Magazin #17

Opfer und Helden

Die Bilder einer Katastrophe werden kommerzialisiert – ein Geschäft mit dem Grauen? Zwei Bücher zeigen die An­schläge vom 11. September in unterschiedlicher Weise.

Text – Kay Dohnke

Wir haben die Fernsehbilder unauslöschlich im Kopf und können sie nun auch gedruckt ins Regal stellen. Gleich nach den Anschlägen auf das World Trade Center fanden Ansichtskarten und Poster der Twin Towers reißenden Absatz. Und jetzt, so scheint es, sind Bücher dran. Zwei der WTC-Titel stechen hervor: Magnum und Reuters haben jeweils Fotos zuammengestellt und dokumentieren die Ereignisse, wobei sich Magnum auf New York beschränkt, Reuters auch Washington und Shanksville/Pennsylvania einbezieht.

Magnum hat sein Projekt früh angekündigt. Das wirkte zuerst fragwürdig: Sollte hier ein schnelles Geschäft mit der grausamen Sensation gemacht werden? Das Buch belehrt eines Besseren – es ist ein Dokument der Unmittelbarkeit, der Direktheit und wird dem hohen journalistischen Niveau gerecht, für das der Name Magnum steht.

Der Band ist die Geschichte der New Yorker Ereignisse und seiner eigenen Entstehung zugleich. Aufgrund eines Treffens in der Agentur waren nicht nur die ortsansässigen, sondern auch auswärtige Mitglieder in der Stadt. Einige von ihnen erzählen, wie sie von der Nachricht erfuhren, zum Ground Zero gelangten und was sie bei der Arbeit empfanden. Susan Meiselas schwang sich auf ihr Rad und raste los. Steve McCurry konnte die Türme von seinem Bürofenster am Washington Square Park aus brennen und einstürzen sehen und ging erst dann vor Ort. Thomas Hoepker hörte per Telefon vom Anschlag auf den ersten Turm. Es ging ihm wie vielen anderen Menschen weltweit auch: »Dann schaltete ich den Fernseher ein, und erst, als ich die Bilder sah, wurde es Realität.« In der Hektik und dem Verkehrschaos fuhr er auf die falsche Seite des Hudson River und konnte Manhattan nur aus der Distanz fotografieren. Paul Fusco schließlich gelang es erst nach zwei Tagen, von New Jersey in die Stadt zu kommen. Aus allen Berichten sticht hervor, wie die Ordnungskräfte versuchten, die Arbeit der Journalisten zu behindern.

Ihre Gefühle geben die Magnum-Fotografen nicht in Worten, sondern in den Fotos wieder – wie es ihr Kollege Steve McCurry konkret ausspricht: »Ich habe versucht, meine momentanen Empfindungen in den Film zu übertragen – Entsetzen und das Gefühl von Verlust.« Mancher von ihnen wird, wie Hoepker von sich schreibt, anfangs aus moralischen Überlegungen heraus gezögert haben, mit der Kamera loszuziehen, doch das Ergebnis rechtfertigt ihr Handeln allemal.

Das Magnum-Dokumentation hat einen besonderen Grundzug: Es fehlt die symbolische Überhöhung. Thomas Hoepker bringt den Grund dafür zur Sprache: »Als ich die Bilder unserer Fotografen anschaute, gab es darunter wunderbare und kluge Kompositionen, doch sie betonten das Kunstvolle der Fotografie, erzählten aber nicht die Geschichte. Wir haben diese Bilder nicht in das Buch aufgenommen. Ich glaube, sie gehören auch nicht in dieses Buch, da sie nicht seinem Zweck dienen – nämlich Zeugenschaft abzulegen.« Im Mittelpunkt stehen die Betroffenen; sie werden ungeschönt, aber zugleich sensibel und würdevoll in ihrem Entsetzen und ihrer Trauer gezeigt.

Auf diese Weise wird der Magnum-Band ein unmittelbares journalistisches Dokument der Ereignisse wie auch der persönlichen Beteiligtheit der Fotografen und ist darin mehr als nur eine Momentaufnahme der Katastrophe. Er vermeidet die Intellektualisierung aus zeitlicher Distanz, er umgeht die politische Interpretation, die vielleicht nur durch das schnelle Zustandekommen vermeidbar war.

Doch es geht auch anders. Der von Reuters herausgegebene Band über den 11. September zeigt die Ereignisse in breiterer Perspektive – regional, inhaltlich und politisch. Zwischen zwei Buchdeckeln präsentiert hier der weltgrößte Bildnachrichtendienst ein Panorama perfekter Farbfotos, die von insgesamt 30 Kolleginnen und Kollegen stammen und weit über den unmittelbaren 11. September hinausgreifen. Perfekte Fotos – und fast könnte es heißen: perfekt inszenierte Fotos, denn im krassen Gegensatz zu den Magnum-Aufnahmen blättert man hier wie in einem Album, das versucht, ein bis dato nicht denkbares Ereignis zu zähmen und in politisch-propagandistische Münze umzuwandeln. Je weiter sich die Bilder zeitlich und räumlich von Ground Zero entfernen, desto deutlicher wird dies: ein zu Tränen gerührter US-Präsident, Patrioten auf Baseballfeld und Friedhöfen, und immer wieder Uniformen und Fahnen, entschlossene Blicke, nationale Symbole.

Es sind Fotos, wie Bush junior sie sich wohl gewünscht hat. Sie gehören zur Dokumentation der Ereignisse unzweifelhaft dazu, doch sie haben überdeutlich eine politische Funktion bekommen, werden so zu staatstragender Fotografie. Stellt Magnum die betroffenen und beteiligten Menschen in den Mittelpunkt, stilisiert Reuters sie samt und sonders zu Helden – allzu gefällig, allzu eindeutig, und bei allem Realismus der Szenerien allzu glatt. Und dadurch wird der Begriff »Held« – trotz aller menschlich herausragenden und bewundernswerten Verhaltensweisen im Moment und im Gefolge der Katastrophe – letztlich seines Sinns beraubt.

In einem Punkt berühren sich die beiden Bücher ganz direkt: Sie bringen fast identische Aufnahmen vom Times Square, wo Arbeiter an einem Baugerüst Sternenbanner und Transparente mit patriotischen Slogans aufgehängt hatten. Thomas Hoepker und Reuters-Kollege Gary Hershorn müssen fast nebeneinander gestanden und mit sehr kurzem zeitlichen Verzug fotografiert haben. Doch während das Bild im Magnum-Band als Beleg für die Stimmung funktioniert, machen derlei Aufnahmen in dem von US-Flaggen wimmelnden Reuters-Buch einen Großteil der Optik aus. Und durch eben dieses Umfeld der übrigen Fotos gewinnen die Aufnahmen gänzlich unterschiedlichen Charakter – die Auswahl verändert Sehweisen.

Auf anschauliche Weise führen die beiden Bücher vor, wie unterschiedlich, ja gegensätzlich fotografischer Journalismus funktioniert und welche Rolle Bildredaktionen spielen können. Beide Bände dokumentieren die Ereignisse, werden dabei aber selbst unweigerlich zu einem Stück Medienpolitik.

Bleibt eine Anmerkung zu machen: Reuters hat den Band seinen sechs Mitarbeitern gewidmet, die bei dem New Yorker Anschlag ums Leben kamen. Ihre Namen werden allerdings nirgendwo genannt – und so bleibt es eine dubiose Würdigung, deren moralischer Anspruch in der Anonymisierung absurd wirkt.

New York September 11 by Magnum Photographers.
New York: Powerhouse Books 2001.
144 S. 35 Euro
The Staff of Reuters (Hrsg.): September 11. A Testimony.
New York: Pearson Education 2002.
266 S. 30 Euro