Ein wunderbares Medium!
Seit Juni 2012 betreibt Richard Sporleder die Onlinebuchhandlung »Café Lehmitz Photobooks«. Er setzt auf Institutionen, Sammler und ausgesuchte Kunden. Und vielleicht wird aus ihm noch ein Galerist.
Text – Frank Keil
Fotos – Robin Schäfer
Richard Sporleder ist in diesem Jahr 46 Jahre alt geworden, und er hat einen Sohn, der jüngst eingeschult wurde. Also hätte er allen Grund, sich auf die sichere Seite des Berufslebens zu schlagen, eine Festanstellung anzustreben inklusiver geregelter Arbeits- und Urlaubszeiten. Etwa als Kunsthistoriker, als Restaurator, als Pressereferent – er hat diese Jobs schon gemacht. Aber sein Herz schlägt nun mal für das ambitionierte Fotobuch; für Bücher in kleinen Auflagen, für das Experiment, für Editionen im Selbstverlag. Der Name seines 2012 gegründeten Online-Unternehmens: Café Lehmitz Photobooks. Eine Hommage an das gleichnamige Fotobuch des Schweden Anders Petersen, aber auch ein Versprechen, jene heimelig-raue Atmosphäre nicht zu vergessen, die einst im 24-Stunden-Café Lehmitz auf der Hamburger Reeperbahn geherrscht habe dürfte. Sporleder sagt: »Das Fotobuch ist ein wunderbares Medium.« Und das ist nicht so daher gesagt, er meint es ganz und gar ernst.
Dabei war diese Leidenschaft nicht unbedingt geplant, als er einst in Bonn Kunstgeschichte studierte. »Im Studium ging es um die Renaissance, um die Architektur des Barocks – Fotografie spielte keine Rolle.« Doch dann sitzt er in einer Vorlesung über Fotografie und für Sporleder öffnet sich eine neue Welt. Dass er zusammen mit Christoph Schaden studiert, dessen Bruder Markus Schaden den Schaden Verlag und die Fotobuchhandlung schaden.com führt – perfekt. Am Ende eines langen Weges steht das Angebot, in die in Köln ansässige Buchhandlung einzusteigen. »Ich habe mir das angeschaut und irgendwann war ich so weit und habe gesagt: Okay, ich mach das mal und war sofort infiziert.«
Heute, Jahre später und nach dem Ende von Schaden.com als realer Buchhandlung, in der selbstgewählten Selbstständigkeit angekommen, definiert er unerschrocken seine Aufgabe so: »Ich möchte für ein Fotobuch den richtigen Kunden finden und für den Kunden das richtige Fotobuch.« Also muss er sie kennenlernen, muss möglichst genau ihre jeweiligen Eigenarten erkunden, so dass sich seine Leidenschaft auch wirtschaftlich trägt.
Das erste Feld, auf das sich Richard Sporleder konzentriert: die Institutionen. Mithin Museen, Kunsthäuser, Hochschulen, Fachhochschulen, beziehungsweise deren Bibliotheken, die man aufsucht, wenn man beruflich oder privat ein Fotobuch ausleihen oder es sich wenigstens anschauen will. Sie ruft er an, sie schreibt er an; zu ihnen fährt er von Köln aus in seinem VW-Bus, berät und empfiehlt, wie jüngst an der Fachhochschule Düsseldorf: Er war eingeladen, vor Studenten seine Fotobuchauswahl vorzustellen, Buch für Buch zu begründen, es wurde diskutiert, es wurde geblättert, es wurde widersprochen – und dann wurde bestellt. Eine ziemlich optimale Verkaufssituation, kommen doch so Kunst, Lehre und Vorlieben zusammen und Kundennachwuchs zeichnet sich ab.
Es bleibt ein schwieriges Geschäft: Institutionen sind schwerfällig. Manchmal muss er ein halbes, ein dreiviertel Jahr telefonieren, bis ein Termin steht. Hat es geklappt, wie neulich in einer FH-Bibliothek in Darmstadt, muss er erst vermitteln, wie genau das Fotobuchgeschäft funktioniert und das der Interessierte nicht alle Zeit der Welt hat, denn vor allem die Fotobücher kleinerer Verlag, die schnell vergriffen sind, steigen entsprechend schnell im Preis: »Ich hatte verschiedene Bücher vorgestellt, es gab Interesse, es musste Rücksprache gehalten werden, wie viel Geld ausgegeben werden kann, und als sich die Bibliothek nach zwei, drei Wochen wieder meldete und bestellen wollte, musste ich sagen, dass einige Bücher zu dem Preis nicht mehr zu haben sind, den sie damals gekostet haben.« Das ist die eine Schiene.
Die andere ist und bleibt der private Kunde. Der Freak, der nachts um zwei, drei Uhr im Internet unterwegs ist und das Besondere sucht. Der Sammler, der mit Fotobüchern spekuliert. Der Sammler, der erst zuschlägt, wenn für ein Fotobuch ein atemberaubender Preis verlangt wird. Der Sammler, der sagt: »Tut mir leid, ich habe keinen Platz mehr, aber zeigen Sie doch mal, was Sie haben.« Und dann alle, die vielleicht mal Sammler werden wollen oder deren Interesse generell weiter geht, als das es in den Buchhandelsketten befriedigt werden kann. Die Zeiten, wo der Fotobuchhändler, vor Wissen platzend, in seinem Laden stand und geduldig abwarten konnte, seien übrigens lange vorbei: »Der Kurator, der Material für sein Arbeitsfeld braucht; der Fotograf, der sich auf Stand bringen will; der Hobbyfotograf, der ganz für sich nach Anregungen und Bestätigung sucht – jeder Kunde ist heute auf seinem Feld ein Profi.« Und will entsprechend dort abgeholt und ernst genommen werden. Sporleder sagt: »Heute bekommt man nur durch Preisgabe von Wissen etwas zurück.«
Sorgsam gepflegt ist seine Webseite, sie ist schließlich die Panoramascheibe seiner Unternehmung; wer hier das eine und andere mal gelegentlich etwas in den Warenkorb legt, schaut gerne wieder vorbei: Das Cover des Buches, Titel, Preis, dahinter geschaltet eine kurze Empfehlung auf Deutsch und Englisch. Langfristig will er eigene Kurztexte schreiben, statt die manchmal blumigen Inhaltsangaben der Verlage oder Herausgeber zu zitieren. Das ist schlicht eine Frage der Kapazitäten. Dazu gibt er Hinweise, die über das kunstwissenschaftliche Einordnen hinausgehen und auf den Kunden als Genießer, als Trüffelsucher abzielen: »Die Fotos sind auf matt-weissem Papier gedruckt; die auf das schwarze Papier gedruckte, silberne Schrift des Interviews wirkt geradezu edel«, ist da zu lesen. Oder: »Diese Ausgabe war lange Zeit vom Markt verschwunden und nur für viel Geld zu erwerben – nun sind einige Exemplare wieder erhältlich, nachdem der legendäre amerikanische Buchgestalter wieder ›etwas‹ Geld brauchte und zu diesem Zweck seinen ›Keller‹ durchstöbert hat. Was für ein Glück!«, wie er das jüngst wieder aufgetauchte Fotobuch »Cyclops« von Albert Watson empfiehlt. Hin und wieder finden sich am Ende kurze YouTube-Videos und es ist etwa in bester Schwarz-Weiß-Manier zu sehen, wie sein Idol Anders Petersen im italienischen Erdbebengebiet bei Bologna für sein Projekt »Emilia« unterwegs ist und die Bewohner in ihren mühsam abgestützten Wohnungen ablichtet. Oder Michael Schmidt erklärt schön berlinernd, dass sein Projekt »Lebensmittel« auch ein Parforceritt durch die Fotografiegeschichte sei und er im Grunde ein einziges, großes Bild abliefere, das er dann für Ausstellung und Fotobuch nur ›kaputtjemacht‹ habe.
Dass alles will er ausbauen, gerade denkt er über einen speziellen Kunden-Login auf seiner Seite nach: Nur wer zum engeren Kundenkreis gehört, kommt eine Stufe weiter. Oder die Überlegung, einen Showroom anzumieten, in dem sich etwa eine Handvoll Sammler treffen, die sich austauschen und sich dort mit dem rühmen können, was sie selbst an Schätzen horten. Konkurrenz, Neid sei da nicht zu befürchten, zu unterschiedlich sei das, was Fotobuchexperten sammeln. Auch möglich: Wer ein Fotobuch plant, zeigt Fotobuchinteressierten seinen Dummy, erprobt vor Ort, ob das, was ihn drängt, auch andere beeindruckt. Ein Sofa, auf dem Fotografen sitzen und von ihren Projekten erzählen: Vieles ist denkbar, ohne gleich einen klassischen Ausstellungsbetrieb aufziehen zu wollen. Sporleder sagt: »So wie das Fotobuch immer mehr zum Kunstobjekt wird, wird auch der Fotobuchhändler immer mehr zum Galeristen.« Immer wieder denkt er so ins Große, schaut auf das Machbare, reduziert wieder. Er sagt: »Ich bin noch in der Aufbauphase; ich gebe mir Zeit, bis alles perfekt steht.« So wie er auch nach dem Weggang von Schaden.com vieles ausprobieren musste: »Auf der ersten Fotobuchmesse – der F/Stop in Leipzig –, auf der ich mich neu präsentiert habe, hatte ich mehrere Tische zusammengestellt, die sechs Meter ergaben, um alles zu zeigen, was ich im Angebot hatte. Das war nicht schlecht, um mich wieder auf dem Markt zu zeigen, aber es war recht aufwändig. Bei der nächsten Messe, während der internationalen ›Les Rencontres d’Arles‹ in Südfrankreich, trat ich nur mit einem Tisch auf, auf dem lagen nun zwei Bücher – und ein Flyer, mit dem ich mich vorgestellt habe.«
Richard Sporleder sagt: »Ich bin fest davon überzeugt, das mein Konzept funktioniert.« Er sagt: »Auch ökonomisch.«
Info
Café Lehmitz unterwegs
Bücher zum Anfassen vor Ort gibt es in den nächsten Monaten bei folgenden Veranstaltungen:
31. Januar bis 2. Februar 2014
Printed Matter’s L.A. Art Book Fair, Los Angeles
3. bis 6. Juni 2014
Bibliothekartag Bremen
7. bis 15. Juni 2014
F/Stop Festival in Leipzig
7. bis 14. August 2014
Les Rencontres d’Arles
16. bis 21. September 2014
Photokina
13. bis 16. November 2014
Paris Photo
Immer erreichbar unter:
www.cafelehmitz-photobooks.com
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Frank Keil
arbeitet seit über 20 Jahren als Kulturjournalist für verschiedene Zeitungen und Magazine, u.a. für die Taz-Nord, die Jüdische Allgemeine, Chrismon, Mare und Nordis. Gelegentlich ist er CvD des Straßenmagazins Hinz & Kunzt.