Magazin #18

Ins offene Messer gelaufen

Das Zeugnisverweigerungsrecht wurde nicht hart umkämpft, damit Kollegen es fahrlässig preisgeben.

Text – Kai von Appen

Es ist nicht neu, dass Fotojournalisten bei Polit-Aktionen, die nicht immer ganz nach Recht und Gesetz verlaufen, gelegentlich vorübergehend selber in die Fänge der Justiz geraten. Aber dass ausgerechnet Berufskollegen zu Kronzeugen werden, weil sie ihre Bilder trotz erweiterten Zeugnisverweigerungsrechts den Strafverfolgern zur Verfügung stellen, hat in Hamburg neue Brisanz: Material der freien Fotografin Susanne Eichel von der Hamburger Morgenpost (Mopo) dient dazu, die freie Fotojournalistin Marily Stroux wegen Hausfriedensbruch anzuklagen, weil sie als Reporterin eine Aktion dokumentierte.

Dem Pressefotografen Günter Zint sträuben sich die Haare. »Wir haben nicht so viele Jahre dafür gekämpft und sehr viel Geld investiert, dass man uns das Fotomaterial nicht klaut und beschlagnahmt, damit es dann irgendjemand freiwillig abliefert«, schimpft er. Zint ist langjähriger Gewerkschaftsaktivist für den Fachbereich Bildjournalismus in der IG Medien – und er meint eine Kollegin. Sie hat dem Hamburger Staatsschutz nach einem Go-In von Protestlern in der Rechtsmedizin der Universitätsklinik Eppendorf eine CD mit 42 Aufnahmen der Aktion übergeben. Das Go-In am 25. Februar 2002 war eine Reaktion auf den gewaltsamen Brechmitteltod des mutmaßlichen Drogendealers Achidi John im Institut.

Die Staatsschützer zeigten sich – zumindest offziell – über den unerwarteten Bildersegen überrascht und gaben genüsslich in der Akte zu Protokoll: »Auf die Frage, warum sie die Fotografien trotz ihres Zeugnisverweigerungsrechtes aus beruflichen Gründen freiwillig an die Polizei herausgab, entgegnete sie, dass sie sich durch die Gruppe der Demonstranten benutzt fühlte und die Art und Weise der Aktion nicht tolerierte.« Doch wurde Eichel offenkundig instrumentalisiert – von einem polizeifilz-befallenen Kollegen.

Dass Fotomaterial zu Fahndungs- und Anklagezwecken missbraucht wird, hat Tradition: So zeigte die ARD-Tagesschau im Frühjahr 1981 eine Aufnahme des Stern-Fotografen Tobias Held von der Demonstration gegen das Atomkraftwerk Brokdorf am 28. Februar 1981. Zu sehen war ein in den Wassergraben ge­rutschter Polizist, der von zwei vermeintlichen Atomkraftgegnern Schläge auf den Helm bekommt. Das Foto bildete später den Grundsockel einer Mordanklage, obwohl bekannt war, dass es sich nur um eine Sequenz des Geschehens gehandelt hatte, der Polizist unverletzt geblieben und – wie andere Aufnahmen von Held belegten – durch eigenen Übereifer in die Situation geraten war.

Jahrelang sind die Medien – ob Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen oder Fernsehanstalten – gegen eine solche Staatsschutz-Instrumentalisierung Sturm gelaufen und haben sich widersetzt, um die Herausgabe von Bildmaterial zu verzögern oder zu verhindern. Fotografen lagerten brisante Filme nicht mehr in ihren Büro- oder Privaträumen, um so Razzien zu entgehen. Und bei manchen Kollegen setzte bereits vor Ort die Schere im Kopf an – sie hielten Situationen nicht mehr im Bild fest, wenn sie keinen Einfluss auf die Verwendung ihres Material hatten oder nicht später als Kronzeugen missbraucht werden wollten.

Günter Zint kann vom permanenten Kampf ums Zeugnisverweigerungsrecht ein Lied singen. In den 80er Jahren war seine Hamburger Agentur Pan-Foto oft Ziel von Hausdurchsuchungen – so 1986 wegen einer banalen Protestaktion anlässlich des Hamburger Kessels. Türkische Jugendliche hatten ein Transparent »Hamburger Polizisten Schläger und Geiselnehmer« aufgehängt. Die Fahnder schreckten nicht davor zurück, in der Notarkanzlei des späteren Hamburger Bürgermeisters Henning Voscherau vorstellig zu werden und die im Tresor deponierten Negative einzusacken. Zint bekam von der IG Medien Rechtsschutz, um den Fall durchzufechten – mit Erfolg: Das Landgericht stellte klar fest, dass Beschlagnahmen nur bei Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag oder anderen schweren Delikten wie etwa Geiselnahmen und Entführungen verhältnismäßig sind. Diesen Schutz hat die Bundesregierung in der vorigen Legislaturperiode gesetzlich verankert und ausgeweitet.

Im Vorfall um Marily Stroux geht es vergleichsweise um eine Bagatelle – dennoch ist die bekannt kritische Journalistin von den 30 Teilnehmern des Go-In die einzige Person, die namentlich erfasst worden ist und gegen die wegen Hausfriedensbruch ermittelt wird. Inzwischen hat sie eine Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung bekommen.

Seitdem die Rechtslage äußerlich geklärt scheint, versuchen die Strafverfolgungsbehörden die Barrieren immer wieder zu umschiffen, um an begehrtes Material zu kommen. So hatte sich im »Fall Stroux« die Polizei zunächst bei Eichel direkt gemeldet. Als die eine schriftliche Verfügung verlangte, nutzten die Fahnder offenkundig ihre Kontakte in die Mopo-Polizeiredaktion und die Unerfahrenheit der jungen Journalistin aus. Nur auf Anraten des Polizeireporters Thomas Hirschbiegel, be­teuert Eichel, habe sie die Fotos herausgerückt: »Herr Hirschbiegel sagte, ich hätte keine andere Wahl, als das Material auszuhändigen, sonst würde bei mir eine Hausdurchsuchung gemacht, und ich bekäme eine Strafanzeige.« Dass es zu solchen Deals zwischen Polizei und manchen Polizeiredakteuren kommt, ist keine Seltenheit. Da wäscht eine Hand die andere – besorgst du uns das Material, kriegst du beim nächsten Mord Details exklusiv.

In der Mopo-Redaktion hat der Vorfall offziell Fassungslosigkeit ausgelöst. »Die freie Mitarbeiterin hat ganz klar gegen unsere journalistischen Grundsätze verstoßen«, sagt Vize-Chefredakteur Thomas Friemel. Die Redaktionsleitung habe Redaktion und freie Mitarbeiter in einem internen Schreiben angewiesen: »Redaktionelles Material darf nicht an Polizei und Staatsanwaltschaft weitergereicht werden. Im Zweifel werden unsere Anwälte eingeschaltet.« Auch Susanne Eichel bedauert, dass sie »falschen Informationen« aufgesessen ist: »Ich war noch nie in einer solchen Situation. Man hat mich ins offene Messer laufen lassen.« Was wohl auch für Marily Stroux gilt …

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Kai von Appen
Journalist, langjähriger Mitarbeiter der taz Hamburg.