Spieglein, Spieglein – mit dem Rücken an der Wand
Weil DER SPIEGEL ohne Genehmigung und Honorierung auch Fotos auf CDs pressen ließ, zieht FreeLens jetzt vor Gericht
Text – Heiko Haupt
Donnerstag, 14. November, 17.55 Uhr: Jetzt weiß auch der letzte Mitarbeiter in dem grauen Redaktions-Klotz an der Hamburger Brandstwiete, warum die Herren aus der Rechtsabteilung seit einigen Tagen so verdrießlich schauen. Auf den Bildschrimen taucht in dieser Minute, hier wie in nahezu jeder Redaktion zwischen Flensburg und den Alpen, eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf: Eine Fotografen-Vereinigung verklagt den SPIEGEL, heißt es da. Das Nachrichtenmagazin habe, ohne zu zahlen, Bilder auf CD-Roms veröffentlicht. 35 Minuten später wissen schon die ersten Nicht-Medien-Menschen davon. Die Hamburg-Welle des NDR berichtet den staugeplagten Autofahrern in und um Hamburg in den 18.30-Uhr-Nachrichten von der FreeLens-Klage – an erster Stelle, als wichtigste Nachricht des Abends. Am Freitag werden unzählige Tageszeitungen landauf, landab die Klage vermelden, andere Blätter und Sender informieren in den kommenden Tagen ausführlich mit langen Artikeln, Hörfunk-Berichten und Interviews.
An diesem Tag also erfuhr es die Öffentlichkeit – doch bis es soweit war, hatten einige FreeLenser sich Wochen und Monate mit dem Thema befaßt. Fakten wurden gesammelt, die rechtlichen Möglichkeiten mit Anwalt Dirk Feldmann immer und immer wieder diskutiert. Schließlich mußte genügend Material beisammen sein, damit »kampferprobte« Rechts-Profis wie die SPIEGEL-Mannen das Ansinnen, die Klage nicht mit einem mitleidigen Seufzer vom Schreibtisch in den Papierkorb befördern. Außerdem geht es nicht um einen Publicity-trächtigen Gag, sondern um die Rechte und das Geld von freien Fotografen.
Seinen Anfang nahm das Dilemma, als die SPIEGEL-Chefetage auf die Idee kam, man müsse sich doch auch am neuen Multimedia-Markt beteiligen. Also wurde der Entschluß gefaßt, die Ausgaben des Nachrichten-Magazins – nach Jahrgängen sortiert – auf CD-Roms zu vertreiben. Für den Leser ein interessanter Service: Sie können sich die Wunsch-Artikel ab dem Jahr 1989 auf den Bildschirm rufen. »Bequemer geht’s nicht«, wirbt denn auch der SPIEGEL in einer Eigen-Anzeige gemäß dem Motto: SPIEGEL-Leser wissen mehr. Und weiter: »Selbstverständlich können Sie Ihre Rechercheergebnisse auch ausdrucken – inklusive aller Grafiken und Bilder.«
Da war er, der Knackpunkt. Nicht nur die Texte erscheinen auf den CD-Roms, auch die rund 200 Fotos, die in jeder Ausgabe zu finden sind. Schön für den Computer-Nutzer, ein Schock für die Fotografen. Aust & Co. hatten zwar die Focus-Devise »…und immer an den Leser denken« übernommen – an die Fotografen allerdings hatte man, wie es scheint, keinen Gedanken verschwendet. Und damit auch kein Geld: Die Fotos wurden ohne jegliche Honorierung auf die Datenträger gebannt.
Nun ist es nicht so, daß die Fehler von FreeLens allein bemerkt wurden. Bereits im Jahre 1994 hatte der Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive den SPIEGEL auf die Verletzung des Urheberrechtes hingewiesen. Und einzelne SPIEGEL-Fotografen hatten mitbekommen, was da passiert. Briefe mit Nachfragen oder auch Bitten um Nachhonorierung wurden geschrieben. Die Antworten kamen postwendend: Im Interesse einer weiteren guten Zusammenarbeit möge man doch auf solche Forderungen verzichten, pfui, aus. Klar, daß da jeder einzelne im Kopf durchrechnet, was ihm verlorengehen würde – und spontan den Mund hält. Anders sieht es aus, wenn eine Vereinigung wie FreeLens die Interessen einer ganzen Gruppe vertritt.
Ein Argument der Herren an der Brandstwiete lautet, daß man mit den Silberscheiben ja nichts verdient habe, ein Verlustgeschäft sei das. Und das, obwohl die SPIEGEL-CD-Roms nicht gerade verschenkt wurden. 200 Mark wurden beispielsweise für das 94er Exemplar aufgerufen, zu bestellen gegen Vorkasse oder Scheck. Man will ja sein Geld so schnell wie möglich bekommen. Dieser Jahrgang war auch der erste sozusagen ausgereifte: Ab dem Frühjahr ’94 nämlich wurden die Honorare für die Bildautoren wegen dieser Zweitnutzung angehoben. Doch die vorherigen Jahrgänge – Stückpreis 150 Mark – blieben in dieser Hinsicht unbeachtet. Mag sein, daß die Multimedia-Idee nicht gleich die Kassen des SPIEGEL-Verlages klingeln ließ – aber das unternehmerische Risko zu mindern, indem man das schwächste Glied in der Kette, die Fotografen, vor der Tür läßt, ist nicht die feine Art.
»Wie im Wilden Westen« titelte denn auch die taz über ihrem Bericht in Sachen FreeLens-Klage. »… nicht nur im Internet herrscht Goldgräberstimmung, auch auf dem Markt der CD-Roms stecken die Verlage ihre Claims in Westernmanier ab.« Ähnlich sieht es das Neue Deutschland: »Hamburger Piraterie« lautet hier die Überschrift zu einem Interview mit Rolf Nobel in Sachen FreeLens contra SPIEGEL (siehe Pressespiegel).
Vom SPIEGEL selber waren alsbald Reaktionen in unterschiedlichsten Tonarten zu hören. Lange bevor die Klage eingereicht wurde, wurden von Michael Rabanus, SPIEGEL-Allzweckwaffe in Sachen Bild und Optik, bei Gesprächen mit FreeLens-Anwalt Dirk Feldmann 20 Pfennige als Nachhonorierung der Bilder in den Raum gestellt. Das wären umgerechnet auf die rund 7650 Fotos, um die es geht, stolze 1530 Mark. Verteilt auf die etwa 80 FreeLens-Fotografen ergibt das knappe 20 Mark pro Person oder ein üppiges Mahl bei McDonalds.
Später variieren die Summen dann. Erst schreibt SPIEGEL-Justitiar Dietmar Krause von angebotenen 10000 Mark für die Fotos. Die wolle man aber nicht direkt an die Fotografen auszahlen. Damit lasse sich Besseres anstellen: Das Geld könne man doch »vielleicht einer Versorgungs- oder Ausbildungseinrichtung für Fotografen zur Verfügung stellen«. Welche wußte man auch nicht so genau, vielleicht könne ja eine gegründet werden, oder so. Auf jeden Fall sollten aber alle FreeLens-Mitglieder künftig auf Forderungen verzichten. Als dpa wegen der geplanten Meldung am 14. November bei Krause nachfragte, wollte der davon plötzlich nichts mehr wissen. Vielmehr habe man über »bis zu 35000 Mark« gesprochen.
Und weil der SPIEGEL nunmal ein Nachrichten-Magazin ist, bemühte man sich auch in Sachen FreeLens, immer neue Nachrichten aus dem Hut zu zaubern. Plötzlich trat des Justitiars Chef ins Rampenlicht. Der heißt Fried von Bismarck und sinnierte nun gegenüber Radio Bremen, daß der Justitiar womöglich zu wenig geboten habe. Die Sache sei »ausgesprochen unglücklich« gelaufen. »Daß die Fotografen Recht haben, ist keine Frage«, läßt sich von Bismarck zitieren. »Und ich finde es auch wichtig, daß sich der SPIEGEL richtig verhält.« Schließlich habe man deswegen ja auch ab 1994 die Honorare erhöht. Nur leider wurden dabei eben die vorhergehenden Jahre vergessen.
Außerdem kommen aus von Bismarcks Mund auch Sätze, die eher verwundern. Von den Einzelhonorierungen habe man absehen müssen, wegen des hohen Aufwandes. »Jemandem zum Beispiel 60 Mark zu überweisen«, so von Bismarck laut Radio Bremen, »kostet heutzutage 60 Mark«. Mathematisch einwandfrei, verehrter Herr von Bismarck. Aber klaut man ein Brot, weil es so aufwendig ist, das Geld aus dem Portemonnaie zu holen? Mittlerweile sind dafür von Herrn Krause freundliche Töne zu hören: Er habe doch »immer viel Wert darauf gelegt, die Fotografen bei Laune zu halten«, zitiert Die Zeit den Justitiar.
Zählt man die Summen, um die es in diesem Fall geht, zusammen, kann von einem »bei Laune halten« wohl nicht die Rede sein. Für die rund 80 SPIEGELgeschädigten FreeLenser ist es beileibe kein Spaß, Honorare für die etwa 7650 Bilder nachzufordern. Und zwar 20 Mark als Zweitnutzungs-Honorar für die CD-Rom, dazu noch 50 Prozent beziehungsweise zehn Mark Strafaufschlag wegen der unerlaubten Weiterverwendung. Insgesamt geht es um 230000 Mark Honorar.
Im Prinzip: Die Klage ist erst mal als Musterprozeß gedacht. Daher bezieht sich das Verfahren auf vorerst 700 Bilder. Die summieren sich bei 20 Mark pro Foto und zehn Mark Strafe auf 21000 Mark – also weit mehr als der Mindest-Streitwert von 10000 Mark. Daß die finanzielle Latte von FreeLens nicht noch höher gelegt wird, hat einen einfachen Grund: Mit dem Streitwert steigen die Prozeßgebühren – unnötige Kosten. Und zur Urteilsfindung müßte sich das Gericht durch riesige Materialberge kämpfen. Auf jeden Fall läßt sich die Sache auch mit den 700 Fotos grundsätzlich regeln. Alle nachfolgenden Fälle in gleicher Sache landen ohnehin automatisch vor derselben Kammer des Gerichts, werden dann auch gleich entschieden.
Vorerst hat der SPIEGEL bei Gericht erstmal um drei Wochen Fristverlängerung gebeten. Wie die Erfolgsaussichten sind, wenn es dann vermutlich im Februar tatsächlich vor Gericht geht?
So schlecht nicht, meint nicht nur FreeLens-Anwalt Dirk Feldmann. Denn neben der an sich recht klaren Rechtslage gibt es da noch etwas: Andere Fotografen und Agenturen haben es schon beim SPIEGEL durchgesetzt, daß sie ähnliche Summen für die CD-Rom Veröffentlichungen bekommen. Aber nur, wenn sie nicht petzen – der SPIEGEL verlangte absolutes Stillschweigen über die Zahlungen.
Gleiches Recht für alle? Und so zieht auch SPIEGEL-Mann Krause eine gewisse Hoffnung aus dem, was ihm und dem Verlag bevorsteht. Es tröstet ihn ein wenig, so Die Zeit, daß der Prozeß vermutlich zumindest eines schafft – die Rechtslage in diesem Bereich zu klären.
PRESSESPIEGEL:
taz:»…sollten die Bildjournalisten mit ihrer Klage erfolgreich sein, wäre das ein Signal für die gesamte Presselandschaft, in der die Gesetzgebung mit der Entwicklung neuer elektronischer Medien kaum mehr Schritt hält.« »Auch der SPIEGEL wollte es offenbar erst einmal darauf ankommen lassen. Als man 1992 mit den CD-Roms der Jahrgänge 89/90 und 91/92 startete, hätte man alle Fotografen anschreiben können, räumt SPIEGEL-Verlagsleiter Fried von Bismarck ein.«
Radio Bremen: »Bestätigt das Gericht die Forderungen der Fotografen, müßte sich das Magazin – bei durchschnittlich 200 Fotos pro Heft und 52 Ausgaben im Jahr – auf insgesamt fast 1,6 Millionen Mark einstellen. … Alles Geld, das der Spiegel bei den Investitionskosten für das neue Produkt eigentlich hätte einkalkulieren müssen.« »Alle – gerade auch die großen Presseverlage versuchen eilig, dort (bei den elektronischen Medien, d. Red.) ihre Claims abzustecken. CD-Rom und Online-Dienste sind der Anfang einer stürmischen Entwicklung. Und: sie sind kaum kontrollierbar. Ähnlichwie jetzt schon beim Fernsehen mit seinen über 80 Programmen, wo häufig nach der Methode verfahren werde: Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.«
Neues Deutschland (Interview mit Rolf Nobel): Neues Deutschland: »Ist denn der SPIEGEL ein Einzelfall?« Rolf Nobel: »Ja und nein. Ja, weil weder Hinweise einzelner Fotografen noch von uns den SPIEGEL – immerhin ein reiches und renommiertes Unternehmen – dazu bewegen konnten, seine eklatanten und massenhaften Verletzungen des Urheberrechts einzustellen bzw. zu korrigieren…..Nein, weil der SPIEGEL nur die Spitze eines Eisbergs ist: Die ungefragte und unhonorierte Mehrfachnutzung von Fotos in neuen elektronischen Medien gilt deutschlandweit als Kavaliersdelikt. Wir wollen jedoch erreichen, daß diese multimediale Fotopiraterie genauso verfolgt und geahndet wird wie heute schon die Piraterie bei Videos und Tonträgern.«
Backnanger Kreiszeitung: »Nach Ansicht der Berufsvereinigung (FreeLens, d. Red) werden nach Ablauf des Verfahrens weitere Fotografen an das Magazin herantreten. Auf den Spiegel könnten in diesem Fall Honorarforderungen in Millionenhöhe zukommen…«
DIE ZEIT: »Besonders brisant ist dieser Streit zwischen Fotografen und Nachrichtenmagazin deshalb, weil er einen Präzedenzfall bildet.« »Unangenehm ist den Verlegern besonders, daß sie die Urheber um Erlaubnis fragen müssen, bevor sie deren Werke besipielsweise in einer elektronischen Datenbank speichern. Wer in Europa eine CD-Rom mit bereits veröffentlichtem Material produzieren will, muß deshalb mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand rechnen.« »Diverse Gremien arbeiten bereits an der Lösung des Konflikts…Nur allzu verständlich wird in diesem Kontext der juristische Gegendruck der FreeLens-Fotografen. Sie drängen auf eine rechtsfähige Entscheidung darüber, was sie im Multimediamarkt wert sind. Sie wollen wissen, wie auch sie von der technischen Entwicklung und dem erwarteten Boom am Bildermarkt profitieren können.«