA gehören zum Publikum. Die meisten schauen gebannt nach oben. Und wenn die Leuchttafel »Beifall« aufblinkt, dann klatschen sie. Dazu kommt der Nachzügler. FreeLens heißt er, kennt die Spielregeln noch nicht so ganz und fällt durch unangenehme Fragen auf. Pfui! Das ist doch eine Unterhaltungsshow.

Aber, schließlich ist ja alles genau durchdacht, gibt es noch die heutige Extra-Regel: Alle Kandidaten zusammen haben 1.900 Stimmen oder Punkte, ungefähr. Davon hat der Kandidat DJV 318 auf seinem festen Konto, die Spieler vom BFF und Designertag haben 361 Punkte, der IG-Medien-Mensch kommt auf 303, der BVPA-Teilnehmer hat 231, der Bundesverband Bildender Künstler 178 und der Börsenverein des deutschen Buchhandels, 155. Der Neuling FreeLens kommt auf 211 Punkte, Platz fünf.

Pang – schon wird das erste Spiel eingeläutet. Wahl-Spiel heißt das und geht so: Es gibt eine Gruppe von Leuten, im Spiel heißen sie Verwaltungsrat. Die haben, weil es sonst zu einfach wäre, Stellvertreter. Scheidet nun einer von den Stellvertretern aus, so rückt einer aus seiner Spielergruppe nach, logisch. Diesmal ist es einer vom BVPA.

Frage: Wer darf als nächster rein? Klar, Bernd Weise, Geschäftsführer des BVPA, schließlich ist er als Nachfolge-Kandidat vom BVPA offiziell gewählt. Und zwar als einziger, kein Gegenkandidat, kein nichts. Hört sich nach einer einfachen Spielrunde an. Die Frage: Darf der da rein? Klar darf der, denkt FreeLens. Schließlich ist das ein Logik- und Gerechtigkeits-Spiel. Denkste, die Spieleerfinder haben noch ein paar Hindernisse eingebaut, damit es richtig spannend wird. Sogar dem Kandidaten Weise haben sie nicht gesagt, was jetzt kommt. Das Publikum bebt vor Spannung – nur einige der anderen Mitspieler sind völlig locker. So als wüßten sie längst Bescheid.

Plötzlich, Vorhang auf, kommt ein Überraschungsgast auf die Bühne. Die Frau heißt Marion Wedekind und ist Vorsitzende des BVPA. Völlig spontan wird sie als Kandidatin vorgeschlagen und völlig spontan stellt sie sich auch zur Verfügung. Die Spontaneität kommt richtig echt rüber. Gut gespielt. Wußten doch einige der Eingeweihten schon Wochen vorher von der neuen Kandidatin. Sie hält eine kurze, aber flammende Rede: »Ich blicke in die Zukunft nach vorn.« Soll heißen: Ihr Gegenkandidat Weise nicht.

Der FreeLens-Spieler denkt, dies sei ein Frage-Antwort-Spiel und fängt an zu diskutieren: Die Wedekind ist zwar in diesem Bundesverband der Presse-Bildagenturen Vorsitzende, aber sie hat doch auch ihren eigenen Laden, die Agentur TRANSGLOBE. Außerdem macht sie gerade ein neues Projekt. EISS heißt das (siehe Kasten), so eine Bilddatenbank. Sind da nicht Interessenskonflikte mit der VG-Bild vorprogrammiert, will er wissen? In dem Spiel ist die Kombinationsgabe gefordert. Wenn die Wedekind gewählt wird, dann könnte sie ja auch ihre privaten Interessen durchdrücken – schließlich kandidiert sie ja auch als Privatperson. Pech gehabt, dies ist eben kein Frage-Antwort-Spiel. Wer diskutiert, verliert. »Die Wahl läuft bereits«, sagt Moderator Meyer. Der FreeLens-Spieler schaut auf seine Tagesordnung. »Vorbereitung einer Nachwahl«, steht da. Die Wahl ist erst zum Nachmittag angesetzt, wirft er ein. Tempo, Tempo, der Preis ist heiß. Der Moderator drängt. Ein Mann vom Deutschen Patentamt, der Aufsichtsbehörde, die aufpassen soll, daß bei dem Spiel auch alles mit rechten Dingen zugeht, sitzt da, sagt nichts und läßt es geschehen.

Jetzt ist also der Zeitpunkt gekommen, auf den Antwortknopf zu drücken. Das Spiel ist logisch aufgebaut, also muß auf Weise getippt werden. Achtung, fertig, los – falsch geraten. Die meisten anderen haben den Wedekind-Knopf gedrückt.

Die Überraschung: Roland Klemig, der BVPA-Spieler, hat überhaupt nicht gedrückt und seine Stimmenpunkte verfallen lassen. Hatte er doch alle BVPA-Stimmen mit dem Auftrag bekommen, Bernd Weise zu wählen. Und nun fällt auch er, gemeinsam mit seiner Vorsitzenden Wedekind, seinem eigenen Geschäftsführer in den Rücken. Was sind schon BVPA-Entscheidungen wert, wenn man in einer Show den Buhmann spielen darf.

Sogar der Deutsche Journalistenverband hat sich dem Überraschungsprinzip des Spiels angepaßt. Eine Organisation, die »Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten« in ihrem Untertitel führt, gibt seine Stimmen an die Unternehmerin Wedekind. Ein Schachzug, der die anderen Mitspieler natürlich irritiert. Und so hatten dann FreeLens, BFF und der Deutsche Designertag mit ihrer normalen Logik gegen Wedekind getippt. Spielstand am Ende der Runde: 818 Stimmen für Wedekind, 585 für Weise und 496 Enthaltungen.

Und wieder verwechselt der FreeLens-Spieler eine gute Show mit einer Diskussionsveranstaltung. Ob denn auf einer Verwaltungsratssitzung nur deren Mitglieder erlaubt seien, will er wissen. Ja, sagt Pfennig und stellt sich dumm. Nach langer Fragerei verrät er FreeLens doch etwas von der Vorbereitung für die Show mit dem Überraschungsgast. Wie gesagt, sowas muß durchgeplant sein. Also: Es gab am Tag vor der großen Show eine Verwaltungsratssitzung der VG Bild-Kunst. Diesmal allerdings, ja, da habe es eine Ausnahme gegeben. Eine »Beobachterin« habe man zugelassen. Überraschungsgast Wedekind war das. Der Weise? Nein, den habe man nicht eingeladen.

Nächste Frage: Wollt ihr CMMV? Alles ist ruhig – nur von dem Neuen, FreeLens, ist ein »Was ist das?« zu hören. Jetzt wird das Spiel richtig hart. Die anderen haben schon fast die Finger an den Knöpfen, nur er steht auf, fordert Spielunterbrechung. Warum man denn über diese »Clearingstelle Multimedia« überhaupt keine Unterlagen bekommen habe, will er wissen, man könne doch nur abstimmen wenn man informiert sei. Er sieht die ebenso ratlosen Gesichter einiger Mitspieler. Spieler, die einen Mann im Verwaltungsrat sitzen haben, schauen gelassen. Man hätte zwar Unterlagen, meint Pfennig – der alte Spielfuchs – aber keine Möglichkeit gehabt, diese vorher zu verteilen. Die ganze Sache sei schon richtig und gut, versichert er. Kein Wort davon, daß es dabei um die Gründung einer GmbH mit vermutlich Milliardenumsätzen geht (siehe Kasten). »Warum überhaupt CMMV?« fragt wieder dieser FreeLenser. Pfennig gibt einen Tip: »Europa will das so.« Wer ist Europa? »Brüssel«, lautet die Antwort. Die Tips bringen die Mitspieler auch nicht weiter. Noch eine Nachfrage: Wer in Brüssel? »Die Europäischen Verleger und Multimediaproduzenten.« Nun ist es heraus: Die Antriebsfeder für die VG Bild-Kunst Aktivitäten sind die Wünsche der Multimedia-Lobbyisten. Und die Urheber? Denen wird eine tolle Show geboten.

Dabei müssen die Mitspieler gar nicht viel überlegen. Denn der Moderator und sein Verwaltungsrat, die wissen schon was gut ist, und mit einem Augenzwinkern geben sie zu verstehen, daß »Ja« die richtige Antwort ist. Hier geht es um raten und nicht um wissen. Zack, drücken alle ihre Knöpfchen: Und schon ist die CMMV beschlossene Sache. Nur FreeLens ist wieder der Spielverderber.

Nächste Frage: Wollt ihr eine Satzungsänderung? Welche denn? Fragen die Mitspieler zurück. Schnell wird kopiert und ein fünfseitiges Papier an die Ratenden verteilt. Das Geschriebene mit Muße lesen zu können – ein zu schöner Traum für so eine rasante Show. Schon wird die Abstimmung eingeläutet. Zack, wieder hat das Stimmvolk zu tippen – und die Satzungsänderung ist durch.

Beifall und Abspann. Der Regisseur und Moderator verbeugt sich. Danke liebe Mitspieler und Zuschauer, wir hoffen die Show hat ihnen gefallen, fürs nächste Mal werden wir uns wieder alle Mühe geben ein tolles Programm auf die Beine zu stellen.

Was für ein Tag. Der Neue ist noch ein bißchen mitgenommen, aber er hat jetzt Blut geleckt. Nun sind die Spielregeln klar. Das nächste Mal weiß ich Bescheid. Dann bring ich viel mehr Punkte und Stimmen mit. Und dann können die alten Spieler vorher unter sich noch soviel ausbaldowern, ­ dann wird richtig gespielt.