Magazin #20

Keiner lächelte wie dieser Mann

Trauerrede anlässlich der Beerdigung von Dirk Reinartz.

Text – Axel Hecht

In den letzten Tagen, als ich das Unfassliche zu begreifen versuchte, schob sich immer wieder ein Bild aus dem Gedächtnis nach vorn: Ich sehe Dirk Reinartz in die Redaktion kommen, sehe sein solides Schuhwerk, die Cordhose, das Tweedjackett. Unterm Arm das Karussell mit den Dias. Sein Gruß schallt mir entgegen, seine Hand quetscht die meine, in seinen Zügen unverstellte Freundlichkeit. Keiner lächelt wie dieser Mann.

Es fällt mir unendlich schwer, über Dirk Reinartz in der Vergangenheitsform zu sprechen.

Dirk Reinartz war ein großer Fotograf und ein außergewöhnlicher Mensch. Mitreißend sein Enthusiasmus, bestechend seine kompromisslose Ernsthaftigkeit in der Arbeit, beeindruckend sein völliger Verzicht auf Eitelkeit. Er war ein Mann mit Eigenschaften, aber ohne Allüren. Das ist selten unter den Großen.

Dirk Reinartz kam von Aachen nach Hamburg und Buxtehude, wo er zuletzt wohnte. Er brachte ein wenig rheinische Lebenslust als Ferment in die norddeutsche Tiefebene. Was ihm und uns das Leben hierzulande erleichterte.

Er kam über Essen, wo er an der Folkwangschule bei Otto Steinert studiert hatte. Die Ausbildung beim legendären Lehrer sollte Dirk Reinartz nicht nur prägen, sie wurde für ihn Fundament und Orientierung. Mit 23 Jahren war 1970 er der jüngste Fotograf im damals aufstrebenden Stern. Nach sieben Jahren verließ er das Magazin, dessen unersättlicher Gier nach Bildern er nicht mehr opfern wollte.

Fortan arbeitete Dirk Reinartz als freier Fotograf. Berühmt geworden sind seine stringenten Untersuchungen zum Thema Deutschland. Sein analytischer Blick lieferte uns Bilder von einer in Beton erstarrten und final regulierten Umwelt, und der einzige Kommentar, den er dazu abgab, waren die von melancholischer Ironie geprägten Titel seiner Bücher: Kein schöner Land, Besonderes Kennzeichen: Deutsch, Innere Angelegenheiten.

Bevor die Fotos zu Büchern wurden, sind viele in Reportagen im Zeit magazin erschienen. Darunter sein international wohl erfolgreichstes Projekt, das aus dem tiefsten Dunkel deutscher Geschichte kam: totenstill – die große Elegie über die Konzentrationslager. Es wurde auch in Amerika als deathly still ein Erfolg.

Das zweite bestimmende Thema im Leben des Fotografen Dirk Reinartz wurden die Künstler. Über 25 Jahre porträtierte er bildende Künstler – fast vierhundert von ihnen hat er im Auftrag der art-Redaktion besucht. Ein jegliches Foto ist souverän gebaut – keines aufwändig inszeniert. Gemeinsam mit den Künstlern hat Dirk Reinartz die Möglichkeit zum gültigen Porträt ausgelotet, nirgendwo ist Hektik oder falsche Pose spürbar. So wurden Kontakte geknüpft, die weit über den Tag hinaus hielten – mit Richard Serra ist es sogar zu einer lebenslangen Zusammenarbeit gekommen.

Auf vielen Biennalen und auf jeder Documenta seit 1982 war er unser Fotoreporter.

Mit seinen Bildern hat er unser Blatt geprägt. In der Geschichte des Kunstmagazins art hat Dirk Reinartz seinen festen Platz. Er wurde einer von uns, obwohl er stets von außen kam. Für die Leser wurde er eine feste Größe, für uns war er ein Vertrauter. Fachliche Anerkennung und menschliche Zuneigung erhielt er generationsübergreifend. Die jüngeren Mitglieder der Redaktion akzeptierten ihn als ihresgleichen. Auch deswegen wird er wohl ein so wichtiger Lehrer an der Muthesius-Hochschule geworden sein.

Dirk Reinartz war ein außergewöhnlicher Mensch: offen, gradlinig, humorvoll und gänzlich unkorrumpierbar. Er ging seinen Weg ruhig und konsequent wie kaum einer. Und er war treu – gegenüber seinen Aufgaben und den Menschen seiner Umgebung.

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Axel Hecht
ist Chefredakteur des Kunstmagazins art in Hamburg.