Magazin #16

Halbe Wahrheiten

Medien haben Macht, gewiss – wer wollte an diesem Befund zweifeln? Eigentlich niemand. Nur vielleicht die Medienmacher selbst.

Text – Enno Kaufhold

»Was ist die Wahrheit? Drei Wochen Pressearbeit und alle Welt hat die Wahrheit erkannt. Ihre Gründe sind solange unwiderlegbar, als Geld vorhanden ist, sie ununterbrochen zu wiederholen.« Oswald Spengler als Mitarbeiter des Hugenberg-Konzerns in seinem Buch »Der Untergang des Abendlandes« (1918)

Offenbar möchten die Akteure der heutigen Medien – die Chefreporter, Print- und Online-Redakteure, Kameraleute, Fotografen – davon nichts hören: Sie weisen alle Unterstellungen, sie könnten ernsthaft mit Macht verstrickt sein oder womöglich Macht ausüben, weit von sich oder gestehen sie nur in homöopathischen Dosierungen ein.

Das ist jedenfalls das überraschende Ergebnis der Interviews, die Herlinde Koelbl für ihren vom WDR produzierten 90-minütigen Fernsehfilm Die Meute. Macht und Ohnmacht der Medien sowie den parallel dazu publizierten Reader führte. Ein bedenkliches Resultat. Das umso mehr, als die Dementi der Interviewten von den Rezensenten in den Printmedien unwidersprochen blieben. Wie viel falsches Bewusstsein ist da im Journalismus im Umlauf?

Herlinde Koelbl hat sich mit ihren konsequenten Themenarbeiten einen Namen gemacht; 2001 sind ihr der Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie und andere Ehrungen zuerkannt worden. Gleichwohl weist dieser letzte Fernsehfilm – wie auch der Reader, der jedoch besser abschneidet – erhebliche Schwächen auf. Schwächen nicht so sehr in dem, was und wie er es zeigt, als in den Unterlassungen und dem, was er nicht zeigt.

Der Titel Die Meute bekommt erst im Verlauf des Films einen Sinn, wenn sich der Kamerafokus wiederholt auf die Fotografen, Kameraleute, Schreiber und Fernsehreporter sowie deren weibliche Pendants richtet und zu sehen ist, wie sich diese – eben als wahrhafte Meute – im Pulk auf Politiker oder Prominente des Showgeschäfts stürzen, um Statements zu bekommen. Die von den Medienmachern selbst eingebrachten O-Töne wie »Aasgeier«, »Wegelagerer«, »Raubtiere«, »Frontschwein« oder »Herdenwesen« bekräftigen die negative Konnotation des Begriffs der »Meute« und erklären, warum Herlinde Koelbl mit ihrem Team für einige Unruhe unter den Berliner Presseleuten sorgte. In filmischen Totalen wird der Zuschauer ihrer bei Pressekonferenzen, Untersuchungsausschüssen, Pressebällen und Preisverleihungen im Showbusiness ansichtig, also auf den »Schlachtfeldern« der »Meute«.

In der von Koelbl realisierten Montage mischen sich diese Totalen auf das Jagdverhalten der Journalisten mit nahsichtig geführten Interviews. Die so eingefangenen Statements einzelner Medienrepräsentanten gehören zum Besten des Films, da die Interviewten keine Chance des Entweichens hatten. Keine physiognomische Regung, kein Zucken der Mundwinkel oder aufgeregtes Schlagen der Lider entgeht dem Betrachter.

So formt sich ein Profil des Selbstverständnisses der heute in den Print- und elektronischen Medien Tätigen. Und hierin können Film und Reader durchaus als gelungene Fortsetzung der von Herlinde Koelbl in den zurückliegenden Jahren immer wieder konsequent erarbeiteten Themen bewertet werden (erinnert sei an ihre Bücher über deutsche Wohnzimmer, Männer, feine Leute, starke Frauen, Porträts von Juden und zuletzt an das Projekt Spuren der Macht mit Buch, Ausstellung und Film).

Was nun die im Untertitel suggerierte Frage nach der Macht angeht, so wird diese zwar explizit von Herlinde Koelbl gestellt – es gelingt ihr aber nicht, durch den Panzer des falschen Bewusstseins zu dringen. Inwieweit die Medienleute die demokratisch legitimierte Macht im real existierenden Kapitalismus unterstützen – in diesem Punkt greifen ihre Instrumentarien in allen Belangen zu kurz. Der Hauptfehler liegt in der irrigen Annahme, die Politiker hätten die Macht, obwohl diese doch in wesentlichen Teilen – wie wir täglich in unverhohlener Deutlichkeit erleben – von der Wirtschaft ausgeht. Es wäre deshalb zwingend gewesen, nicht nur Medienvertreter, die in der Tat zwischen Herrschenden und Beherrschten fungieren, sondern ebenso Wirtschaftsfachleute, Politiker und Kulturtheoretiker zu befragen.

Und daher gerät die Wirtschaft als Machtfaktor nur beiläufig mit in den Blick – am deutlichsten noch, wenn Roger de Weck, von 1997 bis 2000 Chefredakteur der Zeit, die Wirtschaft als vierte Macht bezeichnet. Viele Menschen seien nicht mehr in der Lage, die dominant gewordenen Wertvorstellungen der Wirtschaft in Frage zu stellen. Bekräftigung findet das in den Worten des langjährigen Ministeriumssprechers Ludger Reuber, der beklagt, wie sehr die Wirtschaft über die Medien in das politische Geschehen eingreife und dass die Strategien nicht deutlich genug in der Presse offen gelegt würden. Dagegen klingt es aus dem Munde des Pressesprechers des Bundeskanzleramts, Uwe-Karsten Heye, wie Hohn, wenn er den Journalisten zwar Einfluss, aber keine Macht bescheinigt …

Wenn sich hier auch keine differenzierte Mediengeschichte ausbreiten lässt, sollen zumindest ein paar Konstanten skizziert werden: Alle Medien – von der primitivsten Sprache bis zu den heute digitalisierten und globalisierten Sprach- und Bildmedien – haben unter den jeweiligen Gesellschaftsformen der Ausübung von Macht und Herrschaft gedient. Die Entwicklung und mehr noch der Einsatz immer effektiverer Medien haben ihren Motor im expandierenden Macht- und Herrschaftsstreben. Es steht daher heute außer Frage, welch große Macht während des Nationalsozialismus über das Propagandaministerium ausgeübt wurde.

Dieses historische Faktum zeigt die Verschwisterung von Macht und Medien unter totalitären Bedingungen, was aber nicht heißt, dass sie in nicht-totalitären Gesellschaftssystemen gänzlich aufgehoben ist. Auch in Zeiten freiheitlich-demokratischer Grundordnungen gehören ARD, ZDF, BBC etc. als öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten ebenso wie die privaten Medienkonzerne à la Bertelsmann, Leo Kirch, CNN, Time Warner nach wie vor zu den machtbestimmenden Faktoren. Alles, was Herrschaft konstituiert – von der Repräsentation bis zur letzten Regelung im zwischenmenschlichen Bereich –, muss in angemessener Weise hierarchisch von oben nach unten medial distribuiert werden.

Auch von dieser Medienhierarchie kommt bei Herlinde Koelbl nichts zur Sprache. Dieser Begriff meint mehr als die Feststellung, die Pressefotografen befänden sich am unteren Ende der journalistischen Werteskala. Wo waren die Interviews mit den wirklichen Chefs? Unzweifelhaft haben heute die großen TV-Stationen die Führung; ihnen kommt der affirmative Part in der Medienlandschaft zu. Erst die nachgeordneten Medien, also im Printbereich, dürfen und können sich – grob gesprochen – potenziell kritischer verhalten. In dieses Bild passt dann auch die öffentliche Verwunderung darüber, dass der Film bereits um 21.40 Uhr lief, sowie die Bekräftigung der Autorin, das sei wirklich mutig gewesen. Will heißen, die Beteiligten wissen um diese Hierarchie und die gängige Praxis: Je mehr Aufklärungspotenzial ein Beitrag hat, um so weiter wird dieser von den Hauptsendezeiten fern gehalten (wussten die Intendanten, dass es nicht gar so aufklärerisch werden würde?). Vor diesem faktischen Sachverhalt der Allianz von Medien und Macht kann das Insistieren auf die Eitelkeit von Journalisten, die immer wieder ins Zentrum der Betrachtung rückt, nur als ein Nebenaspekt angesehen werden. Jedenfalls ist sie noch das uninteressanteste an der Macht.

So bleibt am Ende die Feststellung, dass Film und Reader zwar keine substanzielle Aufklärung über die Instrumentalisierung der Medien im Konnex zwischen den Herrschenden und den Beherrschten leistet, sehr wohl aber über das falsche oder vielleicht sogar gespaltene Bewusstsein der heute in den Medien Tätigen, die sich ihrer Stellung nicht bewusst sind oder das verdrängen. Wer sehen und hören wollte, erkannte an den Bildern vom Bundespresseball, dass die Repräsentanten der Medien sehr wohl mit den Führenden der Wirtschaft und der Politik in einem Boot sitzen, einem Boot, das den Namen »Macht« am Bug trägt. Insofern gab es doch etwas Aufklärung – wenn die Zusammenhänge und Mechanismen auch im Dunkel blieben.

Herlinde Koelbl
Die Meute. Macht und Ohnmacht der Medien. 58 Interviews.
München: Knesebeck Verlag 2001.
192 Seiten.

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Enno Kaufhold
studierte Kunst und Fotografiegeschichte. Promotion, freie Tätigkeit als Fotograf, Fotohistoriker, Kurator, Lehrbeauftragter, Gutachter; seit 1990 in Berlin. Zahlreiche Publikationen.