Magazin #30

Der täglich digitale Wahnsinn

Bildarchive nach Fotos zu durchsuchen, bringt leidvolle Erfahrungen. Treffer finden sich nur mühsam in einem Wust unsinniger Schlagwörter

Text – Thomas Raupach

Ungefähr 5 Milliarden Bilder soll es weltweit auf mehr oder weniger professionell betreuten Datenbanken geben, täglich kommen Millionen digitaler Datensätze dazu. Der Hunger der Medien nach neuer Optik scheint schier unersättlich, aber auch das Angebot dazu scheint endlos zu sein. In einer mittleren Frauenzeitschrift mit People-Schwerpunkt kommen täglich alleine über den FTP-Kanal als freies Bildangebot durchschnittlich 8000-10000 Bilder auf den Server, beim Focus-Magazin sind es an einem Tag ohne besondere Ereignisse in der Welt bis zu 10000-15000 Bilder inklusive der selbst recherchierten Bildstrecken. Bildredakteure sichten diese Bilderfluten mit tränenden Augen und sie haben nie das Gefühl, wirklich alles gesehen zu haben.

Sehr regelmäßig haben sie auch den Eindruck, dass sie zu den vorliegenden Bildern nur fragmentarische oder fehlerhafte Informationen bekommen und bei eigenen Recherchen auf jede Menge Bilder stoßen, die mit dem gesuchten Thema absolut nichts zu tun haben.

Gehört es nicht zum Job oder zur »Ware Bild«, Namen abgebildeter Personen korrekt wieder zu geben? Sollten die journalistischen »W’s« nicht eigentlich inzwischen Allgemeingut sein? Wer, wie, was, wo, wann und warum? Nur der Fotograf war doch dabei, als es geschah. Nur er weiß, weshalb ausgelöst wurde; die Bildredaktion kann das nicht wissen. Dieses Wissen in die bekannten IPTC-Felder zu schreiben, ist ein überschaubarer Aufwand. Plötzlich bekommen Bilder einen höheren Nutzwert, lassen sich sinnvoll speichern, logisch abrufen und besser verkaufen.

Werfen wir doch mal einen bösartigen Blick auf die Welten der Bebilderung, also die Bilder, die nicht in einem dokumentarisch verifizierbaren Kontext stehen; die eine Stimmung erzeugen, eine zusätzliche Information transportieren oder etwas thematisch unterstützen sollen.

Wenn ich dann zum Beispiel bei der Suche nach Bildern zu häuslicher Gewalt schöne Tangobilder bekomme, deren Beschriftung den Strang »Tanz-Führung-Dominanz-Misshandlung-Gewalt Vergewaltigung« enthält, muss ich dem Autor zumindest eine extreme (oder einfach nur üble) Fantasie unterstellen. Mit etwas »Wohlwollen« akzeptiere ich dann mal als Treffer dazu ein Bild »Frau in Strapsen, Messer in der Hand, Mann mit Flasche«, verschlagwortet mit fast 1400 Begriffen in de facto sinnbefreiten Synonymketten, darin auch »kaukasische Rasse« und »Fischerboot« – wer denkt sich so etwas aus? Ist das der Wunsch, bei jeder noch so skurrilen Suche mit mindestens einem Bild zu zeigen, dass man auch noch im Markt ist? Bei solchen Textblöcken sieht man übrigens gelegentlich auch sehr schön, welche Kollegen sich per Copy and Paste die Beschriftungen anderer Urheber inklusive allem Blödsinns aneignen, statt mal selbst zu denken!

Da der Bildredakteur jetzt in der richtigen Stimmung ist, sucht er noch schnell nach »depressiv«: Toll, wie viele verzweifelte Gesichter mir dort begegnen, die Hand dramatisch an die Stirn gepresst, mit trüben Augen in die Ferne blickend; wie viele Eltern, Freunde, Freundinnen, Kinder hierfür täglich modeln müssen. Und immer ist dabei im künstlerischen Ausdruck die haarscharfe Verwechslungsgefahr zu ebenfalls aufgeführten Schlagwörtern »Migräne« und »Kopfschmerz« gegeben. Da hat der Kunde dann die wirklich breite Wahl. Aber was ist denn nun »depressiv« an dargestellten Treffern mit einem sommerlichen Wolkenhimmel, an Leuchttürmen an der Küste, Bremsleuchten im Stau, Notausgangsschildern oder einer dekorierten Porree-Stange, die aber auch mit »Humor« und »lustig« beschriftet ist?

Und an diesem Punkt sind die lieben Kolleginnen und Kollegen aus Agenturen, die freien Einzelkämpfer, die Studiofotografen doch einmal ernsthaft zu fragen, ob sie ihre Kunden hassen? Oder ihnen die zahlenden Abnehmer gleichgültig sind? Wie anders lässt es sich erklären, was hier an unsäglichen Beschriftungen den Bildern mitgegeben wird? Was soll dieser tägliche Bildmüll?

Man kann jetzt erwidern, dass man ja inzwischen so wenig Geld für die Bilder bekommt, die Zeit fürs Beschriften fehlt und man ja sowieso nicht weiß, ob es jemals wieder aus einer Datenbank abgerufen wird. Dazu ist nur zu empfehlen: lasst es ganz bleiben – wechselt den Job, erspart der Bilderbranche immer größere Mengen von schlecht editierten und noch schlechter beschrifteten Bildern. Hart gesagt – dies blockiert die Arbeitsabläufe aller Medien!

Zum Problem der verbalen Erfassung von Bildern meint Andreas Trampe als Leiter der Bildredaktion stern: »Wir sind da recht relaxt – Anbieter mit schlechter Beschriftung oder Überinterpretation fliegen aus unseren Suchgruppen einfach raus und werden dadurch nicht mehr gedruckt. Das Gleiche betrifft auch das ‚Refreshen‘ von älteren journalistischen Bildern und bei Reisefotos durch erneuerte oder auch heraus genommene Datumsangaben – wir reichen schließlich die Glaubwürdigkeit der Fotografen an unsere Leser weiter.«

Jeder ist hier als Profi, als Kauffrau oder Kaufmann gefordert, den eigenen Workflow inklusive Beschriftung darauf hin optimal anzupassen. Für den schnellen Einstieg – weniger und bewusstere Auslösungen sind nachher eine gigantische Zeitersparnis! Es geht doch wie früher, als der Film noch richtig Geld kostete. Bewusster arbeiten! Das bedeutet weniger Editing, weniger Bildbearbeitung, weniger Beschriftung!

Bei Aufträgen erwartet ein Kunde eine sachliche Beschriftung bei der Lieferung; niemand kann und wird nachher diese Datensätze nachbearbeiten. Bei freien Produktionen ist vorher über Bildportale selbstkritisch zu klären, wie viel gutes Material es zu gleichen Themen im Markt schon gibt und was die Kunden-Zielgruppe sein soll. Denn davon ist es abhängig, welche Ausrichtung und Tiefe der Verschlagwortung angesagt ist. Die Grundlage sind immer die journalistischen W’s, an das eigene Copyright und die Rechte denken, danach kann dann der Blick auf die sonstige Nutzung erfolgen, Stimmungen beschreiben, aber eben nur bildwichtige Details. Es hilft nicht, zu schräg und zu weit zu denken. Und Farben als Suchbegriff auch nur, wenn sie bilddominant sind. Und zu der Makroaufnahme des Gänseblümchens bedarf es nicht der Namensnennung des Aufnahmeortes.

Auch wenn die Macht der großen Anbieter Corbis und Getty für viele Bildanbieter eher ein Problem ist, der Medien-Markt honoriert auch deren Qualität in Editing und Verschlagwortung. Schaut dort doch einfach mal rein – mit maximal 30 Begriffen lässt sich jedes Bild sinnvoll beschreiben! Die Suchlisten aus Datenbanken zeigen, dass die Kunden deutlich trivialer suchen, als viele es sich vorstellen – ein bis zwei Suchbegriffe; Namen, Substantiv, Adjektiv, Verb; selten mehr.

Nun noch etwas zum Technischen: Momentan lebt die Bilderwelt parallel mit dem alten IPTC-IIM Format und dem neuen IPTC-Core XMP; das neue Format ermöglicht wesentlich differenziertere Ablagen über etwa 100 Felder, wo beispielsweise Personen dargestellt werden können, die sich wirklich im Bild befinden. Also kein »Willy-Brandt-Haus« mehr als Treffer, wenn ich eigentlich nur nach der Person suche. Bisher sind es praktisch nur die großen News-Agenturen, die den Wechsel vornehmen, aber es wird in wenigen Jahren Auswirkungen auch auf die Lesbarkeit Eurer jetzt produzierten und beschrifteten Bilder haben.

Dazu Jan Leidicke von der Agentur Keystone in Hamburg und für den BVPA bei der IPTC aktiv: »Wer langfristig seine Bilder im Markt unterbringen will, muss jetzt bei Investitionen in Software unbedingt darauf achten, dass das Bildmaterial im neuen Format gespeichert werden kann. Wer über eine Agentur seine Bilder vertreibt, kann dies allerdings auch dann in deren Verantwortung belassen.« Ein Blick in www.iptc.org zeigt den aktuellen Stand! Es ist ein sicherlich »etwas trockenes Brot«, sich in diese Materie hinein zu arbeiten, aber wir sind doch Profis! Und wollen es bleiben.

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Thomas Raupach

ist Fotojournalist und Medienberater und seit 26 Jahren in der Bilderbranche