Magazin #25

PR Journalismus – der dritte Weg?

Die Redaktionen müssen sparen und das lässt alle Dämme brechen. So finden PR-Botschaften immer häufiger ungehindert den Weg in die Medien. Die Grenze zwischen PR und Journa­lismus ist oft nicht mehr erkennbar.

Text – Hans Wille
Fotos – Manfred Scharnberg

Früher war alles einfacher: Auf der einen Seite des Tresens saß die PR-Agentur und schenkte die Informationssuppe ein. Gegenüber die hungrigen Journalisten, Fotografen und schreibende Kollegen. Sie konnten sich überlegen, was und wie viel sie davon auslöffeln wollten. Fanden sie ein Haar in der Suppe, ließen sie diese kalt und lächelnd stehen.

Heute dagegen fehlt häufig die kritische Instanz. Zunehmend finden PR-Texte und -Fotos ungefiltert den Weg in die Medienprodukte. Apple hat es mit der Markteinführung des iPhone großartig vorgemacht, BMW konnte seine neuen 6er Modelle geschickt in 16 Titelseiten einparken, von Playboy bis Architektur und Wohnen. Diesen Werbeeffekt lässt sich die Industrie etwas kosten. Die Verlage nehmen die Sparvorlage dankbar an, entlastet sie doch die engen Budgets der Bildredaktionen.

Zu dem Paket gehören oft auch gefällige Textbeiträge. Ganz offen bot das Wellness Magazin der Sächsischen Zeitung in seiner Anzeigenpreisliste vom April 2005 eine Seite PR-Text zum Preis von 1662 Euro an. Eine Meldung im »Gastro Vision Newsletter« kostet 300 Euro.

»Das ist nur die Spitze des Eisberges«, warnt selbst Horst Avenarius, der Vorsitzende des Deutschen Rates für Public Relations DRPR, der freiwilligen Selbstkontrolle der PR-Branche. Der PR-Report vom November 2005 meldet, dass er innerhalb von nur zwei Wochen exakt 563 »Anzeigenartikel« in deutschen Tageszeitungen gezählt hat.

»Die Schleichwerbung«, mahnte auch unser Bundespräsident, »legt die Axt an die Glaubwürdigkeit der Presse«. Damit liegt Horst Köhler auf der guten alten Linie des Deutschen Presserates, der die strikte Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt fordert.

Nur die Realität sieht anders aus: »PR-Fotos werden ohne Gewissensbisse auch in redaktionelle Geschichten eingestreut«, sagt der Fotograf Rolf Nobel. Solche Fotos seien natürlich flurbereinigt, werden sie doch im Auftrag der Abteilung Unternehmenskommunikation oder Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens angefertigt. Es entstehen geschönte Bilder, Schmutz und Dreck sucht man vergeblich.

Früher, so der Professor für Design und Medien an der Hochschule Hannover, entsprachen Unternehmensfotos nicht den Kriterien der Magazine und Zeitungen. Sie waren steif, bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet und wirkten mit den häufig von Modellen dargestellten Mitarbeitern als künstlich. »Heute wenden herausragend gute Fotografen die gleichen stilistischen Mittel an, wie bei ihren Magazinaufträgen. Formal sind die PR-Fotos nicht mehr von den Fotos zu unterscheiden, die Magazine wie etwa der Stern selbst fotografieren lassen.«

Werden diese Bilder ohne Creditzeile – oder mit der Angabe »Archiv« – veröffentlicht, dann wird dem Betrachter suggeriert, er betrachte ein journalistisches Foto. Die Grenze zwischen Werbung und Journalismus ist aufgehoben. »Dieser sorglose Umgang mit PR-Fotos korrespondiert mit dem permanenten Kostendruck, dem die Redakteure ausgesetzt sind. Da tut es dem Etat ganz gut, wenn man einen Teil der veröffentlichten Fotos nicht honorieren muss«, erläutert Rolf Nobel.

Auch Matthias Wesselmann von der Hamburger Agenturgruppe für »integrierte Kommunikation« fischerAppelt weiß: Gute journalistische Vorlagen sparen dem Redakteur, der die Fremdtexte ins Blatt hebt, viel Arbeit. »Bei uns verpacken Vollblutjournalisten Botschaften in Pressetexte. Von der Headline bis zur Reportage.«

Das angenehmste sei natürlich, wenn die Presseinfos von fischerAppelt eins zu eins in den Medien abgedruckt würden. »Dann macht die Arbeit Spaß, dann ist das richtiger Journalismus.« Während Werbung eher überrede, so Matthias Wesselmann, habe der Journalismus einen überzeugenden Charakter: »Beim Journalismus weiß man, dass ein unabhängiger Kopf dahinter steckt.«

Weiß man – oder glaubt man zu wissen? Natürlich signiert auch fischerAppelt jede Pressinfo, aber nicht immer wird sie im Blatt gekennzeichnet. »Auftragskommunikation« nennt Matthias Wesselmann das Phänomen. Der PR-Kritiker John Stauber aus den USA spricht dagegen abfällig von »Mietmäulern«.

»PR und Journalismus verhalten sich ungefähr so wie der Teufel und das Weihwasser«, kritisiert Thomas Leif vom Netzwerk Recherche. »Wird der Einfluss der PR nicht eingegrenzt, verliert der seriöse Journalismus seine Glaubwürdigkeit und damit seine Substanz.«

Die junge Kollegin eines Lifestylemagazins hebt seitenweise Produktempfehlungen ins Heft. Ihre journalistische Leistung beschränkt sich auf die Auswahl der Produkte und Marken – und selbst diesen Service übernimmt mancherorts die Anzeigenabteilung. Die Informationen rauschen von den PR- und Marketingabteilungen mehr oder weniger ungefiltert durch die Redaktionen direkt in die Öffentlichkeit. Seriöser Journalismus sieht anders aus.

Der Informationstresen wird zur One-Man-Show. Der Journalist zum PR-Mann und umgekehrt. Beide Seiten wildern. Eigentlich würde dem Möbel eine Seite reichen; Theke und Antitheke schrumpfen aufeinander zu, bis sie einen Strich bilden, auf dem der PR-Journalist stolziert. Content-Produktion bleibt weiterhin gefragt. Wegrationalisiert wird in jedem Fall der kritische Journalismus.

Früher galt der Journalismus als Wehr, dass den Nachrichtenfluss wie eine Staustufe regulierte. Der Journalismus moderner Prägung verwaltet nur noch den Fluss, kontrolliert ihn aber nicht. Die Informationssuppe verwässert zusehends mit den gesponsorten, aber oftmals nicht gekennzeichneten Fotos und Texten.

Rund 70 Prozent unserer Nachrichteninhalte werden heutzutage von PR-Stellen initiiert. Trotz steigendem Medienangebot hat sich seit den 90er Jahren in Deutschland die Zahl der hauptberuflich tätigen Journalisten von 55000 auf 48000 verringert. Ihnen stehen inzwischen 25000 PR-Mitarbeiter gegenüber – Tendenz steigend. Geboren ist der Dritte Weg, der des PR-Journalisten. Er nimmt den Redaktionen Arbeit ab, verlagert sie in die Pressestellen.

»Die Medien stehen unter einem ungeheuer starken Druck«, weiß Horst Avenarius vom DRPR. Insbesondere die Fachzeitschriften könnten nicht mehr nur von den Anzeigen- und Abo-Erlösen leben. Da heißt es sparen und Redakteure entlassen, wie es von der FAZ bis zur Hamburger Morgenpost von fast allen großen Printredaktionen in den vergangenen Jahren praktiziert worden ist.

Unterschichtenprint

Wahrscheinlich sei der bessere Journalismus auf Dauer nicht über den Markt finanzierbar, meint Siegfried Weischenberg. Der Forscher vom Institut für Journalistik der Uni Hamburg sieht den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der besonderen Pflicht, Qualitätsjournalismus anzubieten. Hat er die privat finanzierten Printmedien schon aufgegeben, gilt analog Haralds Schmidts böses Wort vom »Unterschichtenprint«?

Die Aktionäre mag es kurzfristig freuen. Doch die Qualitätsspirale dreht sich unaufhörlich nach unten. Weniger Redakteure können nur weniger selbst recherchieren. Und sinkende Budgets verhindern eigene Fotoproduktionen.

Die Verlage sollten die Sparschraube nicht überdrehen. Mit dem Verlust der Glaubwürdigkeit geben sie leichtfertig eine hohe Funktion in der demokratischen Gesellschaft auf – die der vierten Gewalt, die der Gesellschaft auf die Finger schauen kann und soll.

Wenn die Unabhängigkeit eines Mediums erst einmal im Zweifel steht, hat es seine Substanz verspielt. Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis die Abonnenten gleich zur Gratiszeitung oder zu Kundenmagazinen greifen. Da weiß man schließlich, dass die journalistische Leistung nicht unabhängig entstanden ist.

Nicht nur die Verleger, auch jeder einzelne Journalist ist gefordert, sich zu positionieren. Ist er Journalist der alten Schule oder PR-Journalist, der Auftragskommunikation betreibt? Oder beides gleichzeitig? Jede Rolle erfordert ihren Kodex. Diese zu trennen, ist nicht immer einfach. Aber notwendig. Zumindest, wenn man kein Mietmaul sein möchte, das es sich im warmen Nest des embedded journalism gemütlich eingerichtet hat. Denn es gilt nach wie vor die These von Bertold Brecht: »Wes Suppe ich fress, des Lied ich sing.«

Gesetzliche Grundlagen und Kodizes zur Trennung von Werbung und Redaktion

Die deutschen Pressegesetze sind Sache der Bundesländer. Sie haben allerdings nahezu identische Texte. § 10 des Hamburgisches Pressegesetz behandelt die Kennzeichnung entgeltlicher Veröffentlichungen: »Hat der Verleger eines periodischen Druckwerks für eine Veröffentlichung ein Entgelt erhalten, gefordert oder sich versprechen lassen, so hat er diese Veröffentlichung deutlich mit dem Wort ‚Anzeige‘ zu bezeichnen, soweit sie nicht schon durch Anordnung und Gestaltung allgemein als Anzeige zu erkennen ist.«

Im Pressekodex des Deutschen Presserates heißt es zur Trennung von Werbung und Redaktion: »Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.«

Eine gemeinsame europäische Vereinbarung für die saubere Arbeit von PR-Leuten ist der Kodex von Lissabon. In Artikel 4 heißt es: »Public Relations-Aktivitäten müssen offen durchgeführt werden. Sie müssen leicht als solche erkennbar sein, eine klare Quellenbezeichnung tragen und dürfen Dritte nicht irreführen.«

Artikel 15 regelt das Verhalten von PR-Mitarbeitern gegenüber den Medien: »Jeder Versuch, die Öffentlichkeit oder ihre Repräsentanten zu täuschen, ist nicht zulässig. Informationen müssen unentgeltlich und ohne irgendeine verdeckte Belohnung zur Verwendung oder Veröffentlichung bereitgestellt werden.«

Eine Umfrage der Agentur ad publica Anfang 2005 zeigte, dass 54,5 Prozent der PR-Verantwortlichen den Kodex von Lissabon nicht kennen.

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Hans Wille
Jahrgang 1963, lebt seit 1991 als freiberuflicher Journalist in Hamburg. Er schreibt vornehmlich Sachtexte und Reportagen über Wissenschaft und historische Themen.