Magazin #29

Helden der Arbeit

Klappern gehört zum Handwerk. Das Sprichwort gilt besonders für Verleger, die derzeit laut für ihre Rechte als so genannte Werksvermittler trommeln. Dabei vergessen sie, wessen Werke sie eigentlich an den Leser bringen

Text – Stefan Niggemeier
Illustrationen – Jan Philipp Schwarz

Für die Bild Zeitung war es ein Geschenk. Das Zeit Magazin hatte am Tag zuvor ein langes Porträt über Günther Jauch veröffentlicht. Christoph Amend hatte den Fernsehmoderator besucht und ihm in einem ausführlichen Gespräch viele nachdenkliche Sätze über sich und seinen Beruf entlockt. Den Nachrichtenagenturen war es mehrere Meldungen wert; sie titelten: »Günther Jauch will kürzer treten« und »Günther Jauch: Weniger im TV«, und Die Zeit gab eine Pressemitteilung heraus mit mehreren Sätzen Jauchs aus dem Text und dem Angebot, Redaktionen das komplette Interview »für Zitierungen« gern zu zu schicken.

Für die Bild Zeitung, deren Erfolg zu einem großen Teil davon abhängt, mit dem richtigen Thema und der richtigen Schlagzeile am Kiosk zu liegen, war es, wie gesagt, ein Geschenk. »Es wird weniger werden mit mir im Fernsehen…« zitierte sie aus dem Interview und lockte die Leser mit der vielversprechenden Seite-1-Überschrift »Jauch spricht über sein TV-Leben« zum Kauf.

Ausführlich berichtete sie, was Jauch über den richtigen Moment des Abschieds gesagt hatte, über seine Schwierigkeiten, sich Gesichter und Namen zu merken, über das Alter und über die Vergänglichkeit der Prominenz. Sie nannte brav die Quelle, verzichtete auf jedwede eigenen Recherchen oder Gedanken und illustrierte den großen Artikel mit Fotos, die der Sender RTL zur Verfügung stellt. Der ganze Aufmacher, mit dem sich Bild an diesem Tag verkaufte, kostete das Blatt ungefähr nichts. Womöglich wäre das nicht so sehr aufgefallen, wenn Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, die die Bild Zeitung herausgibt, nicht wenige Tage zuvor der FAZ den schönen und scheinbar klaren Satz gesagt hätte: »Es kann nicht sein, dass die einen für viel Geld wertvolle Inhalte erstellen und die anderen sie kostenlos kopieren und vermarkten.«

Das richtete sich natürlich nicht gegen die Praktiken der eigenen Zeitung oder Zeitungen überhaupt. Es richtete sich gegen Google. Fast alles, was Verleger und Zeitungslobbyisten in diesen Tagen, Wochen und Monaten an markigen Erklärungen veröffentlichen, richtet sich gegen den Suchmaschinenkonzern, der längst auch ein mächtiger Onlinewerbevermarkter und ein gewaltiges Werbemedium geworden ist. Es ist ihnen unerträglich, dass dieses Unternehmen im Gegensatz zu ihnen im Internet viel Geld verdient – und dafür nicht einmal teure Journalisten (oder billigen Journalistenersatz) bezahlen muss.

Google verdient sein Geld damit, die Inhalte anderer im Netz auffindbar zu machen. Von dieser Dienstleistung profitieren zwar nicht zuletzt die Produzenten dieser Inhalte: teilweise kommt die Hälfte ihrer Leser über Google zu ihnen. Aber weil die Umwandlung dieser Leserzahlen in Werbeeinnahmen mühsamer ist, sind die Verlage unglücklich, wollen ein größeres Stück vom Werbekuchen und schimpfen den neuen Konkurrenten einen Dieb.

Der Verleger Hubert Burda spricht, ebenfalls in der FAZ, von einer »schleichenden Enteignung der Inhalte-Produzenten«: «Wir debattieren in zunehmendem Maße darüber, ob wir es weiter akzeptieren können, wenn andere kommerzielle Anbieter aus unseren Angeboten und damit von unserem originären journalistischen Handwerk einen größeren wirtschaftlichen Nutzen ziehen, als wir selbst es tun.« Und auch Burda formuliert scheinbare Selbstverständlichkeiten: »Wer die Leistung anderer kommerziell nutzt, muss dafür bezahlen.«

Er meint das nicht so. Oder jedenfalls meint er nicht, dass das für sein eigenes Haus gilt. Ende August hat die Burda-Tochter Tomorrow Focus das Finanzportal finanzen100.de gestartet. Es lebt davon, Inhalte aus »über 12500 Quellen« aufzubereiten, wie man stolz vermeldet. Vergüten will man die vorerst nicht. Schließlich sei man ja noch ein junges, kleines Unternehmen, und Google mache das ja auch nicht, sagte ein ungenannter Sprecher gegenüber dem Mediendienst DWDL.

Auch die Geschichte von Mary Scherpe spricht gegen ein besonderes Unrechtsbewusstsein im Hause Burda, was die kommerzielle Nutzung der Leistung anderer angeht: Sie musste feststellen, dass die inzwischen eingestellte Burda-Zeitschrift Young neun Fotos von ihr aus der im Internet veröffentlichten Serie »Stil in Berlin« (stilin-berlin.blogspot.com) veröffentlicht hatte – ohne Anfrage, Genehmigung und Bezahlung. Ihre nachträgliche Honorarforderung, die sich nach ihren Angaben im üblichen Rahmen bewegt, will der Verlag aber nur teilweise erfüllen: Den Rest müsse sie einklagen. Das tut sie nun, »weil es nicht sein kann, dass ein Verlag, der derzeit wie kaum ein anderer darauf pocht, dass das Internet kein Umsonst-Laden ist, sich dann dort einfach bedient«, wie sie in ihrem Blog (http://pudri.blogspot.com) schreibt.

Sie sind zu Papageien geworden, die Verlagslobbyisten und wiederholen immer wieder denselben Spruch: »Wir werden es nicht länger hinnehmen«, lautet er in der Version von Helmut Heinen, dem Präsidenten der Zeitungslobby BDZV, »dass aufwendig produzierte Qualitätsinhalte der Verlage von Dritten kommerziell genutzt werden, ohne dass dafür auch nur ein Cent an die Verlage zurückfließt.« In einer »Hamburger Erklärung«, in der unter anderem der Spiegel Seite an Seite mit dem Bauer Verlag (Das Neue Blatt) gegen »rechtsfreie Zonen im Internet« kämpft, heißt es: »Zahlreiche Anbieter verwenden die Arbeit von Autoren, Verlagen und Sendern, ohne dafür zu bezahlen.« Auf Nachfrage wollte oder konnte kaum einer der Unterzeichner sagen, wer diese »zahlreichen Anbieter« sind.

Gleichzeitig verwenden viele dieser Verleger die Arbeit von freien Journalisten ganz selbstverständlich, ohne dafür zu bezahlen: Sie lassen sie Verträge unterschreiben, in denen sie fast alle Rechte abtreten müssen. Mit dem einmaligen Print-Honorar soll nun auch die Weiterverbreitung in diversen anderen Medien abgegolten sein. Elke Heidenreich musste feststellen, dass ein dubioser Buchverlag die Rechte an Texten, die sie für die FAZ geschrieben hatte, dort erworben und als Buch herausgegeben hatte. Die rechtliche Grundlage: der FAZ-Standardvertrag, in dem sie der Zeitung das Recht einräumte, »Dritten entgeltlich oder unentgeltlich einfache Nutzungsrechte« an ihren Texten »einzuräumen und/oder die eingeräumten Rechte entgeltlich oder unentgeltlich auf Dritte zu übertragen, inbesondere das Printrecht«.

Der Nordkurier, eine Tageszeitung in Mecklenburg-Vorpommern, die den Kieler Nachrichten, der Schwäbischen Zeitung, und der Augsburger Allgemeinen gehört, hatte sogar die originelle Idee, seine Freien aufzufordern, indirekt sogar ihre unveräußerlichen Urheberpersönlichkeitsrechte an ihn abzutreten – sie sollten unterschreiben, sie nicht in einer Weise geltend zu machen, die den wirtschaftlichen Interessen des Verlages schaden könnten. Diese und andere Klauseln wurden immerhin vorläufig von einem Gericht kassiert.

Denkschablone der Verleger

Die Bigotterie der Verleger im Verhältnis zum von ihnen sogenannten »geistigen Eigentum« erscheint atemberaubend, aber aus ihrer Sicht ist ihre Haltung natürlich konsequent. Die Logik lautet: Hauptsache, die Verlage verdienen genug. Die Autoren müssen ihre Rechte und de facto einen Teil ihres Verdienstes an die Verlage abtreten, damit die Verlage auch in Zukunft guten Journalismus finanzieren können. Und das Recht von Internetseiten wie Aggregatoren und Suchmaschinen muss eingeschränkt werden, damit die Verlage auch in Zukunft guten Journalismus finanzieren können – mit einem Teil des Verdienstes der anderen.

Vor dieser Denkschablone muss man den lautstarken Ruf der Verleger nach einem eigenen Leistungsschutzrecht beurteilen. Wie das genau gestaltet werden soll, ist bis heute unklar. Es könnte die Verhandlungs- und Rechtsposition gegenüber Anbietern wie Google stärken – es ist aber auch ein Weg, die Verlage an den Tantiemen zu beteiligen, die die VG Wort an die Autoren ausschüttet. Bodo Hombach, der Geschäftsführer der WAZ, trug zur Debatte mit den Sätzen bei: »So wie der Journalismus lernte, sich professionell und ethisch aufzurüsten, so wird im Internet Unabhängigkeit, Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit im Informationsangebot an einigen Stellen bewahrt, aber oft erst realisiert werden müssen. Da das Menschenwerk bleiben wird, verlangt es auch fairen Lohn. Wie die Printmedien ihn bezahlen.« Sollte er den letzten Satz ernst meinen, würde das natürlich einiges erklären.

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Stefan Niggemeier

Gründer von BILDblog, wurde mehrfach ausgezeichnet wie mit dem Grimme Online Award und als Journalist des Jahres 2007 (Medium Magazin). Er bloggt unter: www.stefan-niggemeier.de/blog