Radikal digital: Zeit fürs Umsteigen
Baryt oder Pixel? Film oder Speicherchip? Der Trend zur elektronischen Vermarktung von Fotos zwingt zur Modernisierung. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen.
Text – Klaus Plaumann
Der Tag ist nicht mehr fern, so beginnt Jim Pickerell seinen Newsletter www.pickphoto.com vom 1. Juli 2002, an dem nur noch Bilder gedruckt werden, die Kunden online suchen und bestellen können. Pickerell, früher selbst Fotograf, ist der wohl schärfste und konsequenteste Marktbeoachter und Kritiker der amerikanischen und internationalen Bilderbranche. Ein Mann, der während der Konferenz des Picture Agency Council of America (PACA) in New York auch vor 500 Kollegen aus der ganzen Welt aufsteht und für die Rechte der Fotografen kämpft – und dabei durchaus schon mal einen Agentur-Vertreter direkt angeht.
Will sagen: Wer immer noch nicht begriffen hat, dass wir uns im Zeitalter der digitalen Fotografie befinden, der sitzt im falschen Boot. Das betrifft Bildagenturen genauso wie Fotografen. Oder wie sagte Stefan Hartmann, Chefredakteur der Zeitschrift Visuell, kürzlich über die Frage, ob sich Fotografen auf die digitale Bilderwelt einstellen sollen? Das sei doch, als wenn jemand fragt, »ob er an der roten Ampel halten soll«. Recht hat er.
ZURÜCK AN DIE FOTOGRAFEN ODER INS BERGWERK
Hier ein paar Dinge zum Nachdenken: Wenn man heute zu Getty geht, bekommt man keine Bilder aus den Archiven, sondern einen Auswahl digitalisierter Fotos aus der Datenbank. In Zahlen bedeutet das: Von den ca. 70 Millionen Bildern, die Getty besitzt, sind zur Zeit ungefähr 450.000 online verfügbar. Die analogen Bilder aus den Archiven dieser Agentur gehen nach und nach an die Fotografen zurück. Pickerell schätzt, dass bis zum Jahr 2000 etwa zehn Millionen Bilder an die Fotografen zurückgeschickt worden sind.
Von Corbis wissen wir, dass die Bettmann Collection ins Bergwerk geschafft wurde und nur ein geringer Teil der Sammlung – die bekannten Ikonen, insgesamt 225.000 Bilder – gescannt wurden. Wenn ein Bildredakteur jetzt etwas aus dem analogen Bestand braucht, muss er viel Geld hinlegen; dann wird für ihn individuell recherchiert und gescannt. Man wollte Arbeitsplätze einsparen und die Bilder vor dem Verfall sichern, lautet die Begründung.
Und jetzt sieht es so aus, als wenn auch die Zefa, die mannhaft gegen die beiden Groß-Anbieter durch Zukauf weiterer Agenturen kämpft, sich vollständig auf die digitale Archivierung einstellt: Bis Ende 2003 will die Agentur alle nicht gescannten Bilder an die Fotografen zurückschicken, so liest man.
24/7: DIGITALE BILDER UND DATENBANKEN
Wer das Geld dazu hat, und das betrifft in erster Linie Fotoagenturen, aber auch selbstständige Fotografen, digitalisiert heutztage Bilder. Er baut online-Datenbanken auf, leistet sich einen Internet-Auftritt und hofft, dass die verehrten Kunden davon hören: Sie sollen online zu ihm kommen und dann möglichst problemlos selbst die Bilder aus dem Internet-Archiv suchen, herunterladen, verwenden und dann auch noch für die Nutzung bezahlen.
Die ganz Schlauen meinen, dazu brauche man auch keine Verkäufer mehr, das gehe alles wie von selbst, 24/7, also jeden Tag rund um die Uhr, und am Ende spart man Geld und macht einen schönen Gewinn. Bei Getty kann das jeder am veröffentlichten Börsenwert überprüfen – der, wie momentan bei so vielen Firmen, nach unten tendiert.
Zwar sind wir seit dem Untergang der New Economy alle mit unseren Prognosen und Prophezeihungen vorsichtiger geworden, aber digital wird die Fotografie schon, daran gibt es kaum noch Zweifel. Nehmen wir als Beispiel den Stern. Dort sind mittlerweile mehr als Hunderttausend Bilder in der Datenbank gespeichert, man scannt inzwischen analog entstandene Fotos, und monatlich werden hunderttausende Bilder über die Fotostation editiert, während gleichzeitig das große, 50 Jahre alte Bildarchiv immer weniger bewegt wird.
Und auch, wenn jemand als Fotograf nicht für die Groß-Agenturen arbeitet: Man sollte jetzt den Kopf nicht mehr in den Sand stecken und abwarten, bis der Sturm vorüberzieht. Denn dann wird es für manchen zu spät sein.
SCANNEN UND EDITIEREN: DIE FOTOGRAFEN
Was macht man nun, wenn man nicht Milliardär ist, kein Venture-Kapital verbrennen darf, sondern gerade mal mit seiner Arbeit als Fotograf mühsam den Lebensunterhalt verdient? Wie arbeitet man mit Redaktionen und Bildagenturen zusammen? In welche Richtung geht die Zukunft?
Vom Standpunkt der Bildagenturen und der Bildredaktionen ist alles klar: herkömmlich geschossene Fotos selbst oder per Dienstleister scannen, möglichst in mindestens 15 MB, Farbraum RGB, ausführliche Datei-Informationen über IPTC-Standard dazu – fertig ist das digitale Foto für den Verkauf oder die schnelle Nutzung durch die Redaktion. Aber aufgepasst: Hierzu reicht nicht der günstige Scanner aus dem Supermarkt. Da sollte man schon etwas angespart haben – und es geht auch um die Technik, die man beherrschen sollte, bevor man sich mit seinen Scans an die Medienöffentlichkeit traut. Gute Kleinbildscanner gibt es ab 2.000 Euro; am Besten lässt man sich vom Fachhandel beraten und tauscht sich mit erfahreneren Kollegen aus.
Schickt man dann – wie bisher die analogen Bilder – der Agentur oder dem Magazin einen großen Haufen digitaler Dateien, von dem die Bildredakteure sich nur eine Hand voll aussuchen? Lieber nicht, davon sind alle nur genervt, denn digitale Bilder aus aller Welt überfluten heute in großen Massen die Redaktionen. Die Alternative: selbstkritisch zu Hause haarscharf editieren! Nur noch die besten analogen Bilder an die Agentur schicken und dort die Fotos aussuchen lassen, von denen die Agentur meint, sie verkaufen zu können. Und erst dann wird dieser kleine Rest gescannt. Das spart Kosten, erhöht die Glaubwürdigkeit und den Respekt vor der Fotografenleistung. Dazu braucht man auch Vertrauen in die Bildagentur, die ihre Kunden besser kennt als der Fotograf.
Wer sich für neueste Daten aus den USA interessiert, sollte sich bei PhotoSource International unter www.photosource.com informieren. Den »2002 Photobuyer Survey Report« kann man sich für 14,95 Dollar als PDF-Dokument herunterladen – dieser Bericht über die Verwendung von digitalen Bildern ist sehr aufschlussreich und lässt sich weit gehend auf deutsche Verhältnisse übertragen. Bei dieser Umfrage haben 500 Bildredakteure einen umfangreichen Fragebogen ausgefüllt und sich über digitale Bildlieferungen, Datei-Informationen, Bildgröße etc. geäußert. Das ganze läuft unter dem Motto, dass der Bildkäufer bzw. Bildredakteur der Kunde des Fotografen ist, und: Der Kunde hat auch hier wie immer Recht!
Bei uns in Deutschland haben Andreas Trampe vom Stern und Kai Strieder von Pixel Box alle Anforderungen an ein digital geliefertes Bild in ihrer gerade neu aufgelegten Broschüre DIGIPIX 2 aktualisiert. Darin ist penibel beschrieben, was man als Fotograf – und auch als Bildagentur – an Vorleistung erbringen muss, wenn die eigenen Aufnahmen von Magazinen akzeptiert werden sollen. Die Broschüre steht unter www.stern.de/presse zum Download bereit.
Aber ist das alles nicht vielleicht schon Schnee von gestern? Wer das nötige Geld zur Verfügung hat, kann sich den Stress mit dem Scannen sparen, eine Digitalkamera anschaffen und das Geschäft so umwandeln, dass nicht mehr gescannt werden muss. Stellt sich die Frage, ob die Fotoqualität sehr teurer Profi-Digitalkameras die Qualität analoger Fotos schon erreicht hat – im High-End-Bereich wohl noch nicht; für eine Doppelseite in der Geo kaum, aber für die Mehrzahl der Veröffentlichungen in der Presse reicht es aus. Bei Tageszeitungen allerdings ist digitale Fotografie schon längst üblich, bei den Magazinen setzt sie sich langsam durch.
STERN-FOTOGRAFEN: JETZT WIRD ES DIGITAL
Als Beispiele sollen Harald Schmitt, Dr. Jürgen Gebhardt und Cornelius Meffert vom Stern dienen. Meffert benutzt zurzeit neben der analogen Kamera eine Olympus Camedia E-20 P für digitale Fotografie. Dr. Jürgen Gebhardt hat sich seit Anfang 2002 ganz auf digitale Fotografie umgestellt und benutzt eine Nikon D1X – 5.1 Megapixel, mit ca. 16 MB pro Bild bei der Einstellung »fine«. Harald Schmitt fotografiert weiterhin analog, hauptsächlich Dias, aufgrund der besseren Qualität. Und wartet noch auf die Digitalkamera mit 30 MB Auflösung, weil dann der digital gedruckten Doppelseite nichts mehr im Weg steht.
Dabei muss aber auch gesagt werden, dass heute beim Stern von 16-MB-Bildern auch schon Doppelseiten gedruckt werden, weil oft weder thematisch noch technisch eine Alternative verfügbar ist. Ausreichend für den Abdruck auf einer 1/1-Seite ist das auch. Digital fotografiert Schmitt nur bei aktuellen Anlässen, wenn schnelle Verfügbarkeit gefragt ist. Seine Kamera ist dann eine Nikon D1X.
Schmitt ist der Meinung, dass die Nachteile hauptsächlich an der noch zu geringen Auflösung und der fehlenden Weitwinkel-Optik liegen, während Gebhardt die Vorteile in der direkten Kontrolle über die Ergebnisse sieht. Es gibt aus beider Sicht allerdings in der Praxis keine nennenswert anderen Unterschiede gegenüber der analogen Fotografie.
Der Fotograf Thomas Raupach sieht einen großen Vorteil bei seinen digitalen Aufnahmen in der Durchzeichnung im Schattenbereich: »Sie ist wesentlich besser als jeder Scan vom Originaldia.« Außerdem tauchen die Fehler, die beim schlechten Scan entstehen können, bei der rein digitalen Fotografie – bei korrektem Weißabgleich – nicht mehr auf.
Der Anteil digital entstandener Aufnahmen wächst übrigens schnell. Der Stern bekommt heute 80 Prozent des gelieferten Bildmaterials digital. Bei den World-Press-Einsendungen waren z. B. im letzten Jahr 56 Prozent der Bilder digital entstanden.
KOMMERZ & KUNST: STOCK-FOTOGRAFIE IN DER WERBUNG
Und, Fotografen – wollt Ihr auch an die Werbeagenturen verkaufen? Wisst Ihr, dass dort das meiste Geld verdient wird? Denn wo lassen sich heute schöne Bildstrecken überhaupt noch unterbringen? Die gute alte Zeit der Fotoreportagen ist vorüber, der Fotojournalismus ist schwer erkrankt und kommt nicht mehr auf die Beine. Mit Wehmut denken wir an das Zeit- und das FAZ-Magazin zurück. Und heute? Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, statt kompletter Reportagen soll eine Aufnahme reichen. Sogar der Stern macht da nicht mehr halt, wenngleich dort wenigstens ab und zu ein paar schöne Fotostrecken veröffentlicht werden.
Wie kommt man aber an die Fleischtöpfe der Werbung? Als Einzelkämpfer hat man Mühe, entsprechende Jobs zu ergattern. Doch der Dauerverdienst wird mit Stock-Fotos gemacht, heute wie gestern, ob sie nun analog oder digital vorgehalten werden.
Die Bildagenturen kennen den Weg zu den Werbeagenturen, die Stock-Agenturen und Katalogproduzenten machen dort ihr Hauptgeschäft. Sie haben gepflegte Kundendateien, in denen sie Tausende von potenziellen Abnehmern speichern. Sie machen Marketing, sie versenden Informationsbroschüren und Newsletter, schalten Anzeigen, kreieren Websites und produzieren Bildkataloge. Sie verschlagworten die Bilddateien und arbeiten sie in ihre Datenbanken ein – zum Vorteil der interessierten Kunden. Das kann man als Einzelkämpfer nicht erreichen; man hat dazu keine Zeit und meist auch nicht das nötige Geld. Aber es gibt genug vertrauenswürdige Partner in der Branche.
ROYALTY FREE: LIZENZFREIE BILDER
Und: Schon mal an die Produktion von Royalty-Free-Bildern gedacht? »Lizenzfreie« Fotos, bei denen der Bildnutzer einmal zu einem Pauschalpreis kauft und dann das Bild immer wieder verwenden kann, ohne darüber mit der Agentur zu verhandeln. Auch das kann erfreulichen Umsatz bringen – wenn man es richtig anstellt. Die Qualitätsansprüche sind in den letzten Jahren gestiegen. Die Royalty-Free-Produzenten – Marktführer sind Photodisc (Getty), Corbis Royalty Free und Digital Vision – haben sich an den höchsten Maßstäben der Stock-Fotografie orientiert. Sie haben Mitarbeiter z. B. von Tony Stone, der erfolgreichsten Stock-Agentur, abgeworben, und mit ihrer Fotoqualität inzwischen die konventionellen Bildagenturen zum Teil schon überholt.
Man kann für diese lizenzfreien Bildagenturen entweder ganze CDs mit bis zu hundert Motiven komplett produzieren oder aber Einzelbilder abgeben, die auf Themen-CDs mit Arbeiten anderer Fotografen zusammengefasst oder im Internet als Einzelbild angeboten werden. Die Agenturen finanzieren und assistieren, suchen Locations, stellen Art-Direktoren und Stylisten zur Verfügung. Sie suchen immer neue Fotografen für den weltweiten Vertrieb. Da lohnt es sich schon mal anzufragen. Der Anteil an den Royalty-Free-Bildverkäufen beträgt in den USA schon ungefähr 20 Prozent – ein hundertprozentig digitales Bildgeschäft.
Und damit schließt sich der Kreis der aktuellen Betrachtung über das »Soll ich oder soll ich nicht – an der roten Ampel anhalten?«. Wer mit Bildern Geld verdienen möchte, sollte sich der aktuellen Lage anpassen und marktgerecht erstellte Motive produzieren. Denn die Alternative, als Künstler sein Leben mit nächtlichem Taxifahren oder Kellnern zu fristen, ist doch kaum ein Fotografentraum.
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Klaus Plaumann
gelernter Antiquariatsbuchhändler, Diplom-Sozialwirt, Arbeit als Bilddokumentar und leitender Bildredakteur bei Transglobe Agency, heute Leiter Bilddokumentation und Marketing bei der Picturepress Bildagentur, Hamburg. Referent an der Henri-Nannen-Journalistenschule in Berlin.