Magazin #13

Perspektiven vor Gericht

Es wurde zum berühmtesten Foto aus Bosnien – »Mann hinter Stacheldraht«, aufgenommen im angeblichen Konzentrationslager Trnopolje. Doch es war eine Täuschung. In einem Prozess um das Bild ging es aber nicht um diese Wahrheit

Text – Kay Dohnke

Der Anfang: Sensationsmeldungen im August 1992 aufgrund eines Filmberichtes über ein serbisches »Konzentrationslager« – das Bild des ausgemergelten Muslims Fikret Alic hinter Stacheldraht ging um die Welt. Das Ende: eine bankrotte Verlegerin, ein finanziell ruinierter Chefredakteur und der Tod ihres kleinen kritischen Magazins LM. Dazwischen: der britische Fernsehsender Independent Television News (ITN) und ein eigenartiger Prozess in London.

In LM – ehemals Living Marxism – erschienen Anfang 1997 die RechercheErgebnisse von Thomas Deichmann, der vor Ort in Trnopolje aufgedeckt hatte, dass die Filmaufnahmen von ITN aus der Umzäunung heraus entstanden waren – bei den vermeintlichen Gefangenen handelte es sich um Flüchtlinge und kurz zuvor aus Internierungslagern entlassene Muslime, die sich im »Flüchtlings- und Transitlager« Trnopolje aufhielten und sich neugierig dem Filmteam genähert hatten (vgl. FreeLens Magazin 11, S. 21). Gefälschte Bilder? Schlechtes Image für die Fernsehleute – und so klagten sie aufgrund der berüchtigten britischen »libel laws« (eine Art Verleumdungsgesetze) gegen das linke Magazin.

In dem Londoner Prozess ging es aber nur nebensächlich um die Darstellung Deichmanns oder um die Wahrheit, was denn nun auf den Bildern zu sehen gewesen sei. Zur Debatte stand primär die Frage, ob der ITN-Crew im LM-Artikel unterstellt worden war, das irreführende Bild vorsätzlich in Umlauf gebracht zu haben – und wenn ja, ob LM das denn auch beweisen könne. Deichmanns Analyse stellte zweifelsfrei dar, aus welcher Perspektive heraus die Bilder entstanden waren, und professionelle Filmleute müssen eigentlich wissen, dass und wie man durch Kameraposition und Aufnahmewinkel Eindrücke inszenieren kann. Auch die Vorführung des ungeschnittenen Filmmaterials belegte, dass es in Trnopolje keinen Gefängniszaun gab, sondern der Stacheldraht um die britischen Reporter herum gespannt war. Nach nur vier Prozesstagen bestätigte der Vorsitzende Richter, dass dies der Fall war.

Doch nach Anhörung von ITN-Zeugen, die sich an wichtige Details freilich nicht mehr erinnern konnten, meinte er, dass sich die TV-Crew ja selbst getäuscht haben könne – und dann wäre es kein Vorsatz gewesen. Abgesehen von der Beweislastumkehr, die im britischen »libel law« beim Angeklagten liegt, zeigt auch der Umstand, dass ITN eine ganze Reihe von Verteidigungszeugen vom Verfahren ausschließen ließ – darunter der renommierte BBC-Journalist John Simpson –, dass hier mit sehr eingeengter Perspektive vorgegangen wurde. Selbst Deichmann konnte nur stark eingeschränkt aussagen.

Erschwerend kam hinzu, dass ausgerechnet das wichtigste ITN-Band mit Rohmaterial vom August 1992 im hauseigenen Archiv verloren gegangen war. Hatte man Angst, dass die Kraft des Faktischen – eben die Tatsache, selbst den Zusammenhang der Aufnahmen nicht deutlich genug dargestellt und der Suggestivkraft der Bilder freien Lauf gelassen zu haben – von dem eigentlich nebensächlichen Aspekt der vorsätzlichen Täuschung ablenken würde?

Doch um diese Nebensache ging es – Wahrheit, Wirklichkeit, Tatsachen hin oder her. Und natürlich konnten LM-Herausgeber und Verlegerin eine vorsätzliche Täuschung durch ITN nicht belegen. Die Jury sah daher den Ruf der ITN-Leute geschädigt und sprach ihnen ein sattes Schmerzensgeld zu. Inklusive der Gerichtskosten sollen LM-Herausgeber Nick Hume und Verlegerin Helene Guldberg nun 1,2 Millionen Mark berappen.

Ein Urteil mit bitterem Nachgeschmack: Deichmann und dem Magazin LM ging es um Tatsachen, nicht um pauschale Urteile. Wenn Trnopolje kein KZ gewesen ist, war es eben keins, auch wenn es noch so gut zum Bild der ansonsten überaus brutalen serbischen Soldaten gepasst hätte. Und die fragwürdige Bilddramaturgie des Fernsehteams ist ebenfalls offenkundig. Die Unmöglichkeit, handfeste Beweise für eine vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit zu erbringen, hat nun fatale Folgen – nicht zuletzt für eine freie Presse.