Magazin #02

Ist der Bildermarkt am Ende?

Das digitale Zeitalter bietet viel – vor allem existenzielle Probleme für Fotojournalisten.

Text – Lars Bauernschmitt & Alfred Büllesbach

Die Fotografie befindet sich in einem, in ihrer Geschichte bislang einmaligen, Umbruch, die Existenzgrundlagen des Fotojournalismus sind gefährdet. Trotzdem wird die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Technik von Bildjournalisten mit äußerster Zurückhaltung betrieben. Lediglich das Thema der möglichen Bildmanipulation durch die digitale Technik erfährt eine gewisse Öffentlichkeit – und lenkt von den eigentlichen Veränderungen der Fotobranche ab.

Dieser Beitrag behandelt die Veränderungen des Bildermarktes durch die technischen Entwicklungen, denn von der Entwicklung des Bildermarktes hängt die Zukunft des Fotojournalismus ab. Hier wird entschieden, ob es in Zukunft noch hauptberufliche Bildjournalisten geben wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob ein Fotograf seine Fotos selbst vertreibt oder dies durch eine Foto-Agentur geschieht. Die Marktbedingungen sind für jeden Bildanbieter die gleichen.

In den letzten Jahren kam es zu unterschiedlichen technischen Entwicklungen. Die Kapazitäten von Computern haben sich vervielfacht. Heute ist es kein Problem mehr, ganze Archive digital zu verwalten. Durch den Aufbau von Online Diensten und die Entwicklung preiswerter CD-ROMs ist es möglich, auch große Bildbestände ohne Mühe weltweit zu vertreiben. Speicherplatz und dessen Kosten werden in Zukunft endgültig zu einer vernachlässigbaren Größe. Bereits heute ist es kein Problem mehr, digitale Bilder in zufriedenstellender Qualität zu drucken, dazu brauchen Originalfotos oder Dias nicht mehr vorzuliegen.

DIGITALISIERUNG VON BILDARCHIVEN

In Zukunft wird sich die Menge der angebotenen Bilder potenzieren. Diese Vermehrung des Bildangebotes geschieht vor allem durch den weltweiten Aufbau von Bilddatenbanken.

Der Aufbau digitaler Bilddatenbanken geschieht auf zwei verschiedenen Wegen: Zum einen werden bereits bestehende Bildarchive digitalisiert und für Interessenten zugänglich gemacht, zum anderen werden eigens zum Aufbau einer Datenbank Bildbestände angesammelt.

Daß Bildagenturen ihre Bestände digitalisieren und in Datenbanken für Online-Recherchen zur Verfügung stellen, ist nichts Neues. Durch diese Technik wird zunächst nur ein bereits vorhandenes Bildangebot in anderer Form angeboten. Neu hingegen ist, daß auch bisher nicht-öffentliche Bildarchive digitalisiert werden. Hierzu zählen besonders Verlagsarchive, die bislang nur intern genutzt wurden (z.B. New York Times und TIME), oder Archive von Fotografen, die ihr Material bisher nicht verwertet haben. Hinzu kommen neu geschaffene Bildarchive, die von branchenfremden Firmen betrieben werden. Hier ist vor allem die Computerindustrie zu nennen, die im kommenden Multimedia-Markt einen immensen Bildbedarf sieht.

PHOTO CD’S

Neben den Datenbanken tragen auch Photo-CD’s zu einer Vergrößerung des Bildangebots bei. Einfach in der Herstellung und leicht transportabel, sind Photo CD’s ein von Fotografen und Agenturen gern benutztes Medium, ihre Fotos katalogähnlich den Kunden anzubieten. Eine bestimmte Spezie dieser CD’s jedoch zerstört den Bildermarkt in seiner bisherigen Form: Die sogenannten copyrightfreien CD’s. Für oft schon weniger als 100 DM erhält der Kunde ’zig Fotos zu bestimmten Themen – mit allen Nutzungsrechten! Entgegen der bisherigen und vom Urheberrecht gewährten Praxis, einzelne Nutzungsrechte einzeln zu verkaufen, bieten Fotografen Softwareherstellern sämtliche Nutzungsrechte zu Pauschalpreisen an.

Verlierer bei diesem Geschäft kann nur der Fotograf sein, selbst bei verlockenden Pauschalsummen für ganze Bildpakete. Letztlich zerstört der Fotograf mit dieser Praxis die Basis seiner beruflichen Existenz. Warum ein besseres Urheberrecht fordern, wenn Fotografen ihre Rechte fast umsonst preisgeben? Wie können in Zukunft höhere Honorare gefordert werden, wenn auf Nutzungsrechte freiwillig verzichtet wird?

MULTIS UND MULTIMEDIA

Kein Tag vergeht, ohne daß ein Verlag Online-Dienste gründet oder mit Firmen Partnerschaften eingeht, um beim Multimedia-Geschäft dabei zu sein. Das Engagement in allen Medienbereichen (Zeitschrift-Buch-On/Off-Line)verlangt nach Programminhalten. Dazu gehören auch Fotos. Das Lästige für Programmacher ist der Einkauf von Nutzungsrechten bei urheberrechtlich geschützten Werken. Dieses Procedere möglichst einfach und billig zu gestalten, ist für jeden Programmacher erstrebenswert. Magazinfotografen bekommen bereits die Folgen dieser Bestrebungen zu spüren, dann nämlich, wenn sie bei Abschluß eines Produktionsvertrages alle Nutzungsrechten an den Verlag abtreten müssen. Je mehr die Verlage multimediale Einsatzmöglichkeiten für Fotografien sehen, desto öfter werden Fotografen solchen Verträgen ausgesetzt.

Besitzt ein Multimedia-Produzent nicht die Nutzungsrechte für eine Fotografie oder Musikstück, dann müssen diese beschafft werden. Für eine jüngst erschienene Carl Orff CD mußten insgesamt 800 Nutzungsrechte eingeholt werden. Es liegt auf der Hand, daß die Industrie hier nach neuen Formen des Rechteerwerbs sucht. »One stop shop« ist der derzeit brisanteste Sprengstoff, den sich die Inhaber von Fotorechten vorstellen können. Unter »one stop shop« versteht man ein Rechteangebot aus einer Hand. An einer zentralen Stelle sollen Online- oder Multimediaproduzenten die benötigten Rechte erwerben können. Kontrolle und Verkauf von einzelnen Nutzungsrechten liegen dann nicht mehr in der Hand des einzelnen Fotografen oder seiner Agentur!

Die bereits gegründete »Arbeitsgemeinschaft Multimedia« von mehreren Verwertungsgesellschaften (einschl. VG Bild-Kunst), welche die Möglichkeiten des »one-stop-shopping« prüfen will, muß von den Fotografen kritisch beobachtet werden. Bereits das wiedersprüchliche Verhalten der VG Bild-Kunst zum Thema »Bilder-GEMA« im letzten Jahr (bei der es ebenfalls um das Thema der kollektiven Wahrnehmung von Bildrechten ging) gibt Anlaß, sich näher mit der Arbeit der VG’s zu beschäftigen, um eine mögliche, von Urheberseite ungewollte Eigendynamik der VG’s zu verhindern.

Ob »Online-Dienste« oder »Offline-Produkte« (z.B. CD-ROM): Nutzungsrechte von Fotografien gelangen durch das Geschäft mit den Neuen Medien in die Begehrlichkeit von boomenden, internationalen Medienkonzernen, die mit ganz anderen Interessen und Machtpotentialen in das bisher so überschaubare, klar geregelte Bildgeschäft einsteigen. Die Interessenvertretung der Fotografen, die sich heute auf fast ein Dutzend Verbände verteilt(!), wird ohne enge Zusammenarbeit den Lobbyisten der Medienindustrie nichts entgegenstellen können.

FOTOJOURNALISMUS AM ENDE?

Wielange der Bildermarkt in seiner bisherigen, geradezu idyllischen Form weiterbestehen wird, ist die Frage. Wie immer technische oder organisatorische Details auch entschieden werden, bereits heute stehen die Folgen für Fotografen und Bildagenturen fest. Die weltweite Verbreitung von Bildbeständen, verbunden mit der Erschließung bisher ungenutzter Bildquellen, führt zu einer Angebots größe, die bisher unvorstellbar war. Mit einer Steigerung der Honorare ist also nicht zu rechnen. Dieselbe Wirkung hat eine zentrale Vergabe von Nutzungsrechten. Je größer das Angebot eines Anbieters, desto eher wird er Bildrechte pauschal in größeren Blöcken abtreten.

Professioneller Fotojournalismus erfordert professionelle Arbeitsbedingungen. Diese Bedingungen werden durch die hier beschriebenen Veränderungen mehr und mehr infrage gestellt. Nicht nur Magazine, die durch Auflagenrückgang zu Einsparungen gezwungen sind, nutzen Billigangebote des Bildermarktes zur Illustration ihrer sogenannten redaktionellen Beiträge. Der Preisverfall wird zudem verstärkt durch den steigenden Konkurrenzdruck unter den Fotojournalisten, verursacht zum einen durch die hohe Anzahl junger Fotografen, die sich zur Zeit in der Ausbildung befinden, sowie zum anderen durch die Internationalisierung der Bildgeschäfts. Aber Preisverfall bei der »Auftragsabwicklung« haben mit verantwortungsvollem Journalismus nichts zu tun. Bleibt eine wirklich professionelle Bildberichterstattung unter diesen Bedingungen auf der Strecke?

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Lars Bauernschmitt & Alfred Büllesbach
sind Geschäftsführer der Fotoagentur VISUM in Hamburg.