Magazin #07

Diana und die Folgen

Die Umstände ihres Todes haben einen seltenen Prozeß ausgelöst: Die Medien übten Selbstkritik. Schnell waren die Schuldigen ausgemacht: die Fotografen. Und schnell hat man die Diskussion um die Ethik der Branche wieder begraben

Diskussion – Klaus Andrews, Urs Kluyver, Peter Peitsch, Volker Wenzlawski & Lutz Fischmann

Paparazzi – die erkennt man daran, daß sie eine teure Kamera in den Händen halten und das Objektiv auf unschuldige Menschen richten. Darauf hatte sich Volkes Stimme nach dem Tod Prinzessin Dianas schnell geeinigt. Egal ob ihre Kamera nun die Marktfrau beim Abwiegen der Kartoffeln ablichtet oder den Politiker am Rednerpult: Alles erstmal Paparazzi.

Auch unter den FreeLens-Mitgliedern sorgen die Vorfälle in Paris natürlich für Gesprächsstoff – und nicht immer ist man einer Meinung. Da geht es um die Frage, wo das Paparazzitum anfängt und die Seriosität aufhört, wird über Sachzwänge der Arbeit in Redaktionen ebenso gesprochen wie über die persönlichen Grenzen und die Zukunft. Wie schmal der Grat ist, auf dem Fotojournalisten oft stehen, zeigt eine Diskussion, die für das FreeLens-Magazin aufgezeichnet wurde.

Klaus Andrews: Bei der ganzen Diskussion stellt sich mir erstmal eine Frage – wo ist die Grenze zwischen Paparazzi-Bildern und einem der sogenannten Abschußaufträge? Ich hatte mal den Auftrag, einen Kriminellen Müllschieber zu fotografieren, habe drei Tage im Wohnmobil vor der Villa gewartet – und ihn dann auch gekriegt. Zu der Sache kann ich heute noch stehen. Erstens wurde ich von der Redaktion über die Hintergründe informiert, außerdem hätte ich den Auftrag ablehnen können.

Urs Kluyver: Paparazzi können auch ablehnen.

Klaus Andrews: Es ist aber wichtig zu wissen, worum es geht. Einen Auftrag, Jan Phillip Reemtsma zu fotografieren, habe ich vor Jahren abgelehnt, weil man Reemtsmas Recht, nicht fotografiert werden zu wollen, respektieren muß.

Peter Peitsch: Die Trennung ist da, wo es in den privaten Bereich geht.

Klaus Andrews: Richtig, Prominente im öffentlichen Bereich zu fotografieren, das ist grundsätzlich okay. Aber sobald sie sozusagen hinter ihrem Gartenzaun sind, hört es auf.

Volker Wenzlawski: Und wie ist es bei dem verheirateten Prominenten, der in der Öffentlichkeit seine Freundin küßt?

Urs Kluyver: Ich hatte mal einen vergleichbaren Fall. Da habe ich einen Politiker auf der Straße nicht fotografiert, weil ich ihm sein Privatleben lassen wollte. Nachher habe ich erfahren, daß er auf Geheimmission dort war, und ich viel Geld für das Bild bekommen hätte.

Volker Wenzlawski: Und wenn du gewußt hättest, wieviel Geld du dafür bekommen könntest, hättest du dann fotografiert?

Urs Kluyver: Es hätte passieren können, ich kann es nicht beschwören. Aber ich bin stolz darauf, daß ich es nicht getan habe. Es wäre etwas anderes, wenn es irgendein Nazi gewesen wäre.

Volker Wenzlawski: Den hättest du also abgeschossen, weil er dir unsympatisch ist?

Urs Kluyver: Unparteiisch ist keiner.

Peter Peitsch: Der Unterschied sollte nicht sein Nazi oder nicht Nazi, sondern privat oder nicht privat. Ob also das Bild des Nazis von journalistischem Interesse ist, oder ob er mit seiner Frau am Strand liegt.

Klaus Andrews: Aber um beim Fall Diana zu bleiben. Was tue ich,wenn so eine Person mich höflich bittet, sie doch heute in Ruhe zu lassen? Fotografiere ich dann weiter oder gehe ich?

Urs Kluyver: Da ist auch wieder der Unterschied zwischen privat und öffentlich. Wenn sie sich weiter im wirklich öffentlichen Raum zwischen vielen Menschen bewegt, ist das etwas anderes, als wenn sie in ihr Auto steigt oder in ihre Wohnung geht.

Volker Wenzlawski: Genau. Aber das ist auch ein Beispiel, wie die Medien und die Zeitungsleser funktionieren. Am Tag nach dem Unfall druckten seriöse Zeitungen Bilder von Charles und seinen Söhnen auf dem Weg nach London, wie sie weinend im Auto saßen – durchs Fenster fotografiert. Das ist doch genauso privat. Die Grenzziehung ist das Problem. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern einen großen grauen Bereich.

Urs Kluyver: Meinst du, die Fotografen vor dem Hotel glaubten, noch im hellgrauen Breich zu sein?

Volker Wenzlawski: Auf jeden Fall noch im grauen, denke ich. Außerdem muß man mal sehen, daß diejenigen von uns, die für Tageszeitungen arbeiten, jeden Tag mit einem ähnlichen Auftrag konfrontiert werden können. Da steht man dann vor einem Hotel, wartet darauf, daß man noch sein Pflichtfoto machen kann, um schnell nach Hause zu können. Bloß wenn dann ein Auto wegrast und der erste Fotograf hinterherfährt, dann muß man im Grunde selber auch hinterher, um am nächsten Tag in der Redaktion nicht gefragt zu werden, warum die Konkurrenz das Bild hat. Jeder Fotojournalist kann bei normalen Aufträgen in Situationen kommen, wo er blitzschnell für sich entscheiden muß, was er vertreten kann und was nicht.

Urs Kluyver: Abgesehen von diesem Fall muß man auch noch eine andere Sache sehen. Wer zum Beispiel in einer Kleinstadt arbeitet, in der es nur eine Zeitung gibt, der kann es sich gar nicht leisten, einen Auftrag aus moralischen Gründen abzulehen. Wenn der einmal sagt, das mach ich nicht, dann muß er damit rechnen, seinen Auftraggeber los zu sein.

Klaus Andrews: Trotzdem ist gerade die Selbstbeschränkung wichtig. Sich selber zu fragen, was mache ich eigentlich, und wieweit bin ich bereit zu gehen. Zum Beispiel nicht alles zu machen, was möglich ist. Gerade in unserem Beruf ist es noch schlimmer als in anderen Bereichen. Journalismus gilt als vierte Gewalt. Im Grunde kann sich aber jeder Dahergelaufene eine Ausrüstung kaufen und loslegen. Ohne Ausbildung und auch ohne etwas vom Pressekodex zu ahnen. Eigentlich kann man solchen Leuten ihr Verhalten kaum vorwerfen – sie wissen einfach nicht, was sie dürfen und was nicht.

Lutz Fischmann: Und die Redaktionen, die solche Fotografen weiter engagieren, sind mit Schuld. Und es sind ja nicht irgendwelche Medien – selbst Spiegel oder stern. Da gibt es zum Beispiel einen Fotografen, der als Spezialist für Reportagen in Randbereichen gilt, Straßenstrich, Drogenszene und ähnliches. Er hat in Hamburg für 14jährige Schnaps gekauft und sie damit fotografiert. Die Frage ist, warum solche Fotografen immer noch und immer wieder beschäftigt werden.

Volker Wenzlawski: Der Druck, eine gute Geschichte abzuliefern, verführt manchen dazu, die gewünschte Wirklichkeit zusammenzubauen.

Lutz Fischmann: Da ist ein Paparazzi schon fast seriöser, weil er das fotografiert, was passiert.

Volker Wenzlawski: Aber diese Bilder widerspiegeln nur den Teil der Realität, der vielen Lesern Raum für Illusionen läßt. Im Fall von Lady Di war dies die Illusion einer Art Märchenprinzessin, die das eigene langweilige Leben vergessen ließ. Ein Grund, warum Massen zum Zeitungstand gehen und damit Paparazzi-Fotos finanzieren. Auch die Veröffentlicher – und dazu gehören auch die Fernsehanstalten – trifft eine Mitschuld, da sie kräftig an der Schraube für immer sensationellere und intimere Fotos drehen. Im Grunde stiften eigentlich wir alle die Paparazzi zum Handeln an.

Lutz Fischmann: Letztendlich sind es auch die Honorare, die unter anderem dafür sorgen, daß ein World Press-Preisträger vor dem Hotel in Paris stand. Für solche Bilder werden Summen gezahlt, die für eine ambitionierte und aufwendige Reportage nicht im entferntesten zu bekommen sind. Wir müssen uns im Endeffekt überlegen, wie man eine mögliche Verrohungen aufhalten kann, um unseren eigenen Beruf hochzuhalten und zu erhalten.