Magazin #32

Reden ist Silber, miteinander reden ist Gold

Es ist wie an der Londoner Speakers Corner. Derzeit gibt hierzulande jeder seine Meinung zum Urheberrecht kund. Nun wäre es an der Zeit, Argumente auszutauschen statt sie hinauszuposaunen, meint der FREELENS-Geschäftsführer

Text – Lutz Fischmann

Ihr wollt etwas, was ich habe und was Ihr nicht habt. Es sei euer gutes Recht, sagt Ihr, quasi ein Bürgerrecht. Ihr wollt meine Fotos auf Euren Internetseiten veröffentlichen. Vielleicht wollt Ihr sie auch verändern, daraus neue Fotos »remixen« und sie als Eure eigenen ausgeben.

Was ist, wenn ich das nicht will? Ich möchte jedenfalls gefragt werden, wo und in welchem Zusammenhang meine Fotos – und damit auch die darauf abgebildeten Menschen – veröffentlicht werden. Denn ich habe diesen Menschen versprochen, dass ihr Foto nicht irgendwo erscheint.

Vielleicht betreibt Ihr ja eine fremdenfeindliche – natürlich rein private und nicht-gewerbliche – Internetseite und Ihr braucht mal eben ein Foto, das Eure Ausländerfeindlichkeit illustriert. Die Veröffentlichung meiner Fotos auf diesen Seiten soll ja, wenn es nach Euch geht, erlaubt werden, ohne dass irgendjemand gefragt werden muss. Ihr nennt es Entkriminalisierung.

Ihr wollt die Freiheit des Internets erhalten – ein großes Wort. Ihr wisst schon, dass Freiheit auch bedeutet, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen zu können. Warum lasst Ihr mir nicht auch meine Freiheit? Ach ja, das Internet. Warum geht Ihr eigentlich davon aus, dass ich mich daran anpassen muss? Muss ich mir von der Technik mein Leben diktieren lassen? Nur, weil etwas technisch möglich ist, muss es dann auch geschehen? Nur weil das Internet auch mein Leben verändert hat – ist diese Veränderung per se gut? Ihr sagt, das Internet sei so wie es ist und ich hätte mich der Technik gefälligst anzupassen. Gilt das eigentlich für alle meine Lebensbereiche oder nur für meine Fotos? Müssen sich jetzt alle Menschen dem Internet anpassen? Sollen die Menschen, die sich nicht anpassen wollen, sich Euch und Eurem Evangelium, dem Internet, unterwerfen?

Alle reden von Freiheit, die Netzaktivisten, der Bundespräsident. Aber denkt bitte daran, dass es oft Fotografen sind, die Euch Informationen aus Ländern überbringen, in denen um genau diese Freiheit gekämpft wird – mit Leib und Leben. Reporter, die dahin gehen, wo es weh tut. So wie der französische Fotograf Remi Ochlik, der aus der syrischen Stadt Homs berichtete und dort am 22. Februar 2012 im Granatenhagel starb. Und jetzt, nach seinem Tod, wollt Ihr seine Fotos verwenden, ohne fragen zu müssen. Weil Ihr sagt, dass das Verbot einer Kopie unmoralisch sei. Schämt Ihr Euch nicht?

Wie ein bockiges Kind wiederholt Ihr immer wieder, dass es geistiges Eigentum gar nicht geben könne, weil es nicht im Grundgesetz steht. Das ist zu einfach. Es steht übrigens dort vieles nicht, auch nicht die von Euch so geliebte informationelle Selbstbestimmung. Trotzdem hat unser Verfassungsgericht jedem Menschen das Recht auf diese Selbstbestimmung zugestanden und sie damit zum Grundrecht erhoben. Ganz ähnlich hat sich das Gericht zum geistigen Eigentum geäußert. Sucht Euch bitte nicht nur die Grundrechte heraus, die Euch gerade in den Kram passen. Menschenrechte gibt es nur im Gesamtpaket.

Und bitte betreibt keine Wortklauberei. Natürlich gibt es im rechtlichen Sinne keine »Raubkopie«: Mir ist klar, dass mit »Raub« die gewaltsame Wegname von Sachen gemeint ist, aber wir wissen doch alle, was mit der »Raubkopie« gemeint ist. Meint Ihr ernsthaft, Ihr könntet mit Menschen ins Gespräch kommen, die Ihr als Content-Mafia bezeichnet? Warum sagt Ihr über Verwertungsgesellschaften, sie seien undemokratisch? Urheber haben mich in den Verwaltungsrat einer Verwertungsgesellschaft gewählt. Ich kann Euch versichern, dass es dort mit rechten Dingen zugeht. Wenn Ihr das nicht glaubt, überzeugt Euch selbst davon – die Mitgliederversammlungen sind öffentlich. Ich weiß, es ist sehr mühsam, sich durch Wahrnehmungsverträge und Verteilungspläne einer Verwertungsgesellschaft zu arbeiten und diese jedes Jahr anzupassen. Aber es lohnt sich. Nur so werden viele Eurer Nutzungen meiner Fotos schon heute legalisiert – ohne dass Ihr und ich das übrigens merken. Das entkriminalisiert die Nutzer. Das wolltet Ihr doch, oder?

Und glaubt mir: Ich fühle mich sehr unwohl dabei, den Schulterschluss zu den Verlagen suchen zu müssen. Aber Ihr lasst mir keine Wahl. Denn die großen Verlage sind stark und duzen sich mit der Kanzlerin – ich nicht. Die Verleger werden das jetzige Urheberrecht massiv verteidigen und sogar weiter zu ihren Gunsten ausbauen. Für die Medienkonzerne geht es um sehr viel Geld. Es sind übrigens dieselben Verlage, die uns Fotografen alle Rechte nach dem Prinzip »friss oder stirb« abpressen und die wir mühsam über Gerichtsentscheidungen in ihre Schranken weisen müssen – die sie trotzdem regelmäßig missachten.

Meine Fotos sind nun mal eine Ware – die einzige, die ich habe. Und der Markt entscheidet über ihren Wert. Das mag sich unromantisch anhören. Ihr werdet wahrscheinlich sagen, dass mein Foto ja noch vorhanden sei, wenn Ihr es kopiert. Stimmt. Aber es ist jetzt weniger wert geworden, weil es vielfach verbreitet wurde. Ein Diamant ist halt mehr wert als ein Sandkorn.

Die Fair-Use-Regelungen, die Ihr fordert, hören sich erst einmal toll an – fair eben. Sind sie aber nicht. Fair Use ist Richterrecht, hat also keine gesetzliche, ausformulierte Grundlage und keine Regeln. Wenn Google auf dieser Basis mal eben Bücher einscannt und ins Internet stellt, ohne die Rechteinhaber zu fragen, findet Ihr das bestimmt prima – die Autoren aber nicht. Übrigens fanden das die amerikanischen Richter auch nicht so gut und haben es Google verboten. Anwälte dagegen finden Fair Use richtig toll – sie bekommen jede Menge Arbeit.

Vielleicht wusstet Ihr es noch nicht: Fotografen veröffentlichen ihre Fotos schon lange auch unter Creative-Commons-Lizenzen. Wusstet Ihr, dass es sich dabei auch um Lizenzen handelt, die Ihr beachten müsst? Aber vielleicht gibt es Euch ja gar nicht – die uniforme Netzgemeinde, von der einige Parteien reden. Vielleicht seht Ihr das ja alles viel differenzierter und vielleicht können wir, wenn wir uns Mühe geben, so miteinander reden, als würden wir uns am  Biertisch persönlich gegenüber sitzen. Und uns über all das unterhalten – und über noch viel mehr. Über Eure Situation und über meine. Das wäre schön.

Und denkt doch bitte daran – auch ich bin Teil der Netzgemeinde, schon sehr, sehr lange. Also redet auch mit mir. Und wenn Ihr mal ein Foto von mir braucht: Einfach fragen und wir regeln das – versprochen!