Magazin #29

Freiberufler müssen Druck ausüben

Brigitte Zypries (SPD) hat seit 1998 die Entwicklung des Urheberrechts begleitet und gestaltet. Im Exklusiv-Interview mit dem FREELENS Magazin spricht sie über die Verteilung des Kuchens, über angemessene Vergütung und den Erfolg von Klagen

Interview – Kai Schächtele & Matthias Spielkamp
Fotos – Dominik Butzmann

FREELENS: Frau Zypries, als Sie vor sieben Jahren Ministerin geworden sind, war das Urhebervertragsrecht gerade in Kraft getreten. Danach begannen die verschiedenen Novellierungen. Sind Sie mit dem Ausgleich, der seitdem zwischen Verwertern und Kreativen erreicht worden ist, zufrieden?

Brigitte Zypries: Nein, das muss ich ganz klar sagen. Ich bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Gemeinsame Vergütungsregeln gibt es bislang nur für Autoren belletristischer Werke. Andere Verbände haben für ihre jeweiligen Branchen leider noch keine Einigung erzielen können.

Was umso mehr verwundert, als es in dem Geschäftsfeld, in dem wir aktiv sind, eigentlich Partner sein sollten, die zusammenarbeiten.

Es geht schlicht und ergreifend um die Verteilung des Kuchens. Und da sagt jeder: Das größere Stück gehört mir. Und ich bin nicht bereit irgendetwas abzugeben.

Das Gesetz geht von zwei gleichstarken Verhandlungspartnern aus; der Freiberufler mit seinen fünfstelligen Umsätzen ist vor dem Gesetz genauso ein Unternehmer wie ein Medienkonzern mit Milliardenumsatz. Denken Sie, dass Sie genug getan haben, um einen Ausgleich zu finden, der nicht einfach darauf vertraut, dass der Markt das alles regelt?

Ich teile Ihre Einschätzung, dass der Markt das – im Moment jedenfalls – noch nicht alles zufriedenstellend regelt. Aber was die gesetzliche Ausgangslage angeht: sie geht ja gerade nicht von einer Situation aus, in der sich beide Seiten auf Augenhöhe begegnen. Im Gegenteil. Das Gesetz vertraut nicht auf den Markt, sondern gibt den Urhebern einen Anspruch auf angemessene Vergütung – unabhängig davon, was die Verhandlungspartner vereinbart haben. Das Gesetz bietet gerade wegen des bestehenden Ungleichgewichts eine Lösung auf zwei Ebenen. Den individuellen Weg über einen Anspruch jedes Urhebers und daneben einen kollektiven Ansatz über die gemeinsamen Vergütungsregeln. Aber man muss sich schon überlegen, ob man nicht gesetzgeberisch Konsequenzen daraus ziehen muss, dass es in den vergangenen Jahren überwiegend nicht gelungen ist, zu gemeinsamen Vergütungsregeln zu kommen – zu Vereinbarungen, die von beiden Seiten akzeptiert werden können.

Wäre es nicht möglich, so nachzujustieren, wie es der Gesetzgeber eigentlich vorgesehen hatte? Zum Beispiel bei den Verhandlungen über die angemessene Vergütung den Weg vor Gericht zu ermöglichen?

Wir haben ja schon heute ein obligatorisches Schlichtungsverfahren im Gesetz. Jede Seite kann wegen der Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln eine Schlichtungsstelle anrufen. Die andere Seite kann sich dem Verfahren auch nicht entziehen, selbst wenn sie dann im Ergebnis den Schlichtungsvorschlag ablehnt. Und wir sollten nicht vergessen, dass der Schlichtungsvorschlag in einem späteren gerichtlichen Verfahren eines Urhebers wegen der Zahlung einer angemessenen Vergütung indizielle Wirkung haben kann. Für die Frage, was ist überhaupt eine angemessene Bezahlung? Es gibt aber leider noch viel zu wenige Fälle, in denen überhaupt die Schlichtungsstelle angerufen wurde. Dieses System jetzt schon zu ändern, erscheint mir deshalb zu früh. Der Weg zum Gericht steht dem einzelnen Urheber schon jetzt offen. Er kann seinen Anspruch auf angemessene Vergütung durch eine Klage geltend machen. So läuft das gerade bei den Übersetzern.

Das Problem ist aber, dass sie es einzeln tun müssen. Wer klagt, geht das Risiko ein, keine Aufträge mehr zu bekommen.

Das kommt drauf an. Es gibt Fälle, in denen der Verlag den Autor braucht und sich deshalb auf eine sinnvolle Weise mit ihm einigen wird. Aber vielleicht müssen sich die Urheber da auch besser zusammenschließen nach dem alten Motto: gemeinsam sind wir stark!

Ist denn aber nicht der Gesetzgeber gefordert, dort eine Balance herzustellen, wo es der Markt ganz offensichtlich nicht kann?

Genau das hat er ja mit Reform des Urhebervertragsrechts getan. Aber man muss einer neuen Regelung schon ein bisschen Zeit lassen in der Praxis zu wirken. Erst dann kann man solide beurteilen, ob die Regelung auch die Wirkungen zeigt, die man sich von ihr versprochen hat.

Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau. Ich sehe gerade in letzter Zeit erste positive Entwicklungen, zum Beispiel bei den Übersetzern. Die Verlagsgruppe Random House und der Vorstand des Verbands deutschsprachiger Übersetzer hatten sich Mitte vergangenen Jahres auf gemeinsame Vergütungsregeln geeinigt, die jedoch nicht die Zustimmung der Mitgliederversammlung des VdÜ fanden. Und auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger hat jetzt erstmals ein konkretes Angebot vorgelegt, auch wenn dies bei den Journalisten auf große Ablehnung gestoßen ist. Man sollte diese positiven Entwicklungen jetzt nicht durch eine vorschnelle Rechtsänderung abbrechen. Im Übrigen – wenn sie mal die Verlage fragen, bekommen sie dort zu hören: Wir sind in der augenblicklichen Krise die Schwächeren, denn uns geht es wirtschaftlich so schlecht. Jeder Freelancer könne seine Arbeit überall anbieten, aber sie müssten sehen, dass sie ihr Produkt verkauft bekommen.

Das ist ja für Springer ein besonders interessantes Argument: Deren urheberrechtsfeindliche AGB werden vor Gericht zerpflückt, und gleichzeitig schütten sie an die Aktionäre eine Rekorddividende aus.

Ja, in der Tat.

Wäre es eine Möglichkeit, Geschäftsbedingungen unterschiedlichen Kriterien zu unterwerfen, je nachdem, ob jemand Waschmaschinen verkauft oder urheberrechtlich geschützte Werke?

Nein, das wäre der falsche Ansatz. Die Probleme müssen im Urhebervertragsrecht gelöst werden und nicht in Regelungen über allgemeine Geschäftsbedingungen. Und außerdem werden AGB bereits heute im Lichte des Urheberrechts von Gerichten überprüft. Eine Klausel ist unwirksam, wenn sie einen Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Und für die Frage, was unangemessen ist, muss der Richter zum Beispiel das Prinzip der angemessenen Vergütung des Urheberrechts berücksichtigen.

Wenn ein Medienhaus einem Journalisten AGB vorlegt, die vorsehen, dass ein ganzer Katalog von Rechten abgetreten wird, dann sind die für den Journalisten auf Dauer weg.

Ja. Das muss er sich dann entsprechend bezahlen lassen. Und der Umfang der übertragenen Rechte wird natürlich vom Gericht auch bei einer Klage auf Zahlung der angemessenen Vergütung berücksichtigt.

Leicht gesagt, doch die Realität sieht anders aus. Wer dem Verlag nur einzelne Rechte abtritt, wird dort nicht auf Begeisterung stoßen und riskiert womöglich künftige Aufträge.

Aber das ist das Dilemma, das wir in privatrechtlichen Beziehungen immer haben, nicht nur bei freiberuflichen Journalisten oder Fotografen. Die Verlage brauchen diese Rechte unter Umständen gar nicht alle; es gibt in den meisten Fällen aber einen formalisierten Standardvertrag. Viele der darin aufgeführten Rechte nutzen die Verlage überhaupt nicht.

Der Justitiar eines großen Presseverlags sagte uns, die Verlage bräuchten alle Rechte, um auch in Zukunft handlungsfähig zu sein, so dass langfristig die Lösung nur darin liegen kann, dass die Honorare steigen.

Dann fragt man sich, warum er sie nicht gleich erhöht.

Die Verlage werden das erst tun, wenn sie dazu gezwungen werden.

Ja, die Urheber müssen Druck aufbauen. Mit anderen Worten: Die Freiberufler müssen sich noch stärker zusammenschließen und Druck ausüben auf die Verlage – wie es etwa die Drehbuchautoren in den USA getan haben. Das rechtliche Instrumentarium haben wir ihnen an die Hand gegeben.

Derweil schaffen die Verlage Fakten. Beispiel Onlineverwertung: Diese Verwertungsart haben die Verlage einfach mit ihrer Macht durchgesetzt. Die Online-Verwertung ist mit einem einfachen Nutzungsrecht nie vereinbart gewesen. Aber dadurch, dass es alle Verlage seit Jahren machen, kommt man nicht mehr dagegen an.

Diese Entwicklung hin zum Online-Markt haben die Autoren und Fotografen vielleicht nicht ernst genug genommen, das ist in vielen anderen Branchen auch passiert. Wenn man jahrelang die Online-Nutzung duldet, obwohl man die Rechte dazu nicht übertragen hatte, ist es sicher schwer, daran noch etwas zu ändern. Das hat dann aber nicht der Gesetzgeber zu verantworten.

Oder das Leistungsschutzrecht, ein derzeit heiß diskutiertes Thema. Haben Sie eine Vorstellung davon, was die Verlage damit erreichen wollen? Wir nicht.

Ganz einfach: sie wollen ihren Anteil vom Kuchen.

Aber wie soll es in der Praxis funktionieren?

Die Verlage wollen schlicht und ergreifend auch mit ihren Online-Auftritten Geld verdienen können. Und nicht nur zusehen müssen, wie andere das tun. Fakt ist: Die Verlage wollen sich zu diesem Zweck die Zusammenstellung der Zeitung – also ihren organisatorisch-finanziellen Aufwand – als schutzwürdige Leistung anerkennen lassen. Und dafür wollen sie Geld. Aber nicht auf Kosten der Urheber, sondern von den Nutzern, vor allem den gewerblichen.

Das läuft auf eine Abgabe auf Links im Internet hinaus. Kann das im Sinn des Gesetzgebers sein?

Ziel einer möglichen gesetzlichen Regelung kann sicher nicht eine Abgabe auf Links im Internet sein. Wenn man überhaupt ein Leistungsschutzrecht für Verleger einführt – was ja noch völlig offen ist – dann muss man erst mal über dessen konkrete Ausgestaltung diskutieren.

Wenn durch ein Leistungsschutzrecht Zeitungsverlage geschützt werden sollen, dann muss man sich natürlich fragen: Müsste es nicht eigentlich vielmehr darum gehen, Journalismus zu schützen?

Nein, das sind ja zwei Paar Schuhe. Der Journalismus, besser die Journalisten werden durch ihr Urheberrecht geschützt. Die Verlage meinen aber, dass sie auch eine eigenständige Leistung erbringen. Journalisten schreiben einen Artikel, dafür bekommen sie Geld. Dass im Ergebnis aber eine bunte »Seite drei« daraus wird, auf der alle Facetten beleuchtet werden, das ist die eigene Leistung des Verlages. Die Verleger haben mir gegenüber aber immer wieder betont, dass sie die Leistungsschutzrechte nur zusammen mit den Journalisten wollen und nicht gegen sie.

Die Verlage argumentieren auch: Der Beitrag des Einzelnen erhält seine Glaubwürdigkeit erst dadurch, dass er unter einer glaubwürdigen Marke erscheint.

Es ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen, dass viele Leser einen Zeitungsartikel nur lesen, weil er in einer bestimmten Zeitung steht und nicht einer von vielen Texten im Internet ist. Angesichts der unendlichen Datenmenge im Internet braucht man viel mehr als früher eine Instanz, die eine Vorauswahl trifft. Und das leisten zum Beispiel Zeitungsverlage.

Sie sprachen davon, dass der zu verteilende Kuchen dadurch größer werden könnte, dass Konsumenten wieder mehr für Journalismus auszugeben bereit seien. Momentan passiert das Gegenteil. Glauben Sie, dass wir langfristig eine groß angelegte Debatte darüber brauchen, welchen Wert Journalismus für unsere Gesellschaft hat und was uns dieser Journalismus wert ist?

Aber sicher. Und diese Debatte brauchen wir jetzt – nicht erst auf lange Sicht.

Wie kann diese Debatte in Gang gesetzt werden? Ist die Politik gefordert?

Nicht nur. Die Politik ist mit Sicherheit auch gefordert, sie muss ja auch entsprechende Entscheidungen treffen. Wir müssen uns ganz generell die Frage stellen, wie es mit dem Internet weitergeht, und wie zum Beispiel Inhalte finanziert werden sollen. Ein Vorschlag ist eine Kulturflatrate. Das ist aber nicht unproblematisch und kann nicht ohne Blick auf Rundfunkgebühren diskutiert werden. Wir zahlen in Deutschland sowieso schon knapp 20 Euro im Monat für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und wenn wir jetzt noch die Flatrate oben drauf setzen, sind wir schnell bei deutlich höheren Beträgen, die jeder zahlen müsste, um überhaupt an Informationen zu kommen. Das wirft in einem sozialen Rechtsstaat zahlreiche Probleme auf, schon wegen unserer Verfassung und wegen des Rechts auf freien Zugang zu Informationen. Das muss auch für sozial Schwächere gewährleistet bleiben. Diese Debatte wird parallel zur Diskussion zu führen sein, wie es mit den Zeitungsverlagen weitergeht.

Wäre eine öffentlich-rechtlich organisierte Presselandschaft in Ihren Augen eine Lösung?

Es ist sicher nicht zu allererst Aufgabe des Staates, attraktive Marktmodelle zu entwickeln. Allerdings darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass Meinungspluralismus in einer funktionierenden Demokratie unverzichtbar ist. Die besondere Rolle der Medien, deren Freiheit auch verfassungsrechtlich ausdrücklich gewährleistet wird, rechtfertigt sich aus ihrer besonderen Bedeutung für den demokratischen Willensbildungsprozess. Wir müssen deshalb heute und in Zukunft darauf achten, dass die Medienlandschaft auch weiter in der Lage ist, dieser Aufgabe gerecht zu werden.


Kai Schächtele

arbeitet für Magazine wie Neon und brand eins, war Mitinitiator von Freischreiber und ist aktuell der Vorsitzende des Verbands.

Matthias Spielkamp
arbeitet als Journalist, Referent und Berater in Berlin und führt das Weblog immateriblog.de, Projektleiter bei iRights.info.