Magazin #20

Tapfere Schneiderlein

Ein guter Schneider näht auch aus schlechtem Stoff ein gutes Kleid – wer’s nicht kann, dem nützt selbst das beste Material nichts. Genauso können Layouter gute Fotos kaputt­gestalten. Für den Freelens-Layout-Preis 2004 entschied eine Profi-Jury über Haute Couture und Fehlschnitte im Printbereich.

Text – Theresa Hallermann

Alle fünf Minuten fährt die Hamburger Hochbahn am Freelens-Büro vorbei. An normalen Tagen nichts, was man unbedingt mitbekommen würde. Heute ist das anders. Das Rauschen der Bahn durchbricht die Stille des Raums, nur noch begleitet von leisem Papierrascheln. Viel mehr hört man nicht, denn sieben Juroren sind hoch konzentriert und damit beschäftigt, aus über 200 Einsendungen zum diesjährigen Freelens-Layout-Preis eine Vorauswahl zu treffen. Gar nicht so leicht.

Rosa Frank und Urs Kluyver – die Organisatoren des Preises – haben am Vortag alle einsandten Magazine, Zeitungen und Unternehmensbroschüren auf Tischen und Fensterbänken des Büros verteilt, um sie von 14 Augen sorgsam begutachten zu lassen. Nur – wo will man da eigentlich anfangen? Jedes Jurymitglied bekommt einen Block kleiner gelber Klebezettel, die im Juryjargon ab jetzt nur noch »Bapperl« heißen. Wenn ein Layout gefällt, bekommt es ein Bapperl. So einfach ist das. Layouts, die nicht überzeugen, gehen leer aus und werden aussortiert.

Margot Klingsporn, Andreas Eucker und Jutta Janßen haben sich entlang der Fensterbank wie an einem Fließband platziert. Anja Jöckel sitzt auf dem Fußboden, Andreas Kersten, Anna Clea Skoluda und Dirk Reinartz beurteilen das, was auf den Tischen liegt. Dann: Rotation, Wechsel – bis jeder schließlich alles gesehen hat.

»Das beste Layout nimmt man gar nicht wahr, aber es zieht einen sofort in die Geschichte hinein«, meint Reinartz. »Layout und Foto sind dabei nicht zu trennen«, ergänzt Andreas Kersten. Eben genauso wie ein Kleid und sein Stoff.

»Da Freelens eine fotojournalistische Organisation ist, setzen wir den Schwerpunkt auf das journalistische Layout«, betont Freelens-Geschäftsführer Lutz Fischmann. »Wichtig ist, wie innerhalb dieser Layouts mit Bildern umgegangen wird.« Denn oft beklagen sich Fotografen darüber, dass ihre Bilder durch eine unangemessene Gestaltung regelrecht verhunzt werden.

Pause, Durchatmen. Schokocroissants, Obst, Kaffee – dann weiter. Wie Medizinstudenten in der Anatomiestunde beugen sich die Juroren über die Objekte. Jetzt wird jede Strecke einzeln auseinander genommen.

Hefte mit nur einem Fürsprecher fordern das Outing des Klebers. »Wer bitte hat das Harley-Davidson-Magazin markiert? Und warum?« Ausschlaggebend war wohl eher die eigene Begeisterung fürs Zweiradfahren als die tolle Gestaltung, die den heimlichen Fan dazu hinriss, Lob zu spenden. »Wer findet die taz toll? Sie ist wohl so ziemlich das Altmodischste, was hier auf dem Tisch liegt.« Bapperl ab. DE:Bug ordnet die Fotografie dem Layout unter, das wirkt eher wie ein Web-Auftritt. Bapperl ab. Freitag druckt ein tolles, bekanntes Bild ab. Leider hats der Druck versaut und zeigt Ocker statt Knallrot. Bapperl ab. »Wer im ICE DB mobil liest, denkt vielleicht, Mensch, die geben sich Mühe. Aber mehr auch nicht.« Bapperl ab. »Geolino ist süß gemacht, Kinder wollen es bunt. Aber bunt kann man noch schöner machen!« Und wieder: Bapperl ab.

Doch auch wer die zweite Runde erreicht, bleibt nicht automatisch im Rennen. Das Magazin der Frankfurter Rundschau? Mutig, so ein türkischer Titel. Farben, die schreien, auffällige Typo. Ganz klar aber auch: eine Idee, die nicht konsequent durchgehalten wurde. Und an Ironie mangelt es auch. Brand eins? »Immer eine saubere Sache. Aber wir sind doch Voyeure und möchten emotional angesprochen und nicht ferngehalten werden. Klar, die Emotion kommt beim Lesen, aber wir vergeben keinen Literaturpreis.« Im Marccain-Magazin sind wunderschöne Fotos, eine Doppelseite nach der nächsten. Aber wo ist das Layout? »Die Versuchung ist da, nur Fotos zu prämieren, aber es ist und bleibt nun mal ein Layout-Preis.«

Auch Chrismon bleibt von Kritik nicht verschont. »Was soll der quietschgelbe Farbfleck auf der Seite? Das Foto hat so viel Kraft und würde auch ohne Beschreibung auskommen. Schade. Auch wenn es nicht immer heißt: As simple as possible – in diesem Fall wurde zu viel layoutet. Der Fleck wirkt wie ein Branding auf der Haut. Das tut richtig weh.« So wird mal hitzig, mal stimmig diskutiert. Nach und nach schrumpft der Haufen an Einsendungen. Die endgültige Entscheidung rückt immer näher.

»Die Jury ist frei«, merkt Lutz Fischmann immer wieder an. »Es müssen nicht zwingend Preise vergeben werden. Wenn in einer Kategorie nichts Überzeugendes dabei ist, soll nichts Zweitklassiges einspringen.« So entscheidet sich die Jury nach ausführlicher Beratung schließlich dafür, keine Zeitung zu prämieren. »Tageszeitungslayouts sind ein großes Manko«, tönt es siebenstimmig. »Zwei Layouts der Zeit sind uns aber positiv aufgefallen.« Für einen Preis reicht es zwar nicht, doch für eine Auszeichnung. Immerhin. Preise werden hier nicht vergeben, um Preise zu vergeben.

In der Kategorie »Magazine« wird am längsten überlegt. Hier gab es die meisten Einsendungen und eine Vielfalt an qualitativ guten Layouts. Am Ende machen Mare und der Stern das Rennen vor der Brigitte. Ein bunter, gerechter Griff ins Magazinsegment.

Weil das Greenpeace-Magazin von der »ganzen Dramaturgie her toll, insgesamt beeindruckend geschlossen ist und gleichzeitig mit Fotografie sehr gut umgeht«, gibt es Gold in der Kategorie »Magazine von Organisationen und Unternehmen«. Der zweite Platz geht an das Siemens-Magazin keynotes. Zusätzlich vergibt die Jury einen Sonderpreis an BMW für das beste Gesamtkonzept mit Geschäftsbericht, Magazin und Magazin special.

Durchatmen? Noch lange nicht. Die letzte Kategorie puscht die Gemüter noch einmal hoch. Was ist die beste Unternehmensbroschüre? Die Jury ist sich nicht einig. Der Professor diskutiert, die Agenturchefin seufzt. Was tun? Eine Abstimmung bringt die Entscheidung. Die Filmförderung Hamburg gewinnt ganz knapp vor DaimlerChrysler, die einen Umweltbericht mit einem zwar »hässlichen und abschreckenden Titel« herausgebracht haben, »aber drinnen ganz toll sind.« Dritter wird gesondert der Geschäftsbericht von BMW.

In vier Kategorien wurde gewertet, ein Ende ist noch nicht in Sicht. Drei ausgewählte Magazine liegen noch ungekürt auf dem Tisch, sie alle verdienen eine Erwähnung. Für Neon, das junge Magazin der Stern-Gruppe, gibt es eine Geburtsanzeige. 1/4 nach 5, das Magazin vom FC St. Pauli, wurde 2003 leider eingestellt. Dafür erhält das letzte Heft »Wir lachen uns tot« einen würdigenden Nachruf. Als innovativste Neuerscheinung auf dem deutschen Markt wird Sleek geehrt, weil es im Gegensatz zu vielen Konkurrenten international und lifestylig daher kommt. Zusätzlich werden eine Strecke aus Mare und dem ADAC-Reisemagazin ausgestellt, weil es schade wäre, sie nicht zu zeigen.

Endlich. Die Preisträger sind ausgewählt. Zornig getobt hat keiner, Magenschmerzen auch niemand bekommen. Selbst wenn nicht immer alle sieben Juroren gleichlaut »ja« gesagt haben, so war es doch die Mehrheit. Wer Yves Saint-Laurent seine Stimme gibt, steht eben nicht auf Yamamoto. Applaus bekommt nicht, wer die knalligste Performance abliefert, sondern wer weiß, dass nur eine saubere Choreografie auf Dauer trägt.

Ein kritisches Jurytreffen? Kein Zweifel. Ein anstrengendes? Auf jeden Fall. Denn es bereitet viel Mühe, eine Schneise durch die Berge eingesandter Geschichten, Zeitungen und Magazine zu schlagen und in der Menge der Macher die Könner zu entdecken.

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Theresa Hallermann
hat das Jury-Treffen als Praktikantin im FREELENS-Büro miterlebt. Sie ist derzeit in einer Hamburger Magazinredaktion tätig.