Magazin #19

Lost and found

Am 10. Februar 1971 bezahlten vier bedeutende Kriegsfotografen ihren Einsatz mit dem Leben. Erst nach vielen Jahren konnten Journalisten den Absturzort des Hubschraubers aufsuchen.

Text – Kay Dohnke

Operation Lam Son 719, Anfang Februar 1971: Eliteeinheiten der Armee Südvietnams versuchen den durch das neutrale Laos verlaufenden Ho-Chi-Minh-Pfad zu unterbrechen, auf dem Nordvietnam den Vietcong Nachschub liefert. Trotz schweren Bodenfeuers fliegen Hubschrauber der Army of the Republic of Vietnam (ARVN) über die Grenze Richtung Osten, um die bis dato wichtigste Offensive des Vietnamkriegs durchzuführen.

Das Eindringen der Truppen ins Nachbarland Laos ist eine Story von weltweiter Bedeutung. Doch entgegen der sonst üblichen Informationspolitik wird über diese Aktion eine Nachrichtensperre verhängt. Obwohl sich die Aktion keineswegs geheimhalten lässt, versiegen die offiziellen, vom US-Militär kontrollierten Informationskanäle. Und so warten zahlreiche Journalisten in der Ausgangsbasis Ham Nghi westlich von Quang Tri und am Grenzposten Lao Bao auf die erstbeste Möglichkeit, doch von einem der Militärhelikopter in das Zielgebiet mitgenommen zu werden – damals ein gängiges Transportmittel für Reporter und Fotografen. Offiziell ist jedoch in keiner der Maschinen Platz für Medienvertreter.

Als am dritten Tag der Invasion der vietnamesische Generalleutnant Hoang Xuan Lam mit fünf Maschinen zur Inspektion der Front aufbrechen will, bietet sich endlich eine Mitfluggelegenheit. Zuerst sind Fotografen an der Reihe; Schreiber können ihre Informationen auch aus der Distanz gewinnen. Nach einer ungeschriebenen Regel bekommen Vertreter der wichtigsten Nachrichtenagenturen oder Magazine den Vortritt, da sie Informationen und Bilder am weitesten verbreiten können. Und so klettern schließlich ein Brite, ein Amerikaner, ein Franzose und ein Japaner in den Hubschrauber – Larry Burrows vom Life Magazine, Kent Potter von United Press International, Henry Huet von Associated Press und Keisaburo Shimamoto von Newsweek.

Wenige Stunden später verbreitet sich ein Gerücht auf dem öden Hügel im Dschungel vier Meilen östlich der Grenze: ein Hubschrauber ist abgeschossen worden. Kurz darauf erscheint Generalleutnant Lam, dann wird der Verlust bestätigt – der Pilot der Maschine mit den Journalisten hat über dem unbekannten Territorium die Orientierung verloren und ist direkt in das Feuer einer gegnerischen Luftabwehrstellung geflogen.

Die Nachricht von den abgeschossenen und mit großer Wahrscheinlichkeit toten Kollegen schockiert die internationale Medienszene, aber trotz intensiver Bemühungen lässt sich nichts Näheres über ihr Schicksal in Erfahrung bringen; die Absturzstelle in der Grenzregion bleibt für alle Nachforschungen gesperrt.

Und so wird die Kenntnis um die vier Kollegen fragmentarisch bleiben – jahrzehntelang, bis sich eine Möglichkeit bietet, vor Ort zu gehen, nachzuschauen, als im Rahmen von Nachforschungen zu vermissten amerikanischen Kriegsteilnehmern auch die Absturzstätte untersucht wird.

Nach vielen Schwierigkeiten, diese so genannte »Site 2062« überhaupt zu lokalisieren, begleiten zwei Kollegen der toten Fotografen das Suchteam im März 1998 in den Dschungel von Laos: Horst Faas, der von 1962 bis 1973 als Fotograf und Fotochef von Associated Press in Saigon tätig war, und Richard Pyle, der fünf Jahre aus Vietnam berichtete und von 1971 bis 1973 AP-Bürochef in Saigon war.

Das Ergebnis der mehrtägigen Suche bleibt vordergründig unspektakulär: Vom Hubschrauber ist nichts mehr übrig; alle Trümmer wurden längst als wertvolles Altmetall abtransportiert. Auch von den Opfern des Absturzes findet sich keine Spur. Aber dafür tauchen Reste von Filmrollen auf, dreckverkrustete Objektive – und das Gehäuse einer Leica, die späteren Nachforschungen zufolge am 7. Juli 1960 in London verkauft worden war. Und Larry Burrows hatte sich zu diesem Zeitpunkt in der Stadt aufgehalten und seine wenige Tage vorher bei einem Einsatz im Kongo zerstörte Ausrüstung erneuert.

Doch Faas und Pyle finden noch viel mehr – sie finden endlich Gewissheit, wo ihre Freunde ums Leben gekommen sind, finden einen Teil ihrer eigenen Geschichte, der zugleich Weltgeschichte ist. Und in bester Profimanier halten sie diese Geschichte erneut fest, in Lost over Laos, einem Buch über die Ereignisse vor über 30 Jahren und über die Suche nach den Freunden, über den Vietnamkrieg und die damalige Arbeit der Medienvertreter. Zugleich porträtieren sie die vier Kollegen: Larry Burrows, den immer freundlichen und hilfsbereiten Engländer, der seit 1962 aus dem Krieg berichtet hatte und dessen im Life Magazine publizierte Bilder von hoher künstlerischer Qualität Millionen von Amerikanern das Geschehen im fernen Vietnam regelmäßig ins Haus brachten (herausragende Beispiele liegen jetzt in dem Band Vietnam wieder vor; vgl. auch FREELENS magazin # 11, S. 10-13). Henry Huet, den quirligen Franzosen mit der längsten Erfahrung als Kriegsreporter, der zu den besten Vietnam-Fotografen zählte. Kent Potter, den Quäkersohn aus Philadelphia, den persönliche Probleme nach Vietnam gebracht hatten, wo er ein vielversprechender Fotografen wurde. Und den in sich gekehrten Keisaburo Shimamoto, der als einer der wenigen japanischen Freelancer den Vietnamkrieg dokumentierte. Von allen sind kleine Portfolios mit Beispielen ihrer Arbeit im Band enthalten.

Lost over Laos legt nicht nur Zeugnis von einer bewegten Phase internationaler Politik ab; es ist auch das Dokument einer Freundschaft, die mehrere Jahrzehnte überdauert hat. Und es zeigt, dass man keine pathetischen Worte braucht, um eine Geschichte bewegend zu erzählen.

Larry Burrows
Vietnam
Alfred A. Knopf, New York 2002.
244 Seiten. 50 $

Richard Pyle /Horst Faas
Lost over Laos
Da Capo Press, Cambridge 2003.
276 Seiten. 27,50 $