Die Namenlosen
Editorial – Kay Dohnke
Früher, so besagt die Legende, soll es Zeiten gegeben haben, da Nachrichtenagenturen ihren Bildlieferanten angemessene Tagessätze bezahlten. Dann reduzierten die Firmen das Honorar, wollten dafür aber nun allein über die Fotos verfügen. Inzwischen behaupten sie, ihnen müsse alles Material gehören, das während eines Jobs entsteht. Wann fordern sie Geld dafür, dass man überhaupt für sie arbeiten darf?
225, 193, 101, 45: Das sind die Gesamtzahlen der Fotos, die AP, dpa, Reuters und ddp in der dritten Oktoberwoche 2000 an fünf große bundesdeutsche Tageszeitungen verkaufen konnten; alle anderen Bildagenturen erzielten deutlich geringere Werte, operieren aber zweifellos in anderen Marktsegmenten erfolgreicher. Die Arbeiten unabhängiger freier Fotografen finden sich im überregionalen Zeitungsteil nur extrem selten – deutliches Zeichen, wie stark der Bildermarkt auch international längst monopolisiert ist und dass es kaum noch jemand schafft, allein die nötige Logistik zur schnellen Bildübermittlung aufzubauen. Der Trend ist klar: Ein paar wenige Agenturen kommen immer besser ins Geschäft und erzielen steigende Gewinne, allerdings ohne dass sich dies automatisch auch im Einkommen der Fotografen widerspiegeln würde. Warum auch, mögen die Controller lakonisch fragen – es gibt doch genügend Fotografen, die noch zu den schlechtesten Bedingungen rausgehen und den Bilderhunger der Medien stillen helfen…
Welche Fotografen? Konkret ist das schwer feststellbar, denn zu den dürftigen Lohn- und fragwürdigen Rechtsverhältnissen legen die Agenturkunden ihrerseits noch eins obendrauf – es herrscht die verbreitete Unsitte, in den Bildunterschriften die Namen der Urheber nicht zu nennen. Fast gewinnt da der Scherz an Plausibilität, die Abkürzung ‚AP‘ stünde in Wirklichkeit für ‚Anonymer Photograph‘.
Je stärker die Agenturen den Markt für Pressefotos dominieren, desto schwerer haben es die Einzelkämpfer, in Preis und Angebot konkurrenzfähig zu bleiben – Karrieren wie die eines Jupp Darchinger, dessen Werk einen faszinierenden Querschnitt durch deutsche Politgeschichte bildet, wird es künftig wohl nicht mehr geben. Die Auftraggeber der oft in großen Scharen auftretenden Kolleginnen und Kollegen fordern längst alle entstehenden digitalen Bilder ein, löschen dann aber fix alles, was nicht schnell verkäuflich ist.
Immer mehr Rechte für immer weniger Geld? Darin klingt die derzeit populäre Mentalität jener Kids an, die per Napster oder Gnutella urheberrechtlich geschützte Musik im Internet kostenlos tauschen – in der so oberflächlichen wie arroganten Annahme, „die da“, also die Urheber und Vertriebsfirmen, verdienen doch eh’ genug und sind alle stinkereich, also nehmen wir uns einfach, was wir haben wollen. Und das natürlich gratis. Die Kids haben diese Anspruchshaltung nicht erfunden, sondern nur gut hingeschaut – auch sonst gibt es viele, die urheberrechtlich geschütztes Eigentum kostenlos oder doch immer billiger haben wollen, sämtliche Weiterverwertungsrechte inklusive. Warten wir ab, ob das zur Reform anstehende bundesdeutsche Urhebervertragsrecht mit der geplanten Besserstellung der Urheberposition in Zeiten der Globalisierung und des Internets noch greifen wird.
Vielleicht könnten die aktuellen Trends Anlass zu Resignation bieten, doch Namenlosigkeit muss nicht auch Rechtlosigkeit nach sich ziehen. Irgendwann – so zeigt das Beispiel der Gründung von FreeLens France – ist eine Grenze erreicht. Hier machen sich die Betroffenen gegen schlechte Konditionen stark, wie vor ihnen schon die Editorial Photographers in den USA und die FreeLenser bei uns. Gemeinsames Neinsagen ist eben doch effektiv.