Magazin #17

Standards oder Neues?

Reisefotografen sollen die Welt im Bild nach Hause holen – dabei ist visuelle Innovation schwierig, wenn die Medien vor allem auf klassische Ansichten setzen. 

Text – Kay Dohnke

Da ziehen sie nun los, die Fotografen – kamerabepackt und mit Filmen ausstaffiert, neugierig auf die Fremde. Und in der Tasche steckt eine lange Motivliste, die nicht selten Objekte, Lichtverhältnisse, Perspektiven vorgibt. Wer anfangs glaubt, unbefangen die Nase in den Wind strecken und auf eigene Faust herumziehen zu können, wird schnell eine Grundregel lernen: Die tatsächliche Reiseleitung sitzt am Leuchttisch in der Redaktion. Und auch Ressortleiter haben oft eine Vorstellung von dem, was sie zu sehen bekommen wollen; wenn nicht schon vor, dann spätestens nach der Reise. Der verantwortliche Redakteur eines angesehenen Magazins hat beim Briefing über eine Nordindien-Geschichte dem Fotografen einmal gesagt: »Ich bin selbst zwar noch nicht dagewesen, weiß aber genau, wie es dort aussieht.« Und das könnte als Motto für viele seiner Kolleginnen und Kollegen gelten – sie haben oft schon im vorherein eine Vorstellung, wie die fotografische Umsetzung einer Stadt, einer Region, eines Landes ausfallen soll. Je vager dies vermittelt wird, desto schwieriger kann der Job werden, da es dann kaum ein klares Briefing gibt und erst nach Rückkehr des Fotografen anhand der vorliegenden Bilder deutlich wird, was tatsächlich gewünscht war – oder eben nicht. Generell berichten Reisefotografen davon, dass sie oft mit höchst spärlichen Instruktionen losgeschickt werden und so, gerade bei einem neuen Geschäftskontakt, allenfalls raten können, was die Auftraggeber nun erwarten.

DEN POSTKARTEN HINTERHERGEKNIPST

Doch nicht nur Redakteure meinen, ein ihnen unbekanntes Ziel trotzdem im Vorherein zu kennen – auch Fotografen sind nicht frei davon. Wer könnte von sich behauten, noch nie die bekanntesten Sehenswürdigkeiten Londons, New Yorks oder Roms gesehen zu haben? Kein Erdkundeunterricht ohne Eiffelturm oder Tower Bridge, kein Medienkonsum ohne Ayers Rock oder Mount Everest. Visuelle Unbefangenheit kann es da nicht mehr geben, die Reise ins Unbekannte ist längst unmöglich, und manche Kollegen, so geht das Gerücht, machen aus der Not eine Tugend und orientieren sich vor Ort anhand von Postkarten, welche Sehenswürdigkeiten sie unbedingt aufnehmen müssen.

Über das Was gibt es hinsichtlich der klassischen Motive meist keine Zweifel – doch die Frage des Wie bereitet schon eher Kopfzerbrechen. Vielen Bildredakteuren ist völlig bewusst, dass die ewige Reproduktion von Klischees langweilig ist, und sie bitten den Fotografen gern, die Motive anders, neu aufzunehmen. Doch wie kann man Andalusien ohne weiße Häuser als Andalusien rüberbringen. Oder San Francisco ohne Hügel, Polynesien ohne Palmen, die Kanaren ohne Wasser? Manche Kollegen haben das durchaus versucht, doch bleibt der Spielraum für Innovationen meist schmal – in den gedruckten Geschichten tauchten fast unweigerlich doch Variationen der schon bekannten Ansichten auf, die dann aus Stockmaterial ergänzt wurden. Selbst wenn sich Bildredaktion und Fotograf einig waren, können Art-Direktor und Chefredaktion der tatsächlichen Realisierung eines Thema noch immer einen ganz anderen Dreh geben. Und Experimentierfreude ist in der Umsetzung von Reisegeschichten eher selten anzutreffen.

Nun könnte man als anspruchsvoller Reisefotograf durchaus damit leben, auch den klassischen Motivkanon abzudecken, der technisch gelungenen Umsetzung einen persönlichen Touch zu verleihen und rechts und links der unverzichtbaren Motive ein wenig auf Bilderjagd zu gehen. Solche »abseitigen« Fotos finden aber immer seltener Verwendung. Reiseführer haben zu 85 Prozent notwendigerweise fast denselben Inhalt, zumindest im Hinblick auf die Sehenswürdigkeiten. Merian live hat aus den früher üblichen zehn persönlichen Empfehlungen der Buchautoren längst die Top Ten der Sehenswürdigkeiten gemacht. Für einen Blick hinter die Kulissen ist folglich auch fotografisch kaum noch Platz, jedenfalls was die etablierten Reiseführer angeht.

PANORAMA IM KLEINSTFORMAT

Ob in Magazin oder Buch: Eine Profilierung als Reisefotograf könnte am ehesten über Technik, Perspektive, Ästhetik funktionieren – vordergründig jedenfalls. Und tatsächlich werden manche Fotografen durchaus aufgrund ihrer individuellen Bildsprache für einen Job gebucht. Doch wenn spanische Traumstrände dann im Format 4 mal 2,5 Zentimeter abgedruckt werden, ist beim besten Willen nichts mehr außer ein wenig Wasser und ein bisschen Sand zu erkennen – Perspektive, optische Effekte verschwinden in der Miniaturisierung. Ganze Länder auf einer halben Magazinseite abzufeiern, ist leider keine Seltenheit mehr, und die zwei oder drei Fotos, für die dann gerade noch Platz ist, werden mit Sicherheit klassische Ansichten zeigen.

Hinzu kommt eine merkliche Einschränkung der Motive. Manche Reisegeschichte sieht längst so aus, als sei sie aus dem Serviceteil eines Reiseführers abgekupfert – Ladenfronten bebildern die Einkaufs-, Restaurantfronten die Essenstipps. Der Servicegedanke bestimmt die Ausrichtung des Beitrags und verdrängt immer häufiger eine journalistische Herangehensweise; es wird weniger in Bild und Wort erzählt, sondern gebündelte Gebrauchsinformation bereitgestellt. Funktionalität ersetzt Atmosphäre, Kauflust dominiert Reiselust.

Doch selbst in dieser Hinsicht könnte man sich noch Kompromisse vorstellen, denn als Reisefotograf ist man eigentlich ja Food-, Architektur-, Landschafts- und People-Fotograf in einer Person. Was aber tun, wenn die Aufträge selbst immer weniger werden und die Redaktionen dazu übergehen, ihre Reportagen am Leuchttisch aus Agenturmaterial zu komponieren, das schließlich ohne Spesenerstattung zu haben ist und vorab eine Qualitätsprüfung garantiert? Aspekte einheitlicher Bildsprache, passender Perspektiven oder harmonischer Lichtgestaltung werden schnell sekundär, wenn so Geld gespart werden kann – wobei betont werden muss, dass Agenturen auch wundervoll durchfotografierte Reisestrecken liefern können. Es ist nur die Frage, wer später was daraus macht und wo es noch ausreichenden Platz dafür gibt.

Die publizierte Reisefotografie spiegelt nicht die Leistungsfähigkeit der Urheber, sondern eher die Orientierung am Reisemarkt wider. Schöne Bilder von Eiffelturm, Tower oder Golden Gate Bridge machen die Betrachter zu einer Art Pawlowschem Hund, der durch diesen Schlüsselreiz Appetit aufs Reisen – und eben auch das Buchen einer Reise – bekommt. Und da die Printprodukte nicht zuletzt auch verkauft werden müssen, orientieren sie sich an den Zielen, die gerade en vogue sind oder für die es Anzeigenkunden gibt; sie werden so zum Barometer der Trends, sind aber thematisch nicht für Experimente zu haben.

EINSEITIGE IMPULSE

Trotzdem behagt es vielen Kollegen nur sehr wenig, auf weitgehend ausgetretenen Pfaden zu wandeln. Und das ist gut, denn die Bürde liegt wie so oft auch hier beim Fotografen selbst. Er muss nicht nur der Phantasie seiner Auftraggeber auf die Sprünge helfen und Ideen zur Umsetzung eines Themas liefern, sondern immer häufiger auf eigene Rechnung losfahren, muss – um sicherzugehen – vielfältiges Material mitbringen, das mit dem Verkauf einer einzigen Geschichte aber noch längst nicht finanziert werden kann. Also ist es nur klug, vor allem die Standards im Angebot zu haben und Fotos als Stockmaterial über Agenturen abzusetzen. Innovativer Reisefotografie ist das nicht unbedingt förderlich; wer dennoch neue Wege beschreiten will, tut das wohl eher auf eigene Rechnung. Und wenn zu einer Geschichte kein passender Text geliefert werden kann, erweist sie sich oft als schwer abzusetzen. Das Resultat ist unbefriedigend: Manch geschlossen fotografierte Strecke wird zerstückelt und auf die Verertbarkeit der Einzelfotos abgeklopft – immerhin, jedes verkaufte Bild trägt zur Deckung der Kosten bei und ermöglicht irgendwann die nächste Reise. Auf eigene Faust und ohne Spesenerstattung.

Die stellenweise zu beobachtenden Trends, dass Reisefotografie optisch verbraucht wirkt und im Druck unangemessen präsentiert wird, sollte nicht auf ein mangelndes Angebot schließen lassen – es gibt ausreichendes Bildmaterial in hoher Qualität, das jedoch nicht immer den Weg in die Öffentlichkeit schafft. Viele der schönsten Reisegeschichten bleiben vermutlich in den Portfolios der Fotografen stecken und dienen allenfalls noch bei der Akquise in den Bildredaktionen als Referenz – gedruckt werden die meisten davon wohl nie.