Magazin #20

Gipfelstürmer und Gehilfen

Keine 20 Jahre ist es her, da spielte die Fotografie auf dem Kunstmarkt nur eine Nebenrolle. Das änderte sich schlagartig Mitte der neunziger Jahre. Zeitgenossen wie Andreas Gursky wurden zu Stars eines internationalen Booms, und ihre Preise stiegen ins Gigantische. Die Fotokunst hat sich etabliert – und ist heute so präsent wie nie.

Text – Sabine Kunz

Auch Museumsdirektoren können irren. Noch Anfang der achtziger Jahre verweigerte der Londoner Tate-Gallery-Direktor Alan Bowness der Fotografie den Einzug in den Kunsttempel. »Um in der Tate auszustellen«, bekannte er, »genügt es nicht, Fotograf zu sein«. Bowness hat sich als wenig visionär erwiesen. Im Jahr 2003 initiierten die renommiertesten Londoner Kunsthäuser einen »Sommer der Fotografie«. Hauptanziehungspunkt wurde die Tate Modern, wo Nachfolger Nick Serota mit der monumentalen Schau Cruel and Tender erfolgreich auf die realistische Fotografie des 20. Jahrhunderts setzte.

Wenn Kunstmuseen, die gemeinhin so schwerfällig wie Dampfer sind, ihren Kurs ändern, folgen sie selten einer Laune des Kapitäns, sondern der starken Strömung. Sie reagieren auf das, was der Kunstmarkt vorgestern vorgab: Ende der neunziger Jahre überschwemmten Fotografien die Galerien, Biennalen und Messen. Kojen – ob zu den Kunstmessen in Basel oder Berlin, in Paris oder Köln – wurden mit Abzügen prall gehängt. »Das war der Nan-Goldin-Effekt«, urteilt der Berliner Fotogalerist Rudolf Kicken, »wir hatten ein Überangebot an Schnappschüssen, möglichst groß abgezogen«.

Zu diesem Zeitpunkt waren auf den Messeständen andere Fotografen bereits Mangelware. Allen voran Andreas Gursky. Seine Galeristen haben es nicht mehr nötig, ihn öffentlich feilzubieten. Noch bevor der Düsseldorfer Künstler eine Arbeit am Computer fertiggestellt hat, konkurrieren Sammler auf Wartelisten um die sechs Abzüge – so sie es sich leisten können. 1997 kosteten große Formate bis zu 150.000 Mark. 1998 und 2001 machten ihn Einzelausstellungen in den wichtigsten Museen der USA noch populärer. Aber es sollte noch nicht der Höhepunkt sein.

Gerade mal 35.000 Dollar war die teuerste Fotografie der Welt 1980 wert. Heute liegt der höchste erzielte Preis bei über 900.000 Dollar für eine 1842 entstandene Daguerreotypie von Girault de Prangey. Die gigantische Steigerung ist möglich, weil die Fotografie als Kunst Anerkennung findet. Bis dahin war es ein langer Weg. Bereits in den zwanziger Jahren bekannten sich in Deutschland Künstler – vor allem im Bauhaus – zur Fotografie. Aber erst in den Siebzigern, als konzeptionelle Künstler wie Jürgen Klauke das Medium zur Dokumentation ihrer Arbeit nutzten, fand eine ernst zu nehmende Annäherung statt. Die Düsseldorfer Akademie reagierte 1976 und berief zum ersten Mal einen Fotografen auf einen Lehrstuhl für bildende Kunst: Bernd Becher. Sein Einfluss sollte den Fotomarkt nachhaltig verändern. Ein Jahr vorher eröffnete Rudolf Kicken die erste Galerie für Fotografie in Deutschland. Nach einem Studienaufenthalt in den USA orientierte er sich an New Yorker Händlern. Von einem deutschen Markt konnte noch keine Rede sein; zu achtzig Prozent, erzählt Kicken, habe er an amerikanische Sammler verkauft.

Ende der achtziger Jahre kam der deutsche Fotomarkt dann langsam in Schwung. 1989 kündigte das Kölner Auktionshaus Lempertz eine Versteigerung mit Fotografien an. »Ich musste alles mühevoll zusammenklauben, weil wir nicht genügend Arbeiten hatten«, erzählt Ludwig Hanstein, Chefversteigerer des Hauses. In seiner Not griff er zum Telefon und legte befreundeten Fotografen Einlieferungen nahe. Die ließen sich nicht lange bitten – in Galerien erhalten Künstler etwa die Hälfte des Verkaufspreises, als Einlieferer auf Auktionen jedoch 85 Prozent. Die Versteigerung wurde für Lempertz »der ganz große Knaller«. »Wir haben damals eine Ahnung bekommen«, schwärmt Hanstein, »welchen Wert das Medium einmal haben könnte«.

Andere Auktionshäuser folgten; niemand wollte sich das florierende Geschäft entgehen lassen, das Mitte der neunziger Jahre anzog. Galeristen schütteln den Kopf über die Erlöse. »Auktionen sind für Kenner nie wirklich ein Barometer für Preise«, meint Kicken. Er habe in New York erlebt, dass Leute das Doppelte für einen Irving Penn hingelegt haben, als er zwei Straßen weiter in einer Galerie kostete. »Das ist der Event, der da mitspielt«, bestätigt Johanna Breede vom Auktionshaus Villa Grisebach, »sobald ein zweiter Interessent hinzukommt, kann das den Hammerpreis mächtig puschen. Heute gibt es in Deutschland weltweit die meisten Fotoauktionen – selbst die USA rangieren dahinter.«

Trotzdem bleiben die Amerikaner marktbestimmend. Wer gewichtige Fotosammlungen anzubieten hat, tut dies in New York. Nicht anders machte es der größte deutsche Privatsammler von Gegenwartskunst, Hans Grothe, als er zur Jahreswende 2001/2002 Teile seiner Kollektion bei Christie‘s in New York und London veräußerte. Darunter fanden sich herausragende Arbeiten der ersten Becher-Generation Gursky, Ruff und Struth. Die Senkrechtstarter der zeitgenössischen deutschen Fotografie kamen auf den Prüfstand. Würden die Preise für die von amerikanischen Kritikern gelabelten »Struffskys« noch weiter anziehen – trotz der Krise seit dem 11. September?

Der Fotomarkt stand Kopf, als der ca. zwei mal vier Meter große Abzug Untitled V von Andreas Gursky für umgerechnet über 700.000 Euro versteigert wurde – mehr als das Doppelte des geschätzten Höchstpreises. Dabei ist die Aufnahme eines Prada-Regals mit Nike-Turnschuhen kein Unikat, sondern stammt aus einer der für Gursky typischen Sechser-Auflagen. Nie war eine zeitgenössische Fotografie so teuer. Wofür ein Maler wie Gerhard Richter Jahrzehnte brauchte, übertrieben die Feuilletons, das gelinge Becher-Schülern in wenigen Jahren.

Der Auktion gingen böse Worte voraus. Die Künstler protestierten, hatte Sammler Grothe doch versprochen, ihre Arbeiten in einem Museum auszustellen. Und deshalb bis zu 25 Prozent Rabatt ausgehandelt. Fünf Bilder von Gursky bekam Bauunternehmer Grothe Mitte der Neunziger für 90.000 Mark. Von den Auktionserlösen profitierten aber weder Künstler noch Galerien. Im Gegenteil – beide fühlten sich von den Rekorden unter Druck gesetzt. Wer einmal so viel kostet, muss den Preis auch in schlechteren Zeiten halten – sonst droht Imageverlust. Auch der Bonner Museumsdirektor Dieter Ronte reagierte empört, als der Großsammler die seinem Haus bis 2005 zur Verfügung gestellten Leihgaben einfach abzog. Ronte schlug Alarm: Grothes Abkehr von der Fotografie könnte in der Kunstszene als Signal verstanden werden. Sind die besten Jahre der Fotografie schon wieder vorbei?

Die Geschichte vom mächtigen Sammler und ohnmächtigen Museumsdirektor ist aber nur die halbe Wahrheit. Schließlich haben deutsche Museen ihre Abhängigkeit zu Teilen selbst verschuldet. Als zeitgenössische Fotografien noch bezahlbar waren, erkannten die Museumsleiter das Potenzial des Mediums nicht. Wurden ihnen Sammlungen mit klassischen Arbeiten angeboten, schlugen sie die aus. Die historische Gernsheim Collection hätte Köln in den sechziger Jahren eine Million Mark gekostet – heute befindet sie sich in Texas und wird auf 80 Millionen Dollar taxiert. Kein Wunder, dass die Museen nun auf Leihgaben von Sammlern angewiesen sind. Sogar Unternehmen agierten weitsichtiger.

Die Frankfurter DG Bank etwa sammelt seit 1993 Fotografien der Gegenwart. Es war die Zeit, als auf deutschen Vorstandsetagen Sponsoring und Investionen in Kunst im Trend lagen – um das gesellschaftliche Image zu polieren. Für die DG Bank war die Fotografie, so ermittelte es eine Agentur im Vorfeld, wie maßgeschneidert. Das Medium ist noch nicht von der Konkurrenz besetzt – die Deutsche Bank etwa investiert in Zeichnungen –, und es vermittelt werbewirksame Botschaften wie Dynamik, Modernität, Kreativität und Technik. Anfangs waren die jährlichen Bildankäufe vielleicht tatsächlich nur für die Büros der Mitarbeiter gedacht. Später sahen etliche der inzwischen etwa 5.000 Werke umfassenden Sammlung die halbe Welt.

Im Rahmen von Ausstellungen sind die Bilder in renommierten Museen von Paris bis Tokio zu Gast. Das steigert den Wert der Kollektion und spart Versicherungs- wie Lagerkosten.

Inzwischen sind bei den Banken die fetten Jahre vorüber – 2001 stand gar zur Debatte, die Sammlung nach der Fusion zur DZ-Bank zu verkaufen –, und nun dringt nicht mehr nach außen, wie viel Geld von dem einst im unteren siebenstelligen Bereich angesiedelten jährlichen Etat noch zur Verfügung steht. Aber wenn die Kunstbeauftragte Luminita Sabau erklärt, dass die Bestände nur noch kunsthistorisch ergänzt würden, hört sich das recht bescheiden an.

Nach der Hochkonjunktur scheint der Markt heute in einer konsolidierenden Phase angekommen. Die Preise haben sich, wie die letzte Fotomesse Paris Photo beweist, auf einem recht hohen Niveau eingependelt. Aber die Sensationen sind vorbei – Gipfel werden von den Zeitgenossen nicht mehr erstürmt. Die deutschen Auktionen liefen in den letzten zwölf Monaten verhaltener. Etwa drei Fünftel der Bilder gingen im Herbst bei Lempertz und van Ham zurück. »Darunter Material, das noch vor kurzer Zeit fraglos Käufer gefunden hätte«, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Der Markt ist wählerischer geworden und dürfte es auch in Zukunft bleiben. »Es war zu viel des Guten«, glaubt der Präsident internationaler Auktionäre, Hanstein: »Wenn eine kleinformatige Arbeit von Gursky in 10/20er Auflage mehr als ein Vintage von Sander kostet, dann stimmen die Relationen nicht.« Fachleute sind sich jedoch einig, dass in der klassischen Fotografie und bei Werken aus dem 19. Jahrhundert die oberen Spitzenwerte noch nicht erreicht sind. Von satten Gewinnen berichtet auch die erste Aktiengesellschaft, die seit 2001 hauptsächlich mit klassischer Fotografie spekuliert. Ihr Vorstandvorsitzender Jürgen Hasse, der mit Kunst und Fotografie in seinem bisherigen Leben wenig Berührungspunkte hatte, erklärte im September 2003, dass die Aktie der Camerawork AG in 2002 noch mit 145 Euro dotiert war und nun bei über 500 Euro liege.

Insgesamt könnte das Umfeld für Fotografie kaum besser sein. Das vierteljährliche Kalendarium Photography Now listet heute oft doppelt so viele Ausstellungen auf wie zum Start 1998 – und der Trend hält an. In Köln gründete sich 2003 das »Forum für Fotografie und Kunst«, bestehend aus zwei Galerien und drei Stiftungen. Seit Herbst jenes Jahres beherbergt das schweizerische Winterthur neben dem Fotomuseum die »Schweizerische Stiftung für die Photographie« und Mannheim das »Forum für internationale Photographie«. Hamburg hat eine Triennale und eröffnete Ende des Jahres ein »Internationales Haus der Photographie«; allein in den vergangenen beiden Jahren eröffneten in der Hansestadt drei Fotogalerien. Berlin schafft ein Haus für die Sammlung Helmut Newton und plant für 2005 ein Fotofestival. Und keine Woche vergeht, in der nicht arte ein

Fotografenporträt sendet, Kunsthistoriker promovieren über Fotografen, deren Namen selbst Insidern noch kein Begriff sind. Im Gegensatz zur Malerei, Skulptur oder Grafik scheint in der Fotografie noch nicht alles festgeschrieben und abgegrast zu sein. Oder wie es die FAZ titelt: »Die Fotografie bietet noch Entdeckung, Risiko und Abenteuer.«

Garantien aber gibt es nicht. Auch nicht für sichere Anlagen wie Andreas Gursky. Als im Herbst 2003 erneut ein Abzug von Untitled Nr. V bei Christie’s für 500.000 bis 700.000 Dollar angeboten wurde, fand sich kein Käufer.

»Für das Geld hätte ich niemals Gemaltes bekommen«

Der Verkehrs- und Stadtplaner Bernd F. Künne begann vor acht Jahren, zeitgenössische Fotografie zu sammeln. Seine Kollektion umfasst inzwischen 1.100 Arbeiten von etwa 70 Künstlern und zählt zu den bedeutendsten der Gegenwart. Vertreten sind typologisch-dokumentarische Arbeiten der Becher-Schule, aber auch subjektive deutsche Fotografie von Matthias Hoch, Michael Schmidt oder Timm Rautert. Amerikanische und europäische Tendenzen repräsentieren Miriam Backström, Tom Wood oder Stephen Shore.

INTERVIEW – SABINE KUNZ

Kunz: Herr Künne, wann beginnt das Sammeln?

Künne: Als es über 200 Bilder waren und damit deutlich mehr, als ich aufhängen konnte, glaube ich, dass es eine Sammlung wurde. Man braucht die Bilder grundsätzlich nicht alle, man fängt aber an, das zu ordnen, zu dokumentieren und zielstrebig zu ergänzen. Ich habe mich die ersten Jahre gesträubt, die Arbeiten als Sammlung zu bezeichnen. Sammeln hat ja auch etwas Negatives – es belastet, weil man Verantwortung übernimmt, und kostet Zeit.

Sie sagten einmal, bei manchen Käufen kommt man zu spät, und bei anderen ist man zu schnell.

Mit zu spät meinte ich, man sieht Arbeiten in der Galerie, und die sind schon vergriffen. Da werden zuerst wichtige Museen bedient und dann bedeutende Sammler. Mir ist das vor längerer Zeit einmal mit Gursky so gegangen. Da musste man sich auf einer Liste eintragen, um vorzubestellen. Es fällt mir aber schwer, Arbeiten zu kaufen, die man nicht oder nur auf einer Abbildung sehen kann.

Teile Ihrer Sammlung touren manchmal durch deutsche Ausstellungshäuser. Was haben Sie davon?

Wenn andere die Fotos zusammenstellen, erscheint meine Sammlung wieder in einem neuen Kontext. Ich gehe mit den Arbeiten um, kann überlegen, ob ich etwas ergänze. Es gibt eine Ausstellungsreihe in der Kunsthalle in Bremen, die nächste mit Tom Wood. Da mache ich die Hängung weitestgehend allein. Das Haus sagt eher nichts dazu, ist voller Vertrauen.

Ist das auch für die Museen von Vorteil?

Ich denke schon. Die Häuser zahlen Transport und Versicherung – das ist es. Vielleicht hätten einige Museen und Kuratoren lieber ihre eigene Auswahl, unbelastet von der Vorauswahl durch meine Einkäufe. Aber da die Museen immer weniger Geld haben, wird das eher in den Hintergrund gedrängt.

Sie haben früher Malerei gekauft und sind vor acht Jahren auf Fotografie umgestiegen. Warum ist das Medium in dieser Zeitspanne so populär geworden?

Ich glaube, dass wir zur Fotografie einen guten Zugang haben. Es haben einfach alle mal fotografiert. Vielleicht ist es auch nicht so kompliziert wie manche Malerei. Bei mir hat es auch damit zu tun, dass Fotografen nur sehr, sehr selten abgehobene Persönlichkeiten sind. Sie kommen oft mehr aus dem Handwerk als andere bildende Künstler. Und als ich zu sammeln begonnen habe, konnte man zu ganz normalen Preisen wirklich supergute Qualität kaufen. Für das Geld hätte ich niemals etwas gleichwertiges Gemaltes bekommen.

Findet man derzeit überhaupt noch Schnäppchen?

Vor einigen Jahren noch haben hervorragende Arbeiten von amerikanischen Fotografen 1.000 Dollar gekostet. Dagegen langen heute einige junge Fotografen kräftig zu. Die sind deutlich schlechter und werden vielleicht von ihren Galeristen in eine hochpreisige Richtung gedrängt. 5.000 oder 6.000 Euro für erste Arbeiten finde ich unangemessen. Auch die jungen Becher-Schüler sind da ziemlich selbstbewusst. Ich glaube, dass die Qualität einiger Fotografen in der nächsten Zeit stärker hinterfragt werden wird.

Halten Sie den zeitgenössischen Fotomarkt generell für überbewertet?

Man kann nur schwer den absoluten Wert einer Arbeit einschätzen. Wenn ich jedoch einen Lorca diCorcia für 8.000 Euro gekauft habe, und im nächsten Jahr soll der 18.000 Euro kosten, hab ich zwar einerseits ein Gefühl der Freude. Aber noch mehr, dass da etwas aus dem Rahmen geraten ist. Manche Galeristen machen ihre Preise nach selbst ersonnenen Weltmarktpreisen. Das hat auch mit dem amerikanischen Markt zu tun – wenn hier die Arbeit 1.500 Euro kostet, dann zahlen Sie dafür in den USA 3.000 Dollar. Wenn etwas günstig ist, hat das für die Amerikaner keinen Wert.

Wie reagieren Sie darauf?

Irgendwann laufen die Preise weg, und man kann als Sammler nicht mehr mithalten oder weigert sich zu kaufen. Betrachtet man das ganze rein wirtschaftlich, müsste man es ohnehin anders machen. Dann hätte ich nur wenige Arbeiten von Spitzenkünstlern kaufen dürfen, die zur Seite packen müssen und warten, bis sie teuer werden. (Seufzt) Na ja, aber das ist langweilig.

Der Ausstellungskatalog »Yet Untitled. Sammlung Bernd F. Künne« ist 2003 im Verlag Hatje Cantz erschienen.

»Wir reden von Kunst und nicht von einem Foto«

Lange bevor der zeitgenössische Fotomarkt boomte, setzte der Berliner Galerist Max Hetzler auch auf Künstler, die mit dem Medium Fotografie arbeiten. Thomas Struth etwa hat er seit den frühen achtziger Jahren im Programm. Neben malerischen und skulpturalen Positionen vertritt er Fotokünstler wie Larry Clark, Rineke Dijkstra oder Axel Hütte.

INTERVIEW – SABINE KUNZ

Kunz: Herr Hetzler, wird die Fotokunst überschätzt?

Hetzler: Die guten Künstler mit Sicherheit nicht. Nehmen wir Thomas Struth. Der musste 20 Jahre arbeiten, um dort hinzukommen. Jetzt steht er da, wo er hingehört. Man muss ihn mit einem Künstler seiner Generation vergleichen – etwa Jeff Koons. Da hat er noch lange nicht die Preise. Wenn man die Auflage hochrechnen würde und alle verkauft wären, dann vielleicht. Das Verdienst von Struth, Ruff, Hütte oder Gursky ist, dass sie dieses Medium in der Kunstwelt international kompatibel gemacht haben. Und wir von Kunst reden und nicht von einem Foto.

Was unterscheidet dann eine Kunst- von einer Fotogalerie – etwa die Berliner Galerien Hetzler, Kicken und Camerawork?

Der Unterschied ist tatsächlich da, weil wir uns nicht mit klassischer Fotografie oder mit dem weiten Feld von Fotografen beschäftigen. Unsere Künstler, die mit Fotografie arbeiten, haben eine andere Tradition. Sie stehen mit beiden Beinen in der Kunstgeschichte. Deshalb wird Struth nicht bei Kicken ausstellen wollen, so sehr er Sander oder Bloßfeld schätzt.

Und Pressefotografien, gehören die auf den Kunstmarkt?

Pressefotografie ist Auftragsfotografie, da gibt es gute, schlechte und herausragende Fotografen. Aber Auftragsbilder, ob für Geo oder Stern, haben in einem Museum nichts zu suchen. Das wäre genauso, als wenn ich sagen würde, ein Plakatmaler ist so gut wie Jasper Johns oder ein Werbegrafiker so gut wie Jeff Koons. Es gibt einen Unterschied zwischen Gebrauchskunst und Kunst. Was sich verwischt, ist high and low.

Konkurrieren Sie mit Auktionshäusern?

Der Künstler arbeitet, der Galerist begleitet ihn – in der Regel viele Jahre. Auktionshäuser leben von Scheidungen, Todesfällen und Pleiten. Es ist deren Job, das zu verwerten. Und das machen sie gut.

Ende der neunziger Jahre hatte man den Eindruck, dass junge Künstler nur noch fotografieren…

Viele dieser Künstler erreichen aber bei weitem nicht diese Qualität und die Spitzenwerte auf dem Markt. Wenn etwas erfolgreich ist, dann gibt es tausend andere, die das auch machen wollen. Das Medium ist – ökonomisch gesehen – zumindest am Anfang einfach zu handhaben. Bei der Malerei müssen die Künstler Leinwand, Keilrahmen und Farbe kaufen. Und wenn das ordentlich sein soll, kostet das schon mal so viel wie eine billige Kamera. Bei 20 Bildern im Jahr geben sie das Geld aus für 20 Kameras – ich übertreibe jetzt.

Warum haben sich gerade die Becher-Schüler so etablieren können?

Weil sie offensichtlich die Besten sind. Bei den Bechers haben in den letzten zwanzig Jahren Hunderte studiert. Aber es ist immer nur ein Bruchteil von Künstlern, die sich letztlich durchsetzen: drei, vier, fünf aus jeder Klasse. Wenn Sie so wollen, ist das dann eine geringe Ausbeute. Allerdings fällt mir von den tausend Studenten, die beim Maler Gotthard Graubner studiert haben, im Moment keiner ein, der international so erfolgreich wäre. Insofern haben die Bechers tatsächlich etwas bewirkt.

Fotografie ist inzwischen allgemein akzeptiert und trotzdem in deutschen Museen oft unterrepräsentiert …

Deutsche Museen haben sich ja in den Achtzigern geweigert, Fotografie zu kaufen – weil sie das nicht als Kunst angesehen haben. Die sagten einfach, ich weiß gar nicht, wer bei mir zuständig ist. Das passt weder in die grafische Sammlung noch sonstwohin. Da gab es nur eine Hand voll kleinerer Museen, die das ernst genommen haben. Die anderen wachen erst auf, wenn Künstler Erfolg haben. Trotzdem habe ich bis heute noch keine Übersichtsausstellung in einem deutschen Museum von Struth gesehen, aber sehr wohl in Amerika.

Dafür haben Unternehmen sich teilweise beachtliche Fotosammlungen zugelegt.

Denen geht es ja nicht um die Kunst. Fragen Sie doch mal Herrn Schrempp von Daimler-Chrysler, ob er überhaupt weiß, was er in der Firmensammlung hat. Das weiß er natürlich nicht. Da sitzen die Herren halt zusammen und sagen, wir müssen was tun, wie wär‘s mit Kunst, das hat ja ein gutes Image, da tut man keinem weh. Jetzt machen wir mal Fotografie, mal dieses oder jenes. Ich finde, Firmen sollten besser die Finger davon lassen. Kunst gehört nicht in Sparkasseneingangshallen. Wenn sie etwas tun wollen, dann sollen sie Museen unterstützen.

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Sabine Kunz
ist Kunsthistorikerin und Redakteurin in Hamburg. Sie schreibt als freie Autorin für Magazine wie Art und Kulturspiegel und arbeitet für Ausstellungshäuser im Bereich der zeitgenössischen Kunst.