So wie der Tourist es gerne hätte
Er selbst nennt sich einen »Supermarkt«. Seit 1973 reist Steve Vidler als eine Art moderner Nomade um den Globus – und fotografiert Klischees, nichts als Klischees. Doch während mancher wahre Kamera-Künstler nur rote Zahlen auf dem Konto hat, ist der 1949 in Dover geborene Brite nicht nur einer der dienstältesten Vertreter seiner Branche, sondern auch einer der wenigen wirklich Erfolgreichen
Text – Karl Johaentges
»Mein Erfolgsrezept heißt Masse«, sagt Steve, »möglichst viele gut verkäufliche Fotos in möglichst kurzer Zeit und mit geringsten Investitionen produzieren«. Ein Grundsatz, der nicht nur ausgemachten Individualisten fremd erscheinen mag – doch Vidler macht seine Sache mit einer Konsequenz und auch Qualität, die beeindruckt.
Der fotografierende Supermarkt Vidler verzeichnet jährlich Millionenumsätze – und zwar in Dollar. Weltweit bedient er 18 Agenturen, in Deutschland führt die Agentur Mauritius rund 80000 seiner Motive. »Steve ist unser bestverkaufender Reisefotograf«, sagt Thomas Wild von Mauritius. Dabei sind es nicht einzelne Highlights, die Vidlers Arbeit auszeichnen. »Es ist die durchgängige Top-Qualität seiner Aufnahmen, verbunden mit seiner enormen Produktivität, die ihn zur Nummer Eins machen«, rührt Wild die Werbetrommel. »Qualität und Quantität sind bei ihm auf dem Punkt, der nötig ist, um im Stock-Business vorn dabeizusein. Ob Eiffelturm, Malediven oder die kleine Japanerin – Steve hat alles.« Umgekehrt ist Mauritius für Steve weltweit der beste und zuverlässigste Partner.
Jede seiner Agenturen und auch deren Filialen beliefert Vidler nach Möglichkeit pro Motiv mit einem Original. Bis zu 60mal drückt Steve daher – wenn er die Zeit hat – für die gleiche Szene auf den Auslöser.
200 Rollfilme (Velvia und zuweilen Sensia) zieht er während seiner maximal zweiwöchigen Fotoreisen durch die Pentax 6×7, bis zu 40 Rollen an einem Tag. An den Wohnsitzen in London oder Tokyo folgen zwei Wochen Arbeit mit Laborentwicklung, Auswahl und Beschriftung. Wobei für Beschriftung und Bestandsaufnahme relativ wenig Zeit verschwendet wird. »Je knapper, desto besser. Außerdem hat jede Agentur ihr eigenes System.« Bei Single-Shots werden Dups produziert.
Alle sechs bis acht Wochen versendet Steve Vidler neues Material an seine Partner in aller Welt. Nicht etwa per Kurier, sondern ganz einfach »Airmail-Printed matter«. Für ihn ist das der sicherste Weg: Seit 20 Jahren sei nur eine Lieferung an eine spanische Agentur verlorengegangen. Ein Original behält er als Masterframe, über den Verbleib der anderen macht er sich keine Illusionen: »Bei diesen vielen Agenturen muß man sich an den Gedanken gewöhnen, daß man seine Bilder nicht mehr wiedersieht, es sei denn gedruckt. Wenn man sein Bild als Kunst betrachtet, sollte man es nicht abgeben, um Geld zu verdienen. Das Dia ist eine Ware, ein Produkt und wird entsprechend behandelt.« Andersherum bedeutet diese Arbeitsweise für ihn größtmögliche Freiheit. Abgesehen von ein paar wenigen Reiseführern ist ihm Auftragsarbeit völlig fremd und Klinken putzen in Redaktionen zuwider.
Steve lief mit 16 von zu Hause weg, schlug sich bis Ende der 60er-Jahre mit zahllosen Jobs in aller Welt durch. Der Einstieg in die Fotografie kam dann eher zufällig. 1970, im Umfeld der EXPO 70, machte er in Japan seine ersten Gehversuche. Warum gerade Archivfotografie? Beim Besuch einer Londoner Bildagentur stellte der Anfänger und Autodidakt überrascht fest, daß dort nicht ein einziges Motiv des Big Ben in den Schränken zu finden war. Die Stock-Fotografie war noch in den Kinderschuhen. Heute dagegen unterteilt sich das Stock-Business in fünf Kategorien: Reise, Sport, People, Business und Tiere. Gerade für Neueinsteiger ist daher Spezialisierung wichtig, rät der Altmeister.
Vidlers Welt ist die Reise. Er teilt sich den Globus in Gebiete auf, die er jedes Jahr tourneemäßig bereist. Wohin er will, ist lange im Voraus geplant. Im Frühjahr geht es zur Kirschblüte nach Japan, später zum Indian Summer in Neuengland und so weiter. Klischees eben – unter blauem Himmel. An einem grauen Novembertag bleibt die Kamera in der Tasche.
Die Planungsmethode ist denkbar einfach. Frage: Was kennt der Durchschnittsmensch von Australien? Antwort: Ayer’s Rock, Koalabär, Känguruh, Sydney, Great Barrier Reef. Genau das wird fotografiert, immer wieder, immer wieder neu. Bis zu 600 Motive verkauft Steve Vidler im Monat. Abrechnung als Daumenkino. »Leute, die fünf Wochen durch China reisen, die medizinische Versorgung dokumentieren und dabei die Große Mauer vergessen, dürfen sich über mangelnde Agenturverkäufe nicht beklagen.« Steve ist eben der Gegenpol zum rasenden Reporter.
Wichtig ist ihm, daß die Bilder etwas transportieren, Interpretation und Phantasie zulassen. Sein bestverkauftes Bild ist 15 Jahre alt, enstanden während einer fünfminütigen Tour mit einem Leichtflugzeug: Ein Flußmeander in Peru, das Bild sparsam beschriftet mit dem Wort »Amazon«. Damit läßt sich vieles verbinden: Regenwald, Amazonas oder einfach Natur.
Weltweit sind die Ansprüche an Reise-Stockfotografie recht ähnlich. Mit ein paar regionalen Unterschieden: In Japan zum Beispiel gibt es einen gewaltigen Markt für grafische Bilder – Grün, Natur. Ein Foto eines einsamen Baumes in einsamer Landschaft verspricht in der Enge japanischer Großstädte Freiheit. Für Europäer haben dagegen Palmen und Sand eine fast magische Ausstrahlung. Auch nach Deutschland kommt Vidler regelmäßig. »Hier gibt es wunderbare Ecken. Aber verkaufen tun sich eben nur romantische Straßen, mittelalterliche Städte, Rhein und Mosel.«
Berühmte Orte und touristische Paradiese verlangen oft nach Statisten. Aber bei Produktionen mit Modells tut sich Steve Vidler schwer, er versucht sie zu vermeiden. Ein Release läßt er nur selten direkt unterschreiben, lieber notiert er sich die Adresse und schickt ein paar Abzüge, zusammen mit der Bitte um ein Release.
Der Nomade genießt seine Freiheit auch nach 25 Jahren noch, obwohl er sie mit Einsamkeit erkauft. Die permanente »Aufstehen und los«-Mentalität hält kaum jemand aus. Eine Partnerin, die diese Hektik im Rythmus des Partners mitmacht, ist kaum zu finden. Steve ist unverbesserlicher Workaholic – aufstehen um fünf Uhr früh ist für ihn normal. Er reist leicht und ohne Assistent/in. Seine Ausrüstung besteht aus zwei Gehäusen, Objektiven der Brennweite 45, 105 und 165mm, einem Shift, zwei Konvertern, Pol-Filter und Stativ. Das war’s.
Doch selbst an Steve gehen die Veränderungen des Marktes nicht spurlos vorüber. Auch für ihn wird das Business zunehmend global, weg von der Fotografen-Agentur-Beziehung hin zur Agentur-Agentur-Beziehung, in der der Fotograf nur noch Erstzulieferer ist. Vor allem die Agentur-Kataloge haben seine Position geschwächt. »Für Leute, die Topshots und Konzepte fotografieren, sind international gestreute Kataloge ein Gewinn. Für Leute wie mich, die ,Supermarkt-Produzenten‘, bot das alte System der kleinen Agenturen bessere Möglichkeiten der Globalisierung der Bilder.« CD-Roms und Internet werden diesen Trend noch verstärken. Steve ist bekennender Computer-Analphabet, und so betrachtet er auch den elektronischen Markt mit sehr viel Distanz. Er weiß was kommt, aber das scheint ihn nicht sonderlich zu beunruhigen. Denn noch sind seine Verkäufe über CD’s selbst in den USA minimal.
Überhaupt, die Kataloge: Sie erleichtern auch seine Arbeit. Mittelformat ist hier nur selten gefragt. Doch sie bescheren dem Supermarkt auch andere Probleme. Denn von Exklusivität hält Steve überhaupt nichts. Er möchte soviel streuen wie möglich. Obwohl er natürlich einkalkuliert, daß die Verweigerung der Exklusivität preisdrückend wirkt. Aber da macht es eben die Masse. »Und«, so seine Argumentation, »wer bietet schon 100 Prozent Exklusivität?«. Im Fall, daß für ein Motiv »worldwide exclusive« gefordert wird, bittet er die verkaufende Agentur um Zusendung einer Motivkopie, die er dann zwecks Blockierung des Motivs an all seine Partner sendet. Im Gegensatz zu Steves Anfangszeit ist das Metier heute eben sehr professionell geworden. »Die Zeiten des schnellen Geldes sind vorüber«, warnt der Dollar-Millionär Neueinsteiger. »Wichtig ist eine gute Planung, denn bis man die ersten Ergebnisse sieht, kann es ein Jahr dauern, bis die Kosten rein sind oft fünf Jahre.« Der Weltmarkt wird von etwa 20 meist europäischen Fotografen dominiert. Und nur wenige Kollegen können von Stock ihren Lebensunterhalt bestreiten. Fast alle arbeiten bislang weiter im Mittelformat. Denn auf dem Leuchttisch vieler Bildredaktionen gewinnen sie immer noch gegen das Kleinbild.
Wer nun glaubt, ein so erfolgreicher Supermarkt-Betreiber wie Steve Vidler sei abgehoben und gucke nicht mehr aufs Geld, der irrt. Der Bildermillionär fliegt weiterhin Economy und wohnt in Mittelklassehotels. »Ein Hotel ist nicht mehr als ein Platz zum Schlafen und Duschen«, sagt er. Und neben dem Computer verweigert er sich auch dem Fax, Briefe schreibt er noch mit der Hand.
Auch Träume hat Steve Vilder noch – und die haben nichts mit Ruhestand und Palmenstrand zu tun. Er träumt davon, eines Tages seine Pentax 6×7 zu Hause lassen zu können. Nicht weil er in Rente geht, sondern weil er doch endlich mal mehr mit Kleinbild fotografieren möchte.