Magazin #23

Pixel ohne Zukunft?

RAW-Formate gelten bei Digitalfotografen als zukunftssicher. Doch jeder Kamerahersteller arbeitet mit eigenen Standards – und wenn sich eine Firma aus dem Geschäft zurückzieht, kann das die Daten-Sackgasse bedeuten. Mit Dramatischen Folgen: Viele digitale Bildarchive wären unbenutzbar. Daher werden Forderungen nach Offenlegung der Standards laut.

Text – Torsten Steinbach

Millionen von Fotografen nutzen die Möglichkeit, ihre digitalen Bilder in RAW aufzunehmen – es gilt aus gutem Grund als perfektes Format: Die Daten liegen unbearbeitet vor und bieten durch die nachgelagerte Bearbeitung den kompletten Qualitätsumfang der aufgenommenen Bits und Bytes. Noch jedenfalls – aber diese Sicherheit wird zunehmend trügerisch.

Oft verglichen mit der analogen Negativfotografie, findet auf Basis der RAW-Datei ebenfalls eine Entwicklung zum fertigen Bild statt. Nur dass Schalen und Vergrößerer durch Software und Computer ersetzt werden. Durch eine Weiterentwicklung der Entwicklungssoftware – der RAW-Konverter – werden sogar bessere Ergebnisse von älteren RAW-Dateien möglich. Ebenfalls kann die Aufnahme in verschiedene Richtungen entwickelt werden – und das ohne die Qualitätsverluste, die bei der Nachbearbeitung anderer Speicherformate drohen.

Andere Speicherformate sind in der Praxis JPEG und TIFF, wobei ersteres aufgrund seiner verlustbehafteten Komprimierung, das zweite aufgrund seiner Dateigröße ungern benutzt wird. Und beides sind Parameter, welche die Speicher- und Rechenzeit der Kamera negativ beeinflussen.

Gern unterschlagen wird auch ein weiterer Grund, weswegen TIFF und JPEG bei der digitalen Aufnahme zweite Wahl sind: Die Qualität und Konstanz der Bildwandler über einen größeren Belichtungs- und Farbtemperaturbereich hinaus sowie die Qualität der kamerainternen Verarbeitung sind noch nicht so weit ausgereift, als dass die produzierten Ergebnisse zufriedenstellen könnten. Es bedarf der manuellen Korrektur, um die unterschiedlichen Aufnahmesituationen herauszuarbeiten. Das digitale Dia liegt also noch in einiger Ferne.

Aus der Not eine Tugend zu machen, das ist der Grundgedanke des RAW. Was ja auch zugegebenermaßen gelungen ist. Auf die maximale Qualität ihrer Bilddaten angewiesen, frönen nun die erwähnten Millionen Fotografen der digitalen Entwicklung und bemerken – da mit dem Erlernen der neuen »Labortechniken« vollauf beschäftigt – erst nach und nach, dass das Format der Wahl neben der Mehrarbeit auch noch mit anderen Problemen behaftet ist.

Die Digitalfotografen der ersten Stunde bemerkten diese Probleme zwangsläufig zuerst: Beim Wechsel auf ein neues Kameramodell mussten ein neuer RAW-Konverter installiert bzw. Plug-ins aktualisiert werden. Was sich zunächst unspektakulär und ungefährlich anhört, verursachte aber dennoch dem einen oder anderen Bauchschmerzen: Denn was passiert, wenn die alte Kamera nicht mehr unterstützt wird, man das Kamerasystem wechselt oder mit zwei verschiedenen Systemen arbeitet? Kann ich dann meine Daten noch lesen, muss dann auch mit verschiedenen RAW-Konvertern gearbeitet werden?

Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es sich bei den RAW-Dateien nicht um RAW-Formate im eigentlichen Sinne handelt, denn jeder Kamerahersteller schreibt ein eigenes RAW-Format, und jedes Modell besitzt einen eigenen Dialekt. Forscht man an dieser Stelle weiter, so stößt man zusätzlich auf verschlüsselte Bereiche, die eine vollständige Dokumentation der Daten verhindern. Das bedeutet aber, dass auch von den Kameraherstellern unabhängige Softwareanbieter nicht alle Inhalte lesen und nutzbar machen können, es zumindest einen theoretischen Qualitätsverlust durch die Nutzung nicht-kameraeigener Software gibt. Ob und wie stark diese Unterschiede sind, wird Gegenstand weiterer Betrachtungen zu diesem Thema sein.

Somit ergeben sich aber auch Probleme beim digitalen Workflow, falls die Qualität unterschiedlicher Konverter relevant sein sollte. Neue Werkzeuge wie Aperture von Apple oder Lightroom von Adobe wollen ja ein Programm für den gesamten Workflow sein: Müsste hier vorab ein »Originalkonverter« gesetzt werden, bedeutete dies Einbußen in der Produktivität. Dadurch wäre der Fotograf eingeschränkt in der Wahl seiner Software. Die Softwarehersteller ihrerseits müssen ohne das interne Wissen der Kamerahersteller ihre Konverter bauen und noch dafür Sorge tragen, immer die neuesten Versionen parallel zur Einführung neuer Modelle anbieten zu können. Bei der Menge der zu erwartenden Neuheiten eine schwierige Aufgabe!

Größere Sorgen bereitet aber die Tatsache, dass nur eine so genannte native Software sämtliche Informationen aus den Kameradaten herausholen kann. Für den ja bei Contax und Minolta schon eingetretenen Fall, dass Kamerahersteller vom Markt verschwinden, stehen dann Weiterentwicklungen und Aktualisierungen nicht mehr zur Verfügung. Als Worst-Case-Szenario bedeutet das nichts geringeres, als dass der Schlüssel zum eigenen Bildarchiv verloren geht.

Spätestens hier wird die Bedeutung des Problems offensichtlich – schließlich schlummern Unmengen digitaler Fotos auf Festplatten und CDs/DVDs. Kein unerheblicher Anteil davon eben in proprietären RAW-Formaten. Der Verlust für den einzelnen Fotograf kann immens sein, aber auch weit reichende Auswirkungen sind durch das »Verschwinden« unzähliger Fotos durchaus vorstellbar. Man darf nicht vergessen, dass RAW-Dateien sich zur (Langzeit-)Archivierung durchaus anbieten, da die Dateigröße im Vergleich etwa zum ebenfalls hochwertigen 16-bit-TIFF gering ist; ebenfalls wurde das RAW auch deswegen von den Kameraherstellen zur Archivierung empfohlen, besonders unterstützt von dem Argument, man könne aus älteren Daten mittels neuer Konverter sogar bessere Ergebnisse erzielen.

Auch wenn es auf den ersten Blick wenig tröstlich erscheint – Fotografen sind nicht die einzigen, die unter dem RAW-Problem leiden: Hinzu gesellen sich Vertreter aus dem medizinischen Bereich, in welchem die digitale Aufnahmetechnik mehr und mehr eine Rolle spielt. So fürchten Radiologen um gespeicherte Patientendaten und die Patienten sich vor zu wiederholenden Aufnahmen.

Auch in Bibliotheks-, Archiv- und Museumskreisen wird das RAW-Problem deutlich: Mehrfache Ablichtungen einzelner Exponate sind den Konservatoren von Museen und Kunstsammlungen ein Greuel: Zum einen bekommt das vielen wertvollen Kunstgegenständen nicht gut, und zum anderen kostet es Zeit und somit Geld. Ähnlich bei Dokumenten: Hatte man historische Schriftstücke und Fotos in RAW-Formaten digitalisiert, besteht nun die potenzielle Gefahr, dass solche Kulturgüter unbrauchbar werden.

Logisch, dass diese Interessengruppen gleiche Ziele verfolgen: die unterschiedlichen RAW-Formate offen zu legen und zu dokumentieren, plus einen Standard für die Zukunft zu entwickeln, um Dateien im RAW-Format universell und langfristig lesbar zu machen, vergleichbar z.B. mit dem TIFF.

Technisch wäre dieser Schritt problemlos möglich, da es sich bei den meisten RAW-Derivaten um dem TIFF verwandte Dateistrukturen handelt. Hier müsste also nichts Neues entwickelt werden. Die eigentliche Arbeit läge darin, die Kamerahersteller davon zu überzeugen, dass ihnen der Verzicht auf ihr eigenes RAW nicht schadet, und gleichzeitig einen gewissen Druck aufzubauen, hier dem Kundenwunsch Rechnung zu tragen.

Diesem Ziel hat sich unter anderen auch die Initiative OpenRaw verschrieben, die jüngst eine groß angelegte Umfrage über Erfahrungen, Anforderungen und Bedürfnisse von Fotografen im Umgang mit RAW-Daten gestartet hat. Nach letzten Informationen haben sich um die 20.000 Fotografen daran beteiligt, die Initiatoren Jürgen Specht und Calvin Jones bemühen sich derzeit um die Auswertung der Einsendungen.

So wird an verschiedenen Stellen daran gearbeitet, das RAW-Problem in den Griff zu kriegen, jedoch wird die größte Schwierigkeit sein, die Kamerahersteller mit an den Tisch zu bekommen.

Ansätze zur Standardisierung – wie das DNG-Format aus dem Hause Adobe – lösen das Problem ebenfalls nicht, da es sich um keinen offenen Standard handelt; hier existieren auch undokumentierte Informationen. Einzig die Marktposition Adobes lässt auf eine lange andauernde Unterstützung dieses Formats hoffen, wobei dazu auch andere Meinungen kursieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zum RAW im Moment keine adäquate, qualitativ gleichwertige Alternative gibt, wobei über die Relevanz für die Praxis durchaus zu diskutieren ist. Trotzdem sind RAW-Formate für eine Langzeitarchivierung ungeeignet, da zukünftige Lesbarkeit nicht garantiert und eher unwahrscheinlich ist.

Die Hoffnungen ruhen auf den Bemühungen, die bisherigen RAW-Formate offen zu dokumentieren und einen Standard für ein zukünftiges Kamera-RAW zu entwickeln. Dabei müssen die Kamerahersteller ja nicht unbedingt auf ihre proprietären Formate verzichten – es reicht schon, wenn sie ein Standard-RAW als Option einführten…
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Torsten Steinbach
Diplom-Fotoingenieur, seit elf Jahren bei laif in Köln, leitet die Abteilungen Digital, IT und Archiv.