Magazin #06

Tut mir leid, aber ich kann kein Bild mehr machen

Renommierte Fotografen erzählen über ihren Rückzug aus dem Beruf

Text – Manfred Scharnberg

Fotografie ist eine Leidenschaft, ein Beruf, von dem man nicht lassen kann, wenn man einmal Feuer gefangen hat. Aber was kommt, wenn man – von sich aus oder unfreiwillig – an die Grenzen des Jobs stößt? Vier Fotografen entdecken andere Leidenschaften, probieren neue Möglichkeiten aus.

Gerhard Schafft: Das mit den Klamotten hat der Fotograf eigentlich schon immer gemacht. Damals, da hat er sie von unterwegs mitgebracht, hat auf seinen Fotoreisen Second-Hand-Sachen gekauft, die seine Frau dann in dem Laden Angelos an der Hamburger Marktstraße verkauft hat. Später hat er sich immer mehr darauf konzentriert, als zweites Standbein sozusagen – das dann die Fotografie abgelöst hat. Heute geben die mittlerweile drei Angelos-Boutiquen Gerhard Schafft die Unabhängigkeit, sich wieder mehr um die Fotografie zu kümmern, sich der Leidenschaft für Bilder auf eine neue Art zu nähern.

»14 Jahre habe ich mit Joachim Ellerbrock zusammengearbeitet«, erzählt Schafft. »Wir haben uns auch gegenseitig gefördert. Es war eine gute Zeit. Wir hatten das Privileg für die Magazine von Gruner und Jahr große Geschichten zu produzieren.« Dann kam die bittere Erkenntnis: »Wir stellten fest, daß wir von dem Honorar, das wir uns geteilt haben, nicht mehr leben können.« Die Ansprüche hatten sich verändert und auch das Privatleben. Schafft hatte für sich das Gefühl »der Journalismus baut ab«. Und auch immer mehr Kollegen klagten über die schlechte Auftragslage. Vor vier Jahren hat er dann seinen letzten Job gemacht, GEO Special Malaysia – Singapur. Daß da schon die Sache mit den Klamotten lief, kam nicht von ungefähr: »Ich habe mich nie auf ein einziges wirtschaftliches Standbein verlassen, ich möchte autark sein. Das habe ich von meinen Eltern mitbekommen – autark leben, auf niemanden angewiesen sein. Wenn das eine nicht geht, muß das andere funktionieren. Ich will mir soviel Unabhängigkeit schaffen, wie möglich. Das ist meine kleine Freiheit.«

Ganz losgelassen hat Schafft die Fotografie allerdings nie. Und die finanzielle Freiheit, die er heute hat, möchte er zum Teil auch wieder in das Thema Fotografie investieren; wenn auch anders als früher. »Ich habe für mich entdeckt, daß ich Lust habe zu organisieren«, sagt er. »Seit einem Jahr habe ich eine Halle – da möchte ich gern wirklich gute Fotografen ausstellen, das wird zum Teil über meine Läden finanziert.« Die Halle, so Schafft, könnte ein Forum werden, drei oder viermal im Jahr eine Vernissage für Fotografen, für gute Fotografie. Auch junge unbekannte Fotografen sollen dort eine Möglichkeit bekommen – nicht die »Historienschinken«, die überall ausgestellt werden. »Die Halle kostet viel Geld. Deshalb muß ich auch mal eine Verkaufsausstellung machen.«

Eins gibt Schafft zu: »Es war schwer für mich vor vier Jahren aufzuhören.« Daher sieht er die neuen Pläne auch als eine Art Wiedereinstieg. »Ich schätze die Fotografie, ich liebe sie. Ich lasse keine große Ausstellung aus, fahre nach Perpignan, nach Arles. Ich kenne Fotografen, die erzählen, sie könnten sich von der Fotografie lösen, ich kann es nicht. Ich habe Lust an Fotografie, nur wie ich selbst davon existieren kann, das ist eine andere Geschichte.« Auch wenn er nur noch privat den Apparat auslöst, möchte er in Zukunft mit seiner Halle ein Auslöser sein für die Auseinandersetzung mit Fotografie.

Manchmal möchte er allerdings am liebsten auch mal wieder selber die Kamera in die Hand nehmen. »Ich habe es im Kopf, mal wieder eine Reportage für mich zu machen und damit zum Stern oder zu GEO zu gehen, ich hab da so zwei, drei Themen.« Auf eigene Faust – denn der Typ, der aufs Klingeln des Telefons und den Auftrag wartet, der ist Gerhard Schafft nicht. »Man muß selbst initiativ werden, muß selbst auf die Suche gehen – ohne den Auftrag.«

Jeder muß seine Nische finden, sagt er, muß in Ruhe sein Thema machen. »Ich bin fest davon überzeugt, wenn man eine gute Reportage fotografiert, wird man sie immer los. Das muß nicht weit weg sein. Wir haben zum Beispiel die Hells Angels gemacht. Auch viele Literaturgeschichten wie Theodor Storm. Da haben sie damals gesagt, laß uns mit sowas zufrieden. Wir haben es ohne Auftrag gemacht, haben es vorgelegt und sie waren begeistert. Ähnlich lief es mit der Story über die Schlumper, eine malende Behindertengruppe in Hamburg. Man muß es nicht aufwendig mit einem großen finanziellen Background machen. Auch wenn ich klugschnacke, wichtig ist, mit Neugierde Fotografie zu betreiben. Wer Begeisterung für Fotografie hat, hat auch die Möglichkeit eine gute Geschichte zu machen.«

Natürlich weiß auch Schafft bei allem wieder aufkeimendem Enthusiasmus, daß in diesem Gewerbe nicht alles Gold ist – sonst hätte er schließlich selbst wohl nie aufgehört. »Es gibt eine Reihe guter Fotografen, die einfach von den Redaktionen vergessen wurden. So ist das Business. Es gibt ja auch viele neue, junge Fotografen. Wahrscheinlich so viele, daß sie nicht alle beschäftigt werden können. Obwohl man bei einem Blick in einen Kiosk manchmal denkt, daß es gar nicht genug Fotografen für die ganzen Blätter geben kann.«

An eines aber glaubt Gerhard Schafft: »Gute Fotografie wird – bei allem Jammern – immer existieren, sie wird immer ihre Berechtigung haben. Wie ein guter Wein.«

 

Hans Madej: »Wenn ich vorher gewußt hätte, was passiert, wäre ich ja gar nicht erst losgefahren«, sagt Hans Madej über seine Reportagereise ins malayische Sarawak. Es passierte im letzten Jahr, wie gewohnt trifft er morgens den Autor, mit dem er an einer Dschungel-Geschichte arbeitet, im Hotelfoyer. Doch Hans Madej hat seine Kamera nicht dabei. »Tut mir leid, aber ich kann kein Bild mehr machen – absolute Blockade«, eröffnet er dem verdutzten Journalisten. Daß dieses Gefühl bis heute anhält und den Entschluß, mit der Fotografie aufzuhören, bestimmen sollte, das wußte er damals noch nicht. »So leichtfertig einfach die Kamera wegzulegen – jetzt seht zu wie ihr klarkommt – das hätte ich dem Schreiber und der Redaktion gegenüber normalerweise nie angetan, aber es ging nicht mehr«, sagt der 43jährige.

Natürlich hatte er sich schon vorher über seinen Berufsweg Gedanken gemacht, aber daß diese Blockade plötzlich wie ein Gewitter über ihn hereinbricht, hatte er sich nicht vorstellen können. »Vor Ort ist es einfach kulminiert«, sagt Hans Madej. »Es hat sich langsam vorbereitet, auch bei der Fotografie in Krisengebieten. Was wir tun, fotografieren und reisen, hat sehr viel mit äußeren Reisen zu tun, und man kommt irgendwann an einen Punkt, an dem die Reise nach innen geht. Dann fängt eine starke Auseinandersetzung mit einem selber und natürlich auch mit dem Medium Fotografie an. Und das habe ich auf dieser Reise intensiv und sehr stark erlebt – man sieht einfach kein Bild mehr.«

Sehr viel Persönliches ist da zusammengekommen, aber auch etwas, das mit dem Medium Fotografie an sich zu tun hat: »Weil die Produktionszeiten sehr viel kürzer werden, steigt der Druck, dem man ausgesetzt ist. Man hat zehn Tage Zeit und kann sich währenddessen keine drei schlechten Tage leisten. Und man wacht von heute auf morgen in einem fremden Land auf und ist gezwungen innerhalb von zehn Tagen dort seine Geschichte zu machen und der große Inszenator zu werden.«

Inszenator war Hans Madej nur selten. In seiner 15jährigen professionellen Karriere brachte der Autodidakt einen schnellen Aufstieg hinter sich. Reisegeschichten, Alltagsleben und internationale Krisen fotografierte er regelmäßig für Merian, Stern und GEO. Ab 1987 spezialisierte er sich auf Ostblockthemen: Albanien, Bulgarien, Tschernobyl. Die weltweit erste Reportage über Rumänien unter Ceaucescu stammt von Hans Madej. Wer auf solch intensive Arbeit zurückblicken kann, handelt meist weiter nach diesem Erfolgsrezept. Nicht aber Hans Madej. »Ich möchte mich nicht ewig wiederholen«, sagt er. »Die Geschichten gleichen sich ab einem bestimmten Zeitpunkt – man hat seine Handschrift und die ist irgendwann einmal ausgereizt.« Nicht ausgereizt ist allerdings sein Bedürfnis, Geschichten zu erzählen. Das macht er jetzt mit bewegten Bildern. Er hat sich eine Videokamera und einen Schneidetisch zugelegt und arbeitet an seinem ersten Film. Das Portrait einer Gruppe von religiösen Menschen, die in den 30er Jahren die Geschichten der Bibel auf einer Waldlichtung in Ostpolen nachgespielt haben – markante Persönlichkeiten in biblischem Alter. »An diesem Thema zeigt sich, daß man Themen filmisch anders – das heißt aber nicht besser – erzählen kann als mit der Fotografie. Die drei Ebenen – die Vergangenheit, die Geschichte der Bibel sowie Aussagen der noch Lebenden – fordern das Umsetzen in einem Medium, in dem Zeit eine wichtige Rolle spielt und das mit Ton, Kommentar, mit Bewegung und Rhythmus arbeitet, geradezu heraus.«

Die Stärken in seinem Film sind, wie in seiner Fotografie, die Menschen: pittoreske Gestalten, starke Persönlichkeiten die phantastisch ausschauen. Freunde von Hans, die das Filmmaterial angeschaut haben, sehen keinen Bruch zu seiner Fotografie. »Genau wie Deine Fotos«, sagen sie. Anders sind dagegen etwa die Produktionsbedingungen beim Film. »Mein Traum wäre, zwei Filme pro Jahr zu produzieren«, sagt Madej. »Themen, mit denen ich mich sehr intensiv beschäftige, und die ich sorgfältig vorbereite. Das liegt mir viel mehr, als dieses kurzfristige Jetten um die Welt.«

Es gab zwar auch Zeiten, in denen Hans Madej das viele Reisen gefiel, aber er hat schon immer versucht langfristig zu arbeiten und seine Arbeiten unter einem Oberbegriff zu sehen. »So wie ich an Themen herangehen möchte ist es heute in der Fotografie praktisch nicht mehr machbar.« Diesen Luxus hat er sich in letzter Zeit selbst geleistet – mit dem Risiko dabei draufzuzahlen.

Für Hans Madej hat sich in den Printmedien etwas grundsätzlich verändert: »Man kam mit unglaublich vielen Bildern zurück und die Vorführung in der Redaktion war noch ein Ereignis. Und dann hat man sie über Doppelseiten gedruckt. Das ist vorbei. Zeig mir heute ein Magazin, wo du noch in Bildern Geschichten erzählen kannst. Alles wird immer kleiner, immer bunter aber richtige Bildstrecken siehst Du kaum noch.«

Hans Madej macht sich keine Illusionen, daß nun im Dokumentarfilmgeschäft traumhafte Bedingungen auf ihn warten. Er weiß nicht genau, was auf ihn zukommt und ob er sich nicht doch eines Tages wieder der Fotografie zuwendet. Noch einmal bei Null anzufangen schreckt ihn nicht: »Ich stehe wieder am gleichen Punkt, wie vor 15 Jahren, als ich angefangen habe zu fotografieren. Das hat etwas Aufregendes und ist eine Herausforderung.«

 

Bernhard Nimtsch: Der Fotograf fährt einen Mercedes der S-Klasse. Allerdings ist die Luxuslimousine nicht das Ergebnis fotografischer Höchstgagen – sie hat aber trotzdem viel mit diesem Beruf zu tun. Bernhard Nimtsch ist Fotograf und Taxifahrer. Und weil er finanziell allein mit der Fotografie nicht zurecht kommt, steigt der 42 jährige dann und wann in die cremefarbene Limousine eines Taxiunternehmers. »Für mich ist das eine Möglichkeit nebenbei Geld dazu zu verdienen«, sagt er.

Seit etwa 20 Jahren arbeitet Bernhard Nimtsch als Fotograf. Seine Themen: Arbeit, Sozialpolitik, Technik und Umwelt. Seine bekannteste Reportage über Flugunfalluntersuchungen des Luftfahrtbundesamtes druckte der Stern unter dem Titel »Die Crashdetektive«. Er arbeitete oft für Organisationen mit sozialem Engagement wie die IG-Metall und Greenpeace. Und gerade die waren es, die seine finanziellen Probleme auslösten. Bernhard Nimtsch setzte soviel Zeit für diese Organisationen ein, daß kaum Zeit blieb, andere Kundenkontakte auszubauen und zu pflegen. Und dann blieben eines Tages die Aufträge aus.

Geärgert hat Nimtsch vor allem der ruppige Umgang: »Eine Organisation, die es sich auf die Fahnen schreibt, für die Rechte der Schwachen und Armen einzutreten, sollte sich anders verhalten als kapitalistische Betriebe, aber da bist du auch nur ein Kostenfaktor.« Bei der IG-Metall Frankfurt zum Beispiel waren zehn Fotografen bundesweit ein Kostenfaktor von etwa 150000 Mark. Und die Organisation sagte sich: Wenn wir unsere Metall-Arbeiter umsonst fotografieren lassen, sparen wir 95000 Mark. »Vielleicht war es naiv, doch es hat mich schon in meinem Weltbild erschüttert. Denn statt zu sagen, wir müssen uns zusammensetzen und gemeinsam eine Lösung finden, kamen von der IG-Metall nur Hinhaltesprüche: Es würden nur Marginalien verändert. Alles Quatsch, denn von heute auf morgen kam kein Auftrag mehr aus Frankfurt.« Ähnlich lief es bei Greenpeace, Schluß aus, ohne ein Sterbenswörtchen.

Plötzlich wurde auf diese Weise der finanzielle Druck so groß, daß Nimtsch die Bürogemeinschaft mit anderen Fotografen und auch sein Auto aufgeben mußte. »Es gibt immer weniger Kunden, die auch bereit sind, professionelle Arbeit entsprechend zu honorieren. Die Honorare sind noch auf dem Stand von vor zehn Jahren aber alles hat sich verteuert, das ganze Equipment und so weiter. Wie soll man das eigentlich alles finanzieren?«

Nach dem abrupten Abschied seiner Hauptkunden nutzt Bernhard Nimtsch die schnelle Lösungsmöglichkeit. Ordentlich büffeln, nach sechs Wochen hat er den Taxenschein in der Tasche und das Einkommen ist gesichert – ohne sich als Fotograf zu prostituieren.

Heute hat er Fahrgäste aller Bevölkerungsschichten im Auto sitzen – von der Hure bis zum Pastor. Und sie erzählen oft Geschichten. »Da kommt meine Journalistenseele richtig zum Zuge«, schwärmt Bernhard Nimtsch. Trotzdem ist taxifahren kein Zuckerschlecken. »Aber die Zeit ist gut für mich, auch um herauszufinden was ich eigentlich fotografisch will – ich möchte Geschichten erzählen, Alltagsgeschichten wie ein Märchenerzähler, Dinge die mich berühren.« Er hat nicht mehr nur die Karriere im Kopf, fotografiert aus sich selbst heraus. »Es gibt mir die Freiheit mich zu entscheiden, ich könnte sogar jetzt sagen ich lass die Fotografie ganz, früher hätte mich das mein Leben gekostet. Ich glaube aber da war ich auf dem Holzweg.«

»Taxifahren ist für mich okay, Zeit für mich zu haben, um nachzudenken. Ich habe auch in meinem privaten Bereich einiges verändert, nehme mir jetzt Zeit für meine Familie«, sagt Bernhard Nimtsch. Und er hat für Streßabbau gesorgt. »Nur noch für den Job zu leben, dazu bin ich nicht mehr bereit. Dabei ging die ganze Lebensfreude drauf.« Und er verspürte eine enorme Entlastung von einem mentalen Druck. »Ich fotografier nicht mehr jeden Mist, nur um den Umsatz zu machen, der meinen Apparat finanziert. Ich will entscheiden, welche Jobs ich mache und welche nicht.«

Bernhard Nimtsch arbeitet mit Redaktionen zusammen, die »mitdenken und Fotografen respektvoll behandeln« wie er sagt. Entsetzt ist er über den Ton in manchen anderen Redaktionen. »Oft sitzen da Opportunisten, die nach oben buckeln und nach unten treten, die ihre kleine Macht ausnutzen. Wenn sie sich wenigstens auf eine fachliche Diskussion über Fotos einlassen würden. Aber das tun die meisten nicht, sie zicken irgendwie rum, ohne einen Ansatzpunkt zu nennen, wo das Problem eigentlich liegt.«

Eines will Bernhard Nimtsch auf keinen Fall mehr: »Ich muß mir nicht vom Artdirektor anhören: Was ist denn das für eine Geschichte? Und dann sagt der Bildredakteur, der die Fotos vorher gut fand, plötzlich auch: Ja was ist denn das? Diese Spielchen mach ich nicht mit. Dann steig ich lieber in mein Taxi, das erhält mir die Freiheit und das Selbstwertgefühl.«

 

Götz Linzenmeier: Auch seine Vita liest sich zunächst wie eine ganz normale Fotografenkarriere: 1960 in München geboren, bekommt er mit 14 Jahren die erste Kamera, fotografiert Industriegebiete in Essen und interessiert sich für die Entwicklungen an der Folkwang Schule und dem Folkwang-Museum. Mit 16 gewinnt er einen Schüler-Fotowettbewerb und macht Praktika bei NRZ und WAZ. 1980 Studium Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Bildjournalismus bei Angela Neuke. Während und nach der Ausbildung stürzt er sich in die sozialen Auseinandersetzungen der Zeit, fotografiert die Friedensbewegung, Antiatomkraft-Demonstrationen, Hausbesetzungen aber auch den Alltag von Arbeitslosen. »Mich interessierte nicht der Mensch als kleiner schwarzer Punkt, sondern als Persönlichkeit«, sagt er. Götz Linzenmeier arbeitet für DIE ZEIT und SPIEGEL, seine Sozialreportagen werden im Stern veröffentlicht. Folge der intensiven Zusammenarbeit mit der Münchner Stern-Redaktion ist das Angebot, in die bayrische Landeshauptstadt zu ziehen, als fester freier Mitarbeiter. 1988 nach einer Reportage über die Intifada in Palästina zieht es ihn nach Hamburg. Und neben der journalistischen Arbeit fotografierte er auch Werbung für Tchibo oder Grundig.

So weit so gut. Die Wende in Götz Linzenmeiers Leben kam 1990. Neben der Fotografie pflegte er schon länger eine andere Leidenschaft: das Segeln. Und durch den Kontakt zu einem Konstrukteur ergab sich plötzlich eine neue Perspektive: Er entdeckte, daß es einen großen Bedarf an individuellen, robusten Segelyachten gab. Trotz seines Erfolges als Fotograf hatte er sich schon damit beschäftigt, sich ein weiteres Standbein aufzubauen. »Der Markt wurde ziemlich eng, es gab etliche andere gute Fotografen und immer mehr junge Kollegen, die in die Fotografie drängten.« sagt Götz Linzenmeier. »Es wurde immer schwieriger hohe fotografische Ansprüche zu verwirklichen und komplette Reportagen zu verkaufen. Ich bekam langsam Zweifel, ob man auf Dauer davon leben kann – so fiel mein Entschluß: Nun steigst du in das nächste Abenteuer ein.«

Er lernte schweißen, beschäftigte sich mit Metallbau, mit Marktstrategien und begann in der Ecke einer Halle im Hamburger Hafen Aluminiumrümpfe für Segelyachten herzustellen. »Eine spannende Zeit, in der ich jeden Tag dazulernte.« Heute ist daraus eine Werft im polnischen Danzig mit 75 Mitarbeitern geworden, die solide, zehn bis 30 Meter lange Aluminiumyachten und schnelle Wasserfahrzeuge für gewerbliche Kunden produziert.

»Anfangs war es hart, und ich habe eine Menge Lehrgeld zahlen müssen«, sagt der 37jährige Unternehmer. »Es war schon eine bittere Erkenntnis, daß ich meine geliebte Fotografie zurückstecken mußte. Doch es wurde immer schwieriger, auch durch das Fortschreiten der elektronischen Medien. Ich stand vor der Frage: wo stehst du eigentlich – sollst du gleich die Videokamera in die Hand nehmen?« Zwei Jahre fotografierte er noch neben dem Aufbau seiner Werft, vor allem für die amerikanische Zeitschrift Fortune. Dann ging es nicht mehr. »Ich war dazu bereit, mein Leben radikal zu verändern, denn auch als Fotograf hatte ich des öfteren Mut zu beweisen.«

Für Götz Linzenmeiers Austieg aus der Fotografie waren einige rationale Gründe ausschlaggebend. Er hatte 1989 die Umwälzungen in der Tschechoslovakei und 1990 in der DDR fotografisch begleitet. »Danach war ein geschichtliches Kapitel beendet, und ich fragte mich: Willst Du bei dieser Entwicklung noch mitmachen, ist das noch interessant?« Für ihn lief alles in eine falsche Richtung. »Dieser intellektuelle Rollback in den 80er Jahren; die aufkommende Präsenz des privaten Fernsehens; zum Beispiel die Macht des Herrn Kirch, der die Leute täglich millionenfach mit Scheiße zuschüttet, das hat langfristig sozialpsychologische und politische Folgen, da bekomme ich Zustände.« Er hätte sich gewünscht, daß Zeitschriften wie der Stern in den 80er Jahren die Entwicklung des Kanzlers Kohl und die geistige Wende in der Republik nicht so unwidersprochen hingenommen hätten. »Man hätte damals frecher und schärfer sein können«, sagt er. »Schließlich wurde zum Beispiel die Ostpolitik in den 70er Jahren durchaus medial vorbereitet und begleitet.« Die Medienlandschaft, die er sich vorstellt, gab es nicht mehr. »Es befiel mich so etwas wie ein Ohnmachtsgefühl, wenn in den Medien nur noch Nischen für politische Auseinandersetzung existieren, was soll ich noch in diesem Bereich?« Und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: »Nur in meinem Privatbereich die rote Fahne zu hissen, das interessiert mich nicht.«

Götz Linzenmeier blickt zurück: »Ich habe auch eine Reihe hervorragender Menschen und ausgezeichneter Redakteure kennengelernt, mit denen die Zusammenarbeit Spaß gemacht hat. Trotz des allgemeinen Fotografenfrusts, daß gute Bilder nicht erkannt und nicht gedruckt werden, war es eine sehr tolle Zeit, die ich nicht missen möchte.« Und prinzipiell kann er seine Erfahrungen als Fotojournalist auf sein heutiges Geschäft anwenden: »Ich bin nie zufrieden, habe meine Neugier behalten und bin ständig auf der Suche.«